von Kristoffer Leitgeb, 10.08.2018
Harte Formvollendung voller Dynamik und dem idealen Brückenschlag zwischen Ozzy und Bon.
Logisch gedacht, könnte man ja vermuten, dass der plötzliche Wechsel eines Frontmanns den Sound einer Band nachhaltig verändern würde. Das ist auch oft so, wobei man anmerken sollte, dass plötzliche Abgänge vor allem von Leuten am Mikro heute weit seltener eine überlebensfähige Band hinterlassen als anno dazumal. Blickt man in die 60er, vor allem die späten, herrschte da im Rock ohnehin ein Kommen und Gehen und mitunter hat auch deswegen hier und da fast ein halbes Dutzend Leute auf einer LP Gesangsparts übernommen, weil man sich nie so ganz sicher sein konnte, wer wann wie dafür überbleiben würde. Diese exzessiven Verschiebungen im Personalsektor sind allerdings selten und so sind die markantesten Beispiele im härteren Rock-Geschäft eigentlich die von Ozzy Osbourne und Bon Scott, letzterer allerdings höchst unfreiwillig und zwangsläufig. Beide haben Lücken hinterlassen, die je nach befragter Person und Bandphase besser oder schlechter gefüllt wurden, die aber nie ganz vergessen gemacht werden konnten. Jetzt könnte man bei Iron Maiden nach zwei erfolgreichen Alben mit Paul Di'Anno natürlich ähnliches vermuten, immerhin waren dessen Drogenausschweifungen auch nicht gerade Basis einer lang geplanten Trennung. Bei Iron Maiden war das aber interessanterweise nicht nur egal, es war sogar ein Glücksfall, der der Welt Bruce Dickinson als neuen Frontmann beschert hat. Und der ist ein Hybrid, wie ihn sich die harten Briten nur wünschen konnten.
Gut, Historiker könnten debattieren, ob es nun sein Verdienst war, dass mit seinem erstem Auftritt auf "The Number Of The Beast" die absolute Hochphase der Band eingeläutet werden sollte. Als primär Verantwortlichen darf man schon auch Steve Harris sehen, der als Bassist jetzt weniger im Rampenlicht agiert hätte, dafür aber das Um und Auf beim Songwriting war. Insofern geht der stilistische Wandel wohl zu einem guten Teil auf seine Kappe. Jetzt ist es nicht so, als hätten Iron Maiden 1982 plötzlich Genre-Hopping betrieben, aber dieser manische, etwas verrohte und geradlinige Drive der ersten beiden Alben hat eine prägnante Verfeinerung erfahren. Was am Debüt wie eine härtere und technisch versiertere Variante von AC/DC geklungen hat, vereint knappe zwei Jahre später diese Energie und den unbändigen Nachdruck mit einer atmosphärischen, mitunter dramatisch düsteren Epik, die im besten Sinne an Black Sabbath erinnert. Schwergewichtige, theatralische Trümmer wie Children Of The Damned oder Hallowed Be Thy Name belegen das und verleihen der LP trotz der klarerweise gitarrenlastigen, alles beherrschenden Härte einen unerwarteten Abwechslungsreichtum.
Gleichzeitig verbittet es sich die Band, den britischen Metal-Vorfahren rund um Ozzy auch in puncto psychedelischer und progressiver Spielereien nachzueifern. Das ist durchaus positiv gemeint, denn nichts könnte "The Number Of The Beast" eher zerreißen als plötzlich einsetzende Akustikgitarren, die dank Produktionsmätzchen fuzzy dahinschwimmen und melancholisches Flehen begleiten. Spart man sich genüsslich, stattdessen schließt ein Opener wie Invaders mit seinem High-Speed-Riff direkt am Vorgänger an und macht einem die unwiderstehliche Qualität der Band schmackhaft, punkiges Tempo mit den stadionfertigen, hymnischen Refrainhooks zu kombinieren und dann noch ein frenetisches Gitarrengewitter in Soloform mit einzustreuen. Das ist im Kern die Erfolgsformel des so oft anders aussehenden Quintetts, diesmal allerdings begleitet von lohnenden Abweichungen. Die bieten nicht nur die schleppenden RIffwände von Children Of The Damned oder dessen rollende Drums in der zweiten Hälfte. Auch dass Gangland abgesehen von Dickinsons dramatischem Jaulen fast wie ein gestählter, früher Clash-Track wirkt, entspricht nicht der Maiden'schen Norm.
Den eindeutigen Höhepunkt der in dieser Form noch ungekannten Feinheiten aus der Feder der Briten bildet aber Hallowed Be Thy Name. Dessen atmosphärisch gezupftes Intro, angefüttert mit stockendem Beat und Dickinsons bestem Moment auf der LP, kann durchaus als Blaupause für so ziemlich alles in diese Richtung praktizierte von Metallica und Konsorten gesehen werden. Relativ gesondert steht allerdings der einschüchternd großartige Übergang hin zum Mainriff, der durch das langgezogene "running low" von Dickinson und Clive Burrs Drums flüssiger und effektiver nicht gelingen könnte. Was folgt, ist ein episches Schauspiel mit Burr, vor allem Dave Murray und Adrian Smith in den dominanten Hauptrollen. Letztere toben sich an ihren Gitarren über sieben Minuten genüsslich aus, ohne dabei im Negativen den Rahmen zu sprengen und den emotionalen, dramatischen Unterton des Songs zu bombardieren. Dass sich dieser vielleicht eine bessere oder zumindest andere gesangliche Darbietung verdient hätte, mag sein. An der textlichen Qualität des Exekutionsepos ändert das allerdings wenig:
"Somebody please tell me that I'm dreaming
It's not easy to stop from screaming
But words escape me when I try to speak
Tears fall, but why am I crying?
After all, I'm not afraid of dying
Don't I believe that there never is an end"
Dem gegenüber stehen Bandklassiker wie Run To The Hills oder The Number Of The Beast, die als Paradebeispiele für den Sound der Briten dienen. Als solche Invaders ähnlich, sind es im Groben betrachtet einfache Gebilde. Die Mischung aus Stakkatogesang über galoppierenden Drums und virtuosen Gitarrenparts im Zusammenspiel radiotauglichen Refrains, die allzu oft textlich nicht mehr als den Songtitel anbieten, funktioniert fast immer. Frisch und energiegeladen genug klingen Iron Maiden dafür, auch wenn man selten darauf käme, in solchen Minuten eine musikalische Offenbarung größeren Ausmaßes zu sehen. Die konstante Stärke macht es aus, sie wird auch nur einmal kurz unterbrochen. Das allerdings nur halb, weil das schuldige Total Eclipse auf der Original-LP sowieso keinen Platz hatte, sondern als B-Side von Run To The Hills erst auf der der remasterten 98er-Version dazugeschmissen wurde. In der Form weniger notwendig, weil sich der größte Teil des Tracks als untypisch behäbig herausstellt und trotz martialischer Lyrics keine große Stimmung aufkommen will. Die spürt man dann in etwas anderer Form im plötzlichen instrumentalen Ausbruch mittendrin, der beinahe chaotische Züge annimmt, aber der lebendigste Moment des Songs ist.
Das ist ein Makel, der wenig an der Qualität von "The Number Of The Beast" im Ganzen ändert. Man könnte lapidar feststellen, die dritte LP würde Iron Maiden in deren Reinform darstellen. Das klingt gut, bedeutet aber relativ wenig. Mehr Aussage steckt dafür schon in der Feststellung, dass man hier ein reibungslose, technisch starke und mitunter auch thematisch überzeugende Vermählung von hyperdynamischem Hard Rock a la AC/DC und den drückend schweren, harten und atmosphärischen Epen von Black Sabbath serviert bekommt. In der Praxis passt beides besser zusammen, als es die Theorie vermuten ließe. Die Theorie irrt auch dort, wo der auf einmal auftauchende Bruce Dickinson kein Stolper-, sondern eher wichtiger Baustein für die gleichzeitige Formvollendung klassischer Maiden-Songs und die Erschließung neuer musikalischer Territorien. Die sind nicht revolutionär, aber allemal gut genug, um der Band die eine oder andere neue Facette und dem Album umso mehr Substanz zu verleihen.