von Kristoffer Leitgeb, 10.04.2015
Die Newcomer landen genau dort, wo man im Pop-Rock eben heute landet: Im Tal der Seelenlosen.
Kommen wir also nun zu Teil 2 unserer kurzen Abhandlung 'Pop-Rock damals und heute'. R.E.M. haben hinlänglich bewiesen, dass das 'damals' ziemlich gut ausgesehen hat. Nun gilt es für die New Generation dementsprechend nachzuziehen. Und da hat man sich nicht lumpen lassen und gleich mal ein richtiges Kaliber herangekarrt, damit auch wirklich gleich mal in jeden Kopf reingeht, dass der Fortschritt und nur der Fortschritt Gutes bringen kann. Wir sprechen da von wahren Größen der musikalischen Moderne, beinahe schon Koryphäen. Weil aber die ohnehin genretechnisch fast nicht qualifizierten Arctic Monkeys und Kings Of Leon abgesagt haben und Coldplay bei irgend so einem Benefizevent auftreten wollen, bleibt’s doch irgendwie bei den Imagine Dragons. Aber hey, die verkaufen sich wie Sau, machen Pop-Rock wie Sau und repräsentieren die Moderne…wie Sau. Also ziemliche Schweinderl, die großen Newcomer, und klanglich auch eigentlich ganz schön, na, ihr wisst schon.
Also, jetzt nicht direkt unter aller Sau, aber doch irgendwie nicht gut. Aber zuerst mal zurück zum Anfang. Am ersten Tag schuf Gott… äh… Ok, egal, bin nicht bibelfest. Die Imagine Dragons schufen allerdings in ihren ersten Tagen irgendwas Elektronisches, was man auch entfernt Rock nennen durfte. Darauf aufbauend landet man mit "Night Visions" eigentlich dort, wo Coldplay vor zehn Jahren, die Killers immerhin vor fünf waren. Also ist der Synthie-Pop mit Alibi-Indie-Zusatz die Zieldestination und Spielwiese des Vertrauens. Das klappt dann schon irgendwie. Zumindest in puncto Verkäufe darf man ihnen da Recht geben. Doch musikalisch ist bereits die seit der Entdeckung des Albumformats hochheilige Eröffnung ein ziemlich befremdliches Erlebnis. Ok, 20 Sekunden nett überproduziertes Gitarrengedudel, damit kann man was anfangen. Aber dann ist bei Radioactive schon ziemlich wenig Licht am Ende des Tunnels. Ein alles zertrümmernder Beat mitsamt schwachsinnigem Elektronik-Beiwerk und einer Stimme, die ganz klar bestätigt, dass Chris Martin von dieser Seite keine Konkurrenz im Kampf um die beste Stimme im Pathos-Rock bekommen wird. Gut, manchen gefällt’s, so wie es aussieht.
Aber keine Sorge, das von Vielen vorgebrachte Lob ist auch andernorts eher eine Art missglückter Scherz. Tiptoe wird mit seiner Keyboard-Line zur Rückbesinnung auf die 'Miami Vice'-Ära und birgt Sounds, die vielleicht gut gewesen wären, hätten sie die Pet Shop Boys unter die Finger bekommen. So wird's zur trägen Mischung ohne jegliche Power, dafür mit schon früh bedenklich unmotiviertem Gesang und unspektakulären Gitarreneinsätzen. Man scheint da irgendwie dem Mittelmaß verpflichtet zu sein. Ob mit dem nur sporadisch wirklich wachen Stadionrock von Demons, der wieder einmal einen miserablen Beat sein Eigen nennen darf, oder Hear Me, das nun wirklich nur mehr haarscharf vom frühen Sound der Killers zu unterscheiden ist, es kommt wenig Dynamik oder Spielfreude in die LP. Die Band agiert nach dem Motto 'Mach mich nicht nass, tu mir nicht weh' und fährt damit einwandfrei in eine Zukunft voll von zwangsbeschallten Supermarkt-Kunden und Ö3-Hörern.
Kann aber schon mal vorkommen, dass es auch schlimmer endet. Wer ihnen eingeredet hat, sie müssten auf sonnige Gute-Laune-Kombo machen, bevor sie Underdog aufnehmen wollten, sollte sich bald rechtfertigen müssen. Dodl-Musik nennt man sowas, sowohl textlich als auch musikalisch zwischen charakterlos und lächerlich. Und davon, dass Keyboard und Computer mal der Stecker gezogen würde, ist auch keine Spur. Noch nicht einmal im mühsamen Bombast-Track Every Night kann man es ganz sein lassen, auch wenn Sänger Dan Reynolds da wirklich die alleinige Hauptrolle bekommt. Nicht zu seinem Besten.
Weil aber selbst solche Hühner mitnichten verhungern wollen, finden sie schon ihre paar Körner. Allen voran Leadsingle It's Time könnte man als solches bezeichnen. Deren Percussion beweist von Beginn weg viel mehr Mut zur Eingängigkeit und vor allem die Fähigkeit, nicht alles zwanghaft zu dominieren. Was auch daran liegen könnte, dass der helle Sound der Mandoline die Strophen prägt und zum Lohnendsten der ganzen LP macht. Und kaum zu glauben, aber sogar die sonnige Gute-Laune-Kombo darf dann mal besser ausschauen und mit On Top Of The World für lohnende Minuten sorgen. Geht ja doch, so ein paar lockere Gitarrenakkorde, nette Claps dazu und ein stupides Pfeifen ständig im Hintergrund und schon ist man hier vorne dabei.
Was insgesamt schwieriger wird, weil man in der zweiten Hälfte selten nicht langweilt und selbst mit der potenziell kraftvollen Ballade Bleeding Out nur solange gut zurechtkommt, wie der wuchtige Elektronik-Kram im Refrain unentdeckt bleibt. Geht dank ordentlichem Text wenigstens noch als vergebene Chance durch. Und weil sonst schon alle anderen Tracks genannt wurden, darf auch der Closer Nothing Left To Say nicht fehlen. Auch der hätte dank ordentlicher Vorstellung von Reynolds das Potenzial zum stimmungsvollen Ende, zieht sich aber endlos, nur um im Hidden Track die vitalsten Minuten der LP zu offenbaren.
Was, so viel Sherlock steckt in jedem, nicht das allerbeste Gütesiegel für ein Album ist. Die Imagine Dragons kämpfen in Wahrheit damit, dass sie zu modern sind. Denn modern heißt heute auch irgendwie seelenlos und das ist für das Musikgeschäft nur kommerziell hilfreich. Ansonsten hat diese glatte, nur von harten, unförmigen Beats wirklich geprägte Performance etwas ziemlich Müdes und Motivationsbefreites an sich. So schaut's dann im Vergleich zu den poppigen Rockern von damals, R.E.M., irgendwie nicht sonderlich gut aus. Klar, man hat größere Verbrechen gehört, aber nach 70 Jahren Popgeschichte braucht dieses Album eigentlich keiner mehr so wirklich.