von Kristoffer Leitgeb, 31.01.2018
Folky Power Pop als Mittel der Wahl fürs Erwachsenwerden ohne ausufernde Langeweile.
Das mit dem Pop-Punk ist ein kleines bisschen vorbei, könnte man behaupten. Nicht, dass es sie nicht noch gäbe, die ewig Ausharrenden, die trotz Schrauben an den kleinsten zu findenden Rädchen und also Stilabwandlungen immer noch dem Genre die Treue halten. Green Day gehören sogar noch so ziemlich dazu. Aber die Zeiten der gesicherten Multi-Platin-Ehren mit simplen Pop-Hooks auf hellen Power Chords sind Geschichte. Es ließe sich natürlich rein musikhistorisch erörtern, warum das so ist. Die Gitarre ist zum Beispiel in ihrer Beliebtheit als Instrument nicht im Steigen inbegriffen, betrachtet man die erfolgreichen Strömungen der letzten 15 Jahre. Man kann aber auch einfach davon sprechen, dass die heranwachsende, gigantische Meute, die den Pop-Punk groß werden hat lassen, irgendwann das Heranwachsen beendet und damit auch zunehmend das Interesse am Genre verloren hat. Meiner einer weiß das, er zählt dazu. Und obwohl am Höhepunkt des Hypes um blink-182, Sum 41 und andere angekommen, dürfte einem kalifornischen Trio das mit der einfachen Erfolgsformel auch ein wenig wohin gegangen sein. Geboren ward "Warning."
Und das ist erst einmal wenig groundbreaking im eigentlichen Wortsinne, wobei sowas von Green Day ohnehin keiner erwartet hätte. Musikalische Paradigmenwechsel von der Band, das wär höchstens 2004 kurzzeitig möglich. Vier Jahre früher, da hat man sich noch eher damit herumgespielt, die altbekannten Rezepte des eigenen Dauererfolgs so weit mit interessanten Komponenten anzureichern, dass man sich nicht mehr so sehr an das Geschrammel und die Storys von Langeweile und Interessenlosigkeit erinnert fühlt. Weil die LP verhältnismäßig positiv und also inhaltlich ausgewogener daherkommt, braucht es auch eine klangliche Wandlung, die das einigermaßen verkörpert. Tut Power Pop mit direktem Draht zu Dylan und Beatles so etwas? Nicht so wahnsinnig, andererseits muss man anmerken, dass die plötzliche Anwesenheit lockerer, temporeicher und durchaus mit nötigem Nachdruck zum Besten gegebener Folk-Melodien erfrischend wirkt für eine Band, die davor vier Alben lang die gleiche Stimmung und letztlich das gleiche musikalische Menü serviert hat. Vom Titeltrack weg weht hier ein etwas anderer Wind, der nicht mehr das weinerliche Gesudere von "Nimrod" in den Mittelpunkt stellt, sondern stattdessen den Zynismus von Billie Joe Armstrong für Lebensweisheiten der dünnen, aber pointierten Art nutzt. Effektiv pflügt er sich einmal quer durch die Gesellschaft, flüchtet sich aus dem Stress, um sich im gleichen Moment ein bisschen isoliert zu fühlen, an der Politik anzustreifen, sich in den BDSM-Keller zu verirren und trotzdem noch die große Liebe in der Kirche zu finden.
Jetzt ist nichts Reichhaltiges oder sonderlich Hörenswertes in Zeilen wie "Today is the first day of the rest of our lives" versteckt, was Church On Sunday zum eindeutig lauwärmsten aller Tracks werden lässt, auch wegen der banalsten Zurschaustellung alter Formeln, die man sich hier erlaubt. Abseits davon ist "Warning" mitnichten voller Risiken oder gar abenteuerlustig. Das Grundkonzept ist dafür zu simpel, aber es sind die vielen gelungenen, bemerkenswert stark platzierten Nuancen, die für das insgesamt bis dahin stimmigste Klangbild der Band sorgen. Wenig traut sich, so drastisch vom Pop-Punk abzuweichen wie das auf ganz eigene Art großartige Misery, dessen Mischung aus Folk-, Polka- und Mariachi-Einflüssen den notwendigen schrägen Hauch besorgt, um dem stampfenden Beat und Armstrongs skurrilen Zeilen auf die Sprünge zu helfen. Der Rest ist fast durchgehend irgendwo dort anzutreffen, wo die Beatles in ihrer Folk-Phase mit den Ramones verschmelzen und ein Mid-Tempo-Bastard mit verführerischer Nähe zu luftigen Arrangements und klassischen Rock-Rhythmen hier, treibenden Riffs und Drums dort. Castaway, Deadbeat Holiday, Blood, Sex And Booze, die alle werden so zu eingängigen Ohrwürmern, die zwar keinen Hehl daraus machen, dass die Inspirationsquellen immer wieder sehr ähnlich sind, trotzdem aber weniger gleichförmig klingen als die endlosen Riffwände auf "Insomniac."
Ein leicht fahler Beigeschmack bleibt vor allem deswegen, weil keinem der drei Bandmitglieder ein wirksames Rezept eingefallen sein dürfte, wie man der Absenz eines wirklich unentrinnbaren Volltreffers entgegenarbeiten könnte. Während Billie Joe Armstrongs Songwriting unweigerlich verbessert wirkt und er sich textlich wieder und wieder erfolgreich gegen das Absacken ins halbgare Selbstmitleid wehrt, bleibt die musikalische Melange eine, der zwar die Harmonie aus allen Poren quillt, die aber dementsprechend ein paar Ecken und Kanten vermissen lässt. Etwas zu gezähmt präsentiert sich alles, selbst wenn man sich mit Mundharmonika, Saxophon oder Mellotron darum bemüht, die mangelnde Aggressivität durch instrumentale Zubauten irrelevant zu machen. Und es funktioniert insofern, dass man trotz mäßiger Routineübungen wie Jackass nicht daran vorbeikommt, in "Warning" das konstanteste aller bisherigen Alben des Trios zu sehen. Beflügelt von den starken Hooks und Armstrongs offensichtlichem Gefühl für die Facetten des leichteren Sound, den man sich zugelegt hat, will die LP fast nie mäßig klingen. Stattdessen stapelt man eine Reihe mehr als ordentlicher Tracks aufeinander, die letztlich in Leadsingle Minority und damit der besten Verwendung der Mundharmonika, der besten Hook und dem angriffigsten Refrain gipfeln.
Mit einem Wort ist "Warning" aber trotz der Konstanz als prägendstem Merkmal vor allem eines: Erfrischend. Die sechste LP der Kalifornier ist, selbst mit den erratischen Genresprüngen des Vorgängers im Hinterkopf, die erste mit der man über den relativ eng bemessenen Tellerrand des eigenen musikalischen Treibens hinausgeht. Dass es noch immer ein offensichtliches Green-Day-Album ist, kann man ihnen dann vielleicht anlasten, nur hat die Band es durchaus eindrucksvoll hinbekommen, sich die guten Seiten der Vorgänger zu bewahren und mit dem verfeinerten Songwriting und den stark eingebauten Einflüssen aus dem Folk und Rhythm & Blues zu verbinden. Daraus würde dann ganz schnell die geschlossenste LP der Band, wäre ihre Diskographie nicht fast ein Jahrzehnt lang von genau dieser Eigenschaft geprägt gewesen. All diese positiven Seiten kommen zwar mit dem Wermutstropfen, dass nichts hier wirklich nahe dran ist, ein neues Basket Case zu werden, dafür ist es dem Trio immerhin gelungen, sich auf genau die richtige Art vom hauseigenen Pubertäts-Rock zu verabschieden.