von Kristoffer Leitgeb, 06.04.2016
Die Alltagsflucht verführt zur Suche nach Pop-Melodien und klanglicher Singularität.
Ich merke bei mir eine gewisse Anti-Faszination für alles, was mit dem Begriff 'Indie' in Verbindung steht. Diese nimmt zu, je länger ich mich mit Musik beschäftige. Vielleicht kommt das nur, weil diese Musik auch dank ihrer Nicht-Definition quasi überall ist, vielleicht genauso daher, dass sich primär eine schwierige Gruppe von Menschen von dieser Musik angesprochen fühlt. Es geht schlimmer - immerhin gibt's Dinge wie Techno oder Prog -, auch dann, wenn an Indie noch unbedingt der Folk drangehängt wird und so von verwöhnten Seelen ein Genre seiner Tiefe und seines Inhalts beraubt wird, nur um Pseudo-Melancholie und musikalische Ahnenverehrung zu propagieren. Bei Hard-Fi macht man wenigstens das nicht, sie haben aber zumindest einmal für kurze Zeit den Indie-Rock im UK angeführt, sind also bewiesenermaßen Mittäter. Groß bestrafen braucht man trotzdem nicht, auch weil die Londoner immerhin genug aus dem Hütchen zaubern, um nicht als reine Mitläufer dazustehen.
Dem zu Grunde liegt die DIY-Natur von "Stars Of CCTV". Großteils selbst produziert und aufgenommen mit, wenn schon nicht archaischen, dann wenigstens sehr billigen Mitteln, klingt die ganze Angelegenheit unbearbeitet genug, um die pflichtschuldige Pop-Glätte, die sowohl das Songwriting, als auch der Gesamtsound ausstrahlen, rechtfertigen zu können. Man hat nicht viel getan, um dem fast unentwegt werkenden Quartett zu Größerem zu verhelfen, stattdessen sollen aufnahmebedingter Nachhall und Richard Archers unschuldig-weinerliches Stimmchen dafür sorgen, dass ein Hauch von Einzigartigkeit in der Luft liegt. So weit kommt's nicht, doch die Briten erweisen sich einer gewissen Aufmerksamkeit durchaus würdig, zumindest punktuell. Im Opener probiert man es mit unheilschwangerem Mundharmonika-Intro, lässt sich mit einer Mischung aus starker Bassline, Drums, Claps und ganz dezenten Elektronik-Beats zu einem Percussion-Exzess hinreißen. Cash Machine lässt ihn trotzdem nur bedingt erkennen, über allem thront Archers Lamento vom latenten Geldmangel. Das Gesamtpaket passt, weil sich die Zurückhaltung der Gitarren positiv in der Lautstärke widerspiegelt, weil die Band weiß, wie man eingängige Refrains zusammenzimmert, und weil in der Einfachheit der dargebotenen Zeilen mehr als ein Funken Wahrheit steckt.
Von all dem ist später auch noch einiges zu spüren, nur die Gitarren melden sich bald aus der Verbannung zurück. Das zündet wie im Falle des lockeren Vorstadt-Rockers Tied Up Too Tight sehr ordentlich, paaren sich doch im unspektakulären Arrangement zumindest ein klein wenig eines eigentlich lange verlorenen Rock-Ethos und ein beneidenswertes Talent für passende Hooks. Oder anders formuliert: Riff und Solo sitzen, die Rhythm Section sitzt, der Background-Chor im Refrain sitzt und auch der gewöhnungsbedürftig pointierte Gesang sitzt. Würde ihnen jetzt noch etwas einfallen, um einen davon zu überzeugen, dass einem genau das nicht auch von vielen anderen Bands jeden Tag geliefert werden könnte, wären sie wirklich großartig. Oder anders formuliert: Bei Hard-Fi fehlt der Killerinstinkt, den die artverwandten Arctic Monkeys ihr Eigen nennen dürfen.
Deswegen sind Songs wie Feltham Is Singing Out oder Better Do Better super, aber doch nicht ganz. Also so wie 'Batman' ein starker Film ist, wenn man allerdings auch 'American History X' schauen kann, wird's eng. Trotzdem überzeugt Better Do Better, ähnlich wie das reine Klavier-Stück Move On Now, als balladesquer Kontrast zur Up-Beat-Masse, die das Album beherrscht. Gleichzeitig ist es wohl auch der Song, bei dem man produktions- und studiotechnisch am ehesten Gas gegeben hat, die eingestreute Trompete, das glasklare Akustik-Gezupfe und die leichten Streicher im Hintergrund legen das zumindest nahe. Während sich das potenziell pompös anhört, gibt man sich von Bandseite relativ bescheiden und zurückhaltend, nimmt Abstand von zu viel Pathos. Deswegen klingt nur der Refrain groß, rundherum regiert drumgetriebene Milde, die vor allem von Archers wütenderem Auftritt am Leben gehalten wird. Feltham Is Singing Out ist auch nicht wirklich fröhlich, zeigt die Band aber textlich von ihrer besten Seite, porträtiert Kriminalität und das Gefängnisleben humorvoll zynisch und durchaus düster:
"You don't like prison life
You loved to watch the sky
And you get beat and injured
End up throwing up all night
You could not take no more
So when they closed the door
Tied up your sheets - strang yourself up
And then you were no more, no more"
Da mutet es gleichsam bemerkenswert wie makaber an, dass der Track mit seinen dynamischen Riffwänden, dem starken Beat und prägnantem Streicher-Part zum größten Ohrwurm der LP wird und sich in einem Gemisch aus aggressiven Tönen und ausgelassener Lockerheit wiederfindet.
Bezeichnend allerdings für das Album als Ganzes. Denn das Debüt der Band ist textlich problembeladen, schildert den tristen Alltag ohne die humorvollen und karikierenden Allüren der Monkeys, dafür mit einer fast apathischen Fröhlichkeit. Beinahe so, als würde die Problembewältigung direkt zu den Clash-esquen Reggae-Rhythmen von Middle Eastern Holiday führen müssen, als wären Pop-Eingängigkeit und Zerstreugung das einzige Ziel. Wann immer sich diese hedonistisch anmutende Einstellung voll entfalten darf, wird es durchaus schwierig mit den Briten. Gotta Reason streift irgendwo zwischen banalen Punk-Anleihen und Pseudo-Funk umher, verendet trotz der vorteilhaften Produktion eher kläglich als anstrengende Party-Hymne. Living For The Weekend trägt dagegen das Problem schon im Namen. Wenn sich die alltäglichen Probleme nur mehr durch die Party am Wochenende und durch Disco-Rhythmen ertragen lassen, dann hapert es an der eigenen Lösungskompetenz.
An anderer Stelle wissen Hard-Fi besser damit umzugehen, auch wenn sich Archer und seine Kollegen nicht und nicht von dem Gedanken trennen wollen, dass die in den Lyrics beschriebene Tristesse gleich viel besser wird, wenn man nur die richtigen Pop-Hooks auspackt. Man kann damit leben, auch weil einige Songs auf "Stars Of CCTV" dadurch relativ situationselastisch sind und immerhin nicht jede Emotion aus der LP gesaugt wurde. Gelungen ist es ihnen nicht immer auf dem Erstlings- und erfolgreichsten Werk, aber gerade dafür, dass es ihnen an jeder erkennbaren Genialität mangelt, springen genug Momente heraus, die sich aus der durchschnittlichen Masse herausheben. Ein guter Auftritt also. Kein sonderlich großartiger, kein sonderlich interessanter. Indie eben...