von Kristoffer Leitgeb, 30.10.2015
Mit musikalischem Feingefühl und engelsgleicher Stimme zu tiefschürfender Emotion und ins Nirvana.
Halloween ist, danach gleich Allerheiligen, da lohnt es sich doch über den Tod zu reden. Dessen unbestritten positive Seiten werden oft gerne ignoriert, weil man sich zu sehr auf das Nicht-mehr-atmen-können und die beinahe gewisse Endlichkeit des Seins versteift. Der Medaille andere Seite zeigt aber immerhin, dass man mit dem Dahinscheiden im richtigen Moment und auf die richtige Art ziemlich berühmt werden kann. Auf sehr unsympathische Art als Amokläufer, auf lächerliche Art als vertrottelter Unglücksfall, der sich z.B. beim Pistolentest selbst erschießt, aber auch auf wirklich beeindruckende Art. Letzteres dürfen ja Musiker ganz gern machen, auch wenn man den Tod da vielleicht lieber weniger beleuchtet als das vorangegangene Werk. Ian Curtis hat sich quasi sein eigenes Requiem eingespielt, Bon Scott nochmal legendär abgerockt, Kurt Cobain eine der größten Live-Performances der Geschichte abgeliefert. Und Jeff Buckley? Der zeigt kurz vor dem unerwarteten Ende einfach nur ganz, ganz viel Gefühl und Talent.
Mit Blick aufs Veröffentlichungsdatum überraschend, passiert das schon einmal ohne jegliches Anbiedern an den Grunge, dafür mit einer begnadeten Mischung aus Folk, Blues und Alternative Rock, die er mit offensichtlich beschlagener Band zu einem nachdenklichen Ganzen formt. Und Buckley weiß augenscheinlich zu arrangieren, denn, ob von ihm geschrieben oder nicht, in den zehn Songs sticht die nuancierte Ausformung mehr heraus als fast alles sonst. Von den dezenten, stark in den Raum gestellten Gitarren von Lilac Wine und den darin ideal eingebetteten, plötzlichen Pausen, über Dream Brothers hypnotisches Klangmuster, das die einleitende Tabla mit psychedelischer Percussion und nur zwischendurch aus der Ruhe ausbrechendem Gitarristen verknüpft, bis zum von Buckley schlicht außerirdisch stark gespielten Intro von Hallelujah, dessen rohe Einsamkeit allein schon für eine Emotionswallung der besonderen Art sorgt. Fast überall regiert das Wissen des Musikers um das Maßhalten, die richtige Balance in Tempo, Lautstärke und Abwechslung, damit aus dezent und bewegend nicht plötzlich fad und überlang wird.
Natürlich gibt es nun die paar Momente, in denen er Entgleisungen nahe kommt. Überall dort, wo plötzlich Atmosphäre und Aussagekraft nicht mehr so einfach transzendieren und "Grace" stattdessen einen leichten Jam-Charakter annimmt, der dem Rocker Buckley vielleicht steht, dem berührenden Sänger aber weniger. Schon zu Anfang bereitet er einem mit Mojo Pin und dessen nach dem stimmlich starken Intro zerstreut wirkender Kombination aus psychedelischen Anwandlungen und härteren Rock-Einlagen einen nicht einwandfreien Empfang. Irgendwie weiß man da, so stark der Song beginnen mag, mit der zweiten Hälfte nicht viel anzufangen. Da hilft auch Gitarrenvirtuose Gary Lucas wenig, selbst wenn er den Song mitausgetüftelt hat. Das macht auch den Titeltrack nicht zur großen Offenbarung, auch wenn dort das vereinheitlicht rockigere Werkl besser läuft, mit genialen Akkorden und ziemlich Dampf machenden Drums heraussticht. Und dann gibt's ja sogar noch So Real, dessen Rhythmen nicht viel mehr als störrisch sind, begleitet von kurzweiligen Verzerrungs-Exzessen, denen selbst das himmlisch hohe Stimmchen von Buckley nur zeitweise beikommt.
Mit dem bügelt er in der zweiten Hälfte allerdings viel aus, was eine gute, aber doch durchwachsene erste unglatt wirken hat lassen. Jeff Buckley ist nicht viel weniger als ein begnadeter Sänger. Nicht unbedingt getrieben von perfekter Technik, aber von einer emotionalen Stärke, die seinem zerbrechlichen, gehauchten, manchmal gar gewinselten Gesang innewohnt. Und damit erhebt er sich mühelos über die Musik. Am Auffälligsten vielleicht im karg mit Gitarre ausstaffierten Cover von Corpus Christi Carol, das er über zweieinhalb Minuten mit glasklarer, (wirklich) hoher Stimme ausfüllt. Doch es sind die konventionelleren Performances, die er mit subtilen, teilweise verschwindend kurzen Einzelheiten ausfüllt. Wann immer das passiert, entstehen atmosphärische Höhepunkte wie das legendäre Hallelujah, dem er mit einer unspektakulären, dank gehauchter, nachhallender Zeilen aber eindrücklichen Darbietung zur Perfektion verhilft. Ähnlich stark auch das folkige Lover, You Should've Come Over, in dem Buckley mehr als alles andere verletzte Hilflosigkeit ausstrahlt, sich unterstützt vom Gospelchor zu einem ekstatischen Finale steigert.
Das alles prägt ein Album, das sich gut und gerne als weinerlich, als verweichlicht charakterisieren lässt. Die emotionale Manneskraft ist seine Sache nicht, so sehr er sich auch im musikalischen Ausreißer, dem rebellischen - und ziemlich guten - Hard-Rock-Stück Eternal Life zu Aggressivität und Wut hinreißen lässt. Doch Facettenreichtum und fesselnde Tiefe offenbart sich einem in den ruhigeren Minuten, die allzu oft die Liebe besingen, dabei dem Kitsch eines Lilac Wine oder eben Hallelujah aber mit unumwundener Verletzlichkeit begegnen und so für große Gefühle sorgen.
Vielleicht sollte sicherheitshalber noch die Anmerkung folgen, dass Jeff Buckley eigentlich keiner ist, dem der Tod auch rückwirkend die musikalische Qualität nach oben getrieben hat. Nein, nein, auch ohne gigantische Lebensfreude ist "Grace" unabhängig davon ein ziemlich starkes Stück. Außerdem ist es auch zu lachhaft, beim lustigen Schwimmen in voller Montur zu ertrinken, als dass ihm dieser Abgang irgendwo helfen würde außer beim zügigen Einzug in die Rock 'n' Roll Hall Of Fame. Die einzige wirkliche Studio-LP des US-Amerikaners ist allerdings auf alle Fälle eine, die ihren Ruhm verdient, auch weil sie damit die einzige voll ausgeformte Hinterlassenschaft eines der wohl talentiertesten Leute des 90s-Alternative ist. Das kann was, die Songs hier können aber noch viel mehr.