von Kristoffer Leitgeb, 03.01.2015
In Musik gegossene Präpotenz als gelungener Spagat zwischen leichter Unterhaltung und ironischem Weltschmerz.
Natürlich wäre jetzt eigentlich genüssliches Auskotzen angesagt. Denn jeder, der schon einmal in den Genuss gekommen ist, ein Interview dieser Band - oder zumindest von Frontmann Andreas Spechtl - zu lesen, wurde dabei schlagartig an die Bedeutung der Worte Großspurigkeit und Präpotenz erinnert. Es braucht schon viel Selbstvertrauen (a.k.a. Verblendung), um dieser Form der Selbstdarstellung als Angehörige der 'sophisticated class' zu erliegen. Verworrene Texte, die nur ja nicht das persönliche Leben beschreiben, denn wie ist das nicht trivial. Lieber nur die ganz Großen als Vorbilder hernehmen, aber Vergleiche wollen wir sicher nicht, woher denn. Und natürlich gilt es, die gedankenschwache Masse aufzurütteln, sie gefälligst von der Bedeutung jeder einzelnen, verdammt nochmal ewig durchkonspirierten Note zu überzeugen. Ein großer Anspruch, ein beschissener obendrein. Und ich würde mir wahrscheinlich nur süffisante Lacher von den Bandmitgliedern für diese Beschreibung einfangen.
Deswegen ist es an der Zeit zu relativieren. Das Talent dieser Jungs im Berliner Exil liegt weit weniger in ihren Botschaften, sondern schon viel eher im Gefühl für starken Textbau und eingängige Melodien. Die lassen eine gewisse Einfachheit kaum leugnen, sind aber mit ihrer heute fast schon antik wirkenden Instrumentierung rund um Klavier, unbearbeitete Percussion und old-fashioned Keyboard allzu oft durchaus anziehend. Mit dem Eindruck schinden tut man sich zwar mit der gewollt trägen Eröffnung mitsamt trägem Solo von This Ship Ought To Sink wirklich schwer, auch weil der Text pseudo-inhaltsvoller Nonsens ist, bald scheint man aber zur eigenen Stärke zu finden. Die beschwingten Up-Tempo-Ohrwürmer haben sie nämlich sicherlich drauf, auch wegen Spechtls konstanter Unschlüssigkeit, ob ihm denn nun Deutsch oder Englisch eher zusagt. So gerät das Duo Trouble und The Horror schleunigst zu einem lohnenden. Dort werden nämlich die Schilderung einer Begegnung der merkwürdigeren Art einerseits, die fragwürdig lebensfrohe Abschiedsnummer andererseits dank präzise gesetzten Zeilen zu den wohl stärksten Momenten in der Textfraktion. Gleichzeitig macht man sich mit den hellen, lockeren Riffs, die alles nur keine Gehetztheit spüren lassen auf locker-leichte Art im Gedächtnis bemerkbar, verfeinert das mit der schön einfachen Rhythm Section und bei der Gelegenheit auch mal mit ein wenig Keyboard am richtigen Plätzchen.
Das richtige Plätzchen scheint wichtig, denn durchgeplant wirkt auch im weiteren Verlauf fast jede Sekunde. Das sorgt im Falle des fast gänzlich auf die Streicher zählenden Barbarie für ausreichend schräge Minuten und führt im rhythmisch aus dem Surf Rock abstammenden Grey & Old zu der unaggressivsten Footstomper-Variante, die nur möglich scheint. Gleichzeitig macht man aber den Fehler, die eigenen Unzulänglichkeiten in der Melodiefindung ab und an dann nicht wirklich über die Instrumentierung wett zu machen. Surrender wird zum bassgetriebenen Langweiler, dem die faden Keyboardtöne wenig Gutes anhaben können. The Evening Sun versucht sich dagegen als Klavierballade zwischen All The Things That I've Done und einem x-beliebigen Beatles-Track, scheitert aber an den unterwältigenden Sangeskünsten und dem lähmenden Tempo. In Richtung 50er schielt dagegen Bittersweet, dessen Swing-Touch wenig zu liefern vermag, auch wenn man erfolglos versucht, ihm ruhige Klavier-Passagen entgegenzustellen.
Mit höherem Tempo geht es aber andernorts gleich besser. Auch weil wie im Falle von Run From The Ones That Say I Love You nicht nur durchaus nachvollziehbare Geschichten aus dem erdachten Freundeskreis herausspringen, sondern auch der Sprechgesang viel eher seine Wirkung entfalten kann, wenn im Hintergrund mehr als nur das Nötigste getan wird. So arbeitet man sich dann auch in der zweiten Hälfte noch einmal zu einem Hoch hin. Während Time Is On My Side musikalisch und textlich vom darin heraussprudelnden Altbekannten etwas heruntergezogen wird, entwickelt sich Mr. Jones & Norma Desmond nicht nur zur Verneigung vor gleich zwei Legenden der Kunst sondern mit seinem starken Beat, dem rhythmischen Keyboardeinsatz und der guten Vorstellung von Spechtl am Mikrofon schon zu einer wertvolleren Darbietung. Noch einmal zu einem Höhepunkt - die hier trotzdem nie den Plafond erreichen - reicht es aber erst mit Suicide. Man zwängt sich zwischen Schwachsinn und Beklemmung, indem man den Freitod als Thema sogleich über die vielleicht sonnigsten Minuten der LP legt. Denn die hellen, rockigen Riffs, das vergleichsweise hohe Tempo und der pulsierende Bass passen so gar nicht zum pikanten Text, der sich aber ohnehin ganz schnell selbst relativiert:
"You people are gonna kill me
Any-, any-, any-, any-, anyway
So let me introduce you to
Something that made my day
Suicide
Suicide is love
Suicide
Suicide is passion"
So ist man am Ende doch guter Dinge und das zu einem nicht kleinen Teil dank eines Selbstmordsongs. Viel wichtiger als dieses Paradoxon scheint aber, dass diese LP mit ihren teils gewichtigen Worten, ihrer vielschichtigen Botschaft und den ambitionierten Jungs dahinter am ehesten funktioniert, wenn man mit ihr ein wenig Spaß haben kann. Das können sie nämlich doch, sogar ziemlich gut. Nur mit dem Wollen scheint's nichts zu werden. Wie kommt es sonst, dass der finalisierende Titeltrack (übrigens die Kurzform für "Die Manifestation des Kapitalismus in unserer Gesellschaft ist die Traurigkeit") zu einem 15-minütigen Monstrum wird, in dem langatmig Sinn und Idee des Albums und ein bisserl Gesellschaftskritik 'besungen' werden. Es klappt natürlich nicht, allein wegen des bluesigen Stils, den Jahre vorher schon ein gewisser Nino Aus Wien besser umgesetzt hat. Vom Inhalt wollen wir gar nicht philosophieren, denn letztlich reduziert sich die Bedeutung der bandeigenen Ansichten in einfach zusammengebauten und schwierig zu deutenden Zeilen, die wenig Zauber beinhalten ("Denn nicht du bist in der Krise / Sondern die Form, die sie dir aufzwingen")
Also doch wieder schwer zu beurteilen. Ein kurzer Rat täte es eigentlich: Werdet zur humorvollen Popband, dann passt das schon. Zeitweise macht man eh genau das, ob nun gewollt oder nicht. Auf Albumlänge tun sich aber Schlaglöcher auf, die einerseits die Grenzen des musikalischen Leistungshorizonts offenlegen, andererseits trotz markanter Textform den Inhalt bemerkenswerterweise banal und kryptisch wirken lassen. Also eine Aussage versteckt hinter unwichtigen Aussagen? Ach, verwirrt. Vielleicht wollen sie ja auch einfach nur das. Egal, was das Quartett will, sie bringen es zu so manchem unterhaltsamen Song, ein paar faulen Äpfeln und zwischen Fragezeichen hervorblitzender Zufriedenheit beim Hörer. Gut gemacht, vielleicht...