von Daniel Krislaty, 12.08.2014
Der Moment, wenn die Angst vor den Veränderungen sich in Wohlgefallen auflöst.
Als bärtiges Ich der 'Band' brachte Sam Beam eine beachtliche Reise durch die 00er hinter sich und beginnt das neue Jahrzehnt als vollständig etabliertes Mitglied der berüchtigten, aber nur allzu schwammig definierten Indie-Bewegung. Neun Jahre nach Iron and Wine's eigentlich scheußlich produziertem, aber noch eigentlicher wunderschön authentischem Debüt, The Creek Drank the Cradle, verwandelte sich der ehemalige Lo-Fi-Hobo zum gemütlichen Kuschelrocker, dem man bedenkenlos den Schwiegereltern weiterempfehlen oder wenig überraschend in Twilight-Filmen erspähen kann. True Story. Na gut, zumindest seinem Aussehen scheint er treu zu bleiben. Aber das bedeutet ja nicht automatisch was Schlechtes, nicht wahr? Ersteres jetzt…
Aber Spaß beiseite, Iron and Wines rückhaltlose Grundauffassung, welche die 'Band' mit Kiss Each Other Clean verfolgt, wird bereits beim ersten Track der LP offengelegt. Das bezeichnende Walking Far From Home startet mit dichter Instrumentalvielfalt, die sich durch entferntes Heulen und wirbelnde Synthesizer selbst verzehrt sieht, während Beams Stimme vorsichtig den bunten Wirrwarr aus scheinbar zugehörigkeitslosem Lärm fachmännisch durchschneidet. Zwischendurch entdeckt Mr. Vollbart den melodramatischen Effekt eines isolierten und trivialen Klavierspiels, über das dann bloß noch gefühlvoll vorgetragener Text gelegt wird. Der Inhalt schlüpft bei so viel Gänsehaut-Feeling dieser Elton John-Patentlösung schon beinahe in die Nebenrolle - die gezündeten Feuerzeuge ragen schließlich bereits in der Luft. Kombiniert mit all den anderen flashy Eindrücken macht der nahbare Opener aber eine sehr ordentliche Figur und erinnert an längst vergangen Pop, als Radiohören noch als feiner Zeitvertreib durchging.
Ebenso mit dem Hang zur leichtverdaulichen und trotzdem anspruchsvollen Nummer rekapituliert das romantische Tree By the River den Folk, für den Beam ursprünglich doch bekannt wurde, und verleiht der Geschichte über eine unbeschwerte Jugendliaison den passend erquickenden Unterton. Vom selben Schlag scheint Glad Man Singing seine Punchlines loszuwerden, überschlagen sich hier die schaurig-schöne Wogen bestenfalls bezüglich des hypnotischen wie entspannenden Zusammenspiels aus Piano, Marimba und herrlichen Melodien. Dieser langsame, so dahintreibende Tross aus abstruser Zusammenhangslosigkeit des Textes, der irgendwie sowohl Freude als auch Ernüchterung in sich trägt, vergisst bewusst auf eine beeindruckende Klimaxentfaltung im großen Stil. Stattdessen entwischt der Track nach einigen Sekunden ohne Beams markanter Stimme im Hintergrund langsam und elegant ausblendend dem Szenarium.
Als Funk in seiner ursprünglichsten Form versprüht Me & Lazarus den grübelnden Charme einer religiös angehauchten Frage nach den ungenützten Möglichkeiten und falschen Entscheidungen, die das Leben mit scheinbar einladender Geste für jeden von uns bereithält. Die erstmals auf dem Album erscheinenden, stark ausgebildeten Jazz-Einflüsse, Beams erster und längster Flirt mit einem Saxophon der LP, korrespondieren hier noch wunderbar kooperativ mit dem für Iron and Wine typisch zurückhaltendem Ohr für Rhythmen und Dynamik. Dem macht es die zarte Flöte auf Rabbit Will Run gleich und erinnert dank verzerrter Stimme sowie Gitarre mit progressiven Trommeln als auch Percussions deutlich an den Sound der längst vergangenen Genesis-Lieder der 80er. Dabei lässt sich darin jedoch keinesfalls ein womöglich erwartender Anflug von Sarkasmus erkennen, sondern bloß wahrhaftes Engagement, um sich ja keine Fehler zu erlauben.
Die sanftmütige Piano-Ballade Godless Brother in Love, welche alleine von einer sehr wohl göttlichen Harfe und obligatorischen Chorgesängen begleitet wird, erzählt eine kryptische Geschichte, die bei so viel Gefühl der gesungenen, einzelnen Worte aber auch gar nicht verstanden werden möchte. Beams Stimme erfährt plötzlich die Freiheit, die ihr aufgrund des zu meist dichten Klangurwalds ansonsten verwehrt bleibt und gibt sich dementsprechend fast schon theatralisch ausgelassen hin. Big Burned Hand markiert hingegen wieder die Rückkehr zum smoothen Saxophone, das sich den Weg zwischen funkiger Verdrehtheit und untermalender Orgel eindrucksvoll bahnt. Schließlich entledigt sich der Song plötzlich des Urwerkzeugs des Jazz-Kosmos und der entstandene Raum wird mit einem improvisierenden Klavier überschwänglich neubesetzt, bevor dieser erschöpfende Acid-Jam ein weiteres Mal von jazzigen Bläsern konkludiert wird. Der beinahe größenwahnsinnige Text ist pures Gold.
"When the arrogant goddess of love
Came to steal my shoes
She had a white-hot pistol
And a homemade heart tattoo
Saying one's to give and one's to take away
But neither of them will keep you off your knees
The children bowed and bolted off the stage
While the lion and the lamb kept fighting for the shade tree"
Auch wenn Sam Beam ehrliche, geradeaus gesagte Intimität im Austausch für üppige Erlesenheit der Produktion opferte, erhält sich Iron and Wine sehr wohl sein idyllisches Markenzeichen, das mich in einer Sekunde auf die nächste von Trauer in Frohsinn dahin schmelzen lässt. Seine exzentrischen Experimente mildern zwar die Wirkung der angestrebten Ernsthaftigkeit, einiger politischer Einschläge seiner Gedankengänge auf dem Album, aber das ist OK. Beams Neugier nach anderen Einflüssen, abseits des von Folk angehauchten Metiers, zahlten sich auf jeden Fall aus, denn mit Kiss Each Other Clean entwickelt sich Iron and Wine mit einer homogenen Liedersammlung merklich weiter.