von Kristoffer Leitgeb, 04.05.2019
Ein tödlicher Spagat und die Suche nach dem Sinn im Nichtssagenden.
Musikalische Härte ist, sowohl im Rock- als auch im Elektronikformat eigentlich ein ziemliches Nischenprogramm. Das war es natürlich immer schon, selbst in den Tagen, als Led Zeppelin und Black Sabbath zu den größten Rockbands gehörten oder sich an den Chartspitzen Metallica und Nirvana abwechselten. Natürlich kann man in diesen Zeiten davon sprechen, dass röhrende Gitarren, schwergewichtige Riffs und virtuose Soli durchaus massentauglich waren, aber das sind vereinzelte Erscheinungen, die unter anderem dadurch entschärft wurden, dass auch Singles wie Stairway To Heaven oder Nothing Else Matters dafür in hohem Maße mitverantwortlich waren. Nichtsdestoweniger kann es durchaus ein Erfolgsrezept sein, Rock oder Metal in härterer Ausführung anzubieten, selbst wenn das nur in einschlägigen Internetforen wirklich mehrheitsfähiges Material sein sollte. Genial klingen kann es ja so oder so. Was man aber tunlichst vermeiden sollte, ist sich an einem Drahtseilakt zu versuchen, der Metal und Hard Rock irgendwie mit massentauglichem Pop-Rock verbindet. Das überspannt den Genrebogen und klingt fast immer nach einer akustischen Identitätskrise. An der sind genau mit diesem Rezept auch Halestorm nicht wirklich vorbeigekommen.
"Into The Wild Life" ist dahingehend ein Paradefall verfehlter klanglicher Veränderung. Das heißt nicht, dass die früher omnipräsenten Gitarren plötzlich schweigen würden. Es ist nicht einmal so, dass man ihnen verboten hätte, laut zu sein oder primär über Power Chords zu kommunizieren. Das ist noch immer relativ oft der Fall, wenn auch nicht in so dominanter Art und Weise wie auf den vorherigen Alben. Doch der Hauch von Verweichlichung liegt überall in der Luft, auch in den lauteren Minuten. Opener Scream ist dahingehend schon der erste Schritt in vermeintlich chartfreundliches Terrain, weil es dank unvorteilhafter Produktion trotz harter Riffs eher kleinlaut anmutet. Man käme da nicht in die Verlegenheit, an eine Band zu denken, die wirklich einmal dem Metal zugeneigt war, außer man verbindet den Begriff hauptsächlich mit dem, was Seether oder Evanescence so anzubieten haben. Selbst im Vergleich zu letzteren ziehen Halestorm hier allerdings den Kürzeren, weil Lzzy Hale zwar gesanglich einer Amy Lee in nichts nachsteht, die Popsensibilität aber einiges zu wünschen übrig lässt und dementsprechend die mangelnde Härte im Sound dafür sorgt, dass man gelangweilt ist, als dass viel im Ohr hängen bliebe.
Und das zieht sich durch diese LP. Begünstigt wird das auch dadurch, dass Hale zwar sicher so gut singen kann wie Amy Lee, aber das eben doch ziemlich anders tut. Denn das voluminöse Organ der Halestorm-Sängerin ist eher durchdringender Natur und übermannt einen schon mal mit seinem lauten, rauchigen Nachdruck. Da passt es nicht zusammen, dass gleichzeitig die Instrumente eher auf Sparflamme erklingen, während sie mitunter versucht, möglichst viel aus sich herauszuholen. Schon I Am The Fire ist kurz davor, an diesem Dilemma zu scheitern, rafft sich aber zu einem vor allem gesanglich großartigen Refrain auf, in dem auch die Beschallung durch die Drums und Gitarren passt. Diesem Beispiel folgend, sind es ganz eindeutig die wirklichen Härteeinlagen, die das Album zu retten versuchen. Mayhem und Sick Individual präsentieren sich dahingehend erfreulich geradlinig und hauen zwar nichts und niemanden um, belassen die Band aber musikalisch im gewohnten Terrain und damit in einem Umfeld, das wenig darauf gibt, nicht den gesamten Song in Power Chords und gewichtigen Blues-Riffs einzukleiden. Schade ist da nur, dass man gleichzeitig davor zurückschreckt, das erratische Alt-Metal-Intro von Mayhem zum Kern des Songs zu machen und stattdessen schleppende Strophen darauf warten, vom energiegeladenen Refrain und damit dem Höhepunkt des Albums abgelöst zu werden.
Alles, was rundherum geboten wird, ist trotz sporadischer Anflüge ordentlicher Arbeit geplagt von zwei allzu offensichtlichen Baustellen. Zum einen wäre da der plötzlich gefundene Hang zum melodramatischen Balladentum, der das Quartett mitunter so klingen lässt, als hätte man Outtakes von P!nk- oder Kelly-Clarkson-Alben eingespielt. Überdeutlich wird das im schon entsprechend betitelten Dear Daughter, das als bedeutungsschwangere Motivationshymne für verunsicherte Mädchen klischeehaften Boden beschreitet, was man durch das kitschige Soundgewand rund um das ultraglatte Klavier noch unterstreicht. Umso bedenklicher, dass daraus trotzdem die beste der gebotenen Balladen wird, auch wenn das zu einem guten Teil am atmosphärischen, wirklich starken Outro liegt, dessen Roots-Rock-Charme leider in das monotone New Modern Love übergeht. Bad Girls World oder What Sober Couldn't Say sind allerdings übertrieben gefühlsbetonte Songs, die musikalisch nichts am Leben erhält und die mit Blues- und Gospel-Einflüssen schmerzhaft unpassend für die Band und das Album anmuten.
Vielleicht ist aber, auch wenn das schon die wirklichen Tiefpunkte der LP waren, trotzdem wichtiger, was die anderen Songs ausmacht oder auch nicht ausmacht. Denn die härteren Lieder sind nicht
in der Unterzahl, sie sind nur beinahe durch die Bank eine Enttäuschung. Biedere Mäßigkeit dominiert da, was einerseits daran liegt, dass die Stadion-Rock-Avancen allzu offen zur Schau getragen
werden, wenn es an einen trägen Refrain wie den von Amen und dessen ungut klingende Chants geht. Andererseits hat es damit zu tun, dass nie auch nur eine Sekunde lang das Gefühl aufkommt, Hale
oder sonst irgendwer hätte etwas zu sagen. Halestorm agieren hier auch auf textlicher Ebene harmlos und inhaltsarm, strampeln sich von einer harten Ansage zur nächsten, nur um am Ende beinahe mit
leeren Händen dazustehen, weil die meisten kräftig ins Mikrofon gesungenen Parolen eher stumpfer Individualistenhaltung entspringen und selten die Tiefe einer Zeile wie "Na na
nananana, I get what I want and I’m gonna get mine" übersteigen. Das stört immer dann nicht, wenn es wie in Sick Individual und Mayhem immerhin noch so lebendig, kraftvoll
und mit solcher Inbrunst dargeboten wird, dass man es als unterhaltsam und zum Mitschreien empfindet. Bis zum wiederum krampfhaft hörbaren, von Claps verunstalteten Closer I Like It
Heavy ist man dessen allerdings definitiv überdrüssig und sieht eigentlich schon Nickelback ums Eck schielen.
Und das ist definitiv kein sonderlich gutes Zeichen. "Into The Wild Life" ist allerdings zu oft genau das, was auch die kanadischen Chartdominatoren der 00er-Jahre sind: Laut, stumpf und gefangen im Uncanny Valley zwischen drückender Härte und dem Verlangen danach, doch locker-leicht hörbar zu sein. Für Halestorm endet der Besuch genau dort insofern fatal, als dass man sich nicht nur mit mäßiger Kost begnügt, wo man wirklich die Gitarren sprechen lässt, sondern dass darüber hinaus noch Balladen dazwischen eingestreut werden, deren Aufmachung und Inhalt eher kitschiger Natur und entsprechend wenig effektiv ist. Im Gegenteil langweilen ruhige Minuten hier ganz gewaltig, spießen sich auch mit den lauteren Tönen, die rundum dominieren und auch atmosphärisch in die entgegengesetzte Richtung steuern. Das allerdings ist eine Zerrissenheit, die für dieses Album symptomatisch ist. Halestorm finden keine Balance zwischen der früheren Härte und dem Vorstoß in Richtung sanftmütigerem, chartfreundlicherem Ton, zwischen übertriebener Dramatik und seichten Parolen. Das Ergebnis ist erwartbar bescheiden.