von Mathias Haden, 19.07.2014
Verheißungsvoller Start und Probleme mit der Landung – Das Quintett meistert den Telemark nicht.
Man staunte nicht schlecht, als die Kalifornier Anfang des Jahrtausends mit ihrem aufpolierten Morning View einerseits den eigenen Sound erweiterten und andererseits sowohl Fans als auch Kritiker zufrieden stellen konnten. Plötzlich spielte das ehemals belächelte Incubus auf MTV und Co. eine Rolle, die Platten der Band fanden auf einmal zahllose Abnehmer. Was folgte, war eine ausgedehnte Tour und wenig später der Weg zurück ins Studio. Nun hatte man das nötige Kleingeld beisammen und konnte den nächsten Schritt in der Karriere tätigen.
Der logische Nachfolger heißt A Crow Left Of The Murder…, erweitert den eigenen Klang noch um diverse Anleihen aus verschiedenen Genres und entfernt sich wieder etwas vom berechenbaren Vorgänger. Vor allem aber verabschiedet sich die Band hiermit endgültig vom Metal und tauscht die harten Gitarren öfter mal für einen organischeren Pop-Sound. Das Interessante dabei: Gerade mit dem neuen Produzenten Brendan O'Brien (u.a. Pearl Jam) verabschiedete man sich noch weiter vom Ursprungssound als zuvor mit Jill Scott (u.a. R.E.M.)
Dabei teilt Frontmann Brandon Boyd kräftig aus. Opener und Single Megalomaniac zeichnet ein düsteres Gesellschaftsbild (das dazugehörige Video ist klasse) und zündet ein Rockfeuerwerk mit Fanfaren aus verzerrten Gitarren. Dazu noch die aggressiven Lyrics "Hey megalomaniac / You're no Jesus / Yeah, you're no fucking Elvis". Die als Lead-Single zu veröffentlichen ist zwar tollkühn, aber ebenso brillant. Überhaupt hat sich die Band, was 7" 45s Veröffentlichungen anbelangt, wenig zu Schulden kommen lassen. Auf ihrem fünften Studioalbum hat sie diese Kunst weiter perfektioniert und die Spreu klug vom Weizen getrennt. Neben Megalomaniac haben sich mit Talk Shows On Mute, Agoraphobia und Sick Sad Little World weitere Highlights folgerichtig in die Radiostationen verirrt. Erstgenannter ist Boyds Referenz an George Orwells 'Nineteen Eighty-Four' (Big Brother) und punktet mit einer für den Mainstream geeigneten ruhigeren Gangart und an die Eighties angelehnten Synthesizer. Zweiterer ist ebenfalls langsamerer Natur, gewinnt aber mit seinem klugen Aufbau, dem leise/laut-Effekt, hypnotischer Melodie und dem starken Zusammenspiel zwischen Einzigers Gitarre und dem neuen Bassisten Ben Kenney. Und mit dem Letzten erschaffen die fünf Amerikaner + O’Brien eine bandeigenes Fast-Epos. Dieses beinhaltet neben diversen Tempo- und Stimmungsumschwüngen auch die vielleicht stärksten Gitarren- und Bassparts. Auch gelingt es der Gruppe, über 6 atmosphärische Minuten kaum zu langweilen.
Und während ich hier die gelungene Singles-Selektion abfeiere, verharren in den schattigen Minuten der LP doch einige Ausrutscher. Gerade die zweite Hälfte des Albums verfällt zu oft in pure Belanglosigkeit und beiläufiges Gitarren-Gegniedel. Die Ballade Southern Girl kann man trotz mäßigem Text und träger, spannungsfreier Musik zumindest als angenehme Abkühlung nach einer packenden ersten Halbzeit betrachten, aber was etwa rechtfertigt die Hereinnahme von Priceless, einem Track mit unspektakulärem Gekreische als folgenden Romantikkiller?
"The look on your face was priceless
The look on your face was priceless
Yes, the look on your face was priceless
That look it was"
Danach wird es freilich wieder ein wenig besser, aber weder das schwachsinnige Zee Deveel ("You should be careful what you wish for / 'Cause everyone of us has a devil inside / You should be careful what you wish for / 'Cause all I want abounds becomes you, you"), noch die zähe Routinenummer Made For TV Movie können vor dem entnervten Blick auf die Uhr bewahren.
Auf der anderen Seite wiederum bietet das Album auch genug Argumente, die Band nicht in die undankbare Schublade als 'Singles-Band' zu verfrachten. Der Titeltrack lädt mit seinem Pop-Appeal und der eingängigen Melodie zum Tanzen ein und Pistola lässt mit seinem Gewitter aus Gitarre, Bass und Drums endgültig die Fetzen fliegen. Und auch die ungeliebte zweite LP-Seite hat ihre Vorzüge. Zumindest die großartige Ballade Here In My Room muss an dieser Stelle erwähnt werden. Die macht alles richtig, woran Southern Girl gescheitert ist, und bildet den einzigen Lichtblick eines insgesamt doch enttäuschenden Endspurts.
Eigentlich sollten sich Ying und Yang also gleichermaßen neutralisieren, aber das tun sie nicht. Zu sehr amüsieren die Jungs in den kurzweilig gehaltenen, besten Minuten. A Crow Left Of The Murder… ist für das Quintett aus Kalifornien somit ein weiterer Schritt in die richtige Richtung und das beste Album seit dem Funk-Rock/Metal Kapazunder S.C.I.E.N.C.E.. Leider versäumt es die Band diesmal, sich von den unliebsamen 'Owezahrern' zu trennen und liefert eine LP ab, die gleichermaßen mit beeindruckenden Karrierehöhepunkten, als auch mit unverleugbaren Nieten voll gepackt ist. Dennoch, der Eindruck ist positiv, denn sowohl musikalisch als auch lyrisch hat sie sich gut weiterentwickelt und weiterhin nichts von ihrem Wiedererkennungswert eingebüßt. Auf EP-Länge wären Incubus wohl sowieso die große Nummer aus den Staaten…