Die Rückbesinnung auf alte Tugenden als vergnüglicher Pop-Befreiungsschlag.
Als Rockband hat man es dieser Tage wahrlich nicht einfach. Egal, was man auch macht und wie man es wendet und versucht, so wirklich recht kann man es leider niemandem mehr machen. Erdiger, ehrlicher Rock ist langweilig und angestaubt und wer seinen Sound erweitern will, ist ganz einfach nicht authentisch. Diesen Rucksack hat man als moderner Rockmusiker wohl zu tragen. Besonders, wenn man dreißig Jahre nach den Who oder Queen eine Rockoper veranstaltet und damit tatsächlich Erfolg hat. Besonders, wenn man danach noch einen draufsetzen muss und damit irgendwie nicht mehr ganz so erfolgreich ist. Besonders, wenn man wiederum danach den bierernsten Konzeptalben den Rücken kehrt und einfach aus Jux und Laune heraus drei LPs in kürzester Zeit aufnimmt und allen Ernstes veröffentlicht. Und ganz besonders dann, wenn man Green Day heißt.
Einst für wahrhaft große Kompositionen über Langeweile und den Konsum von Marihuana angepriesen, dann als Heroen des Rock vergöttert und heute - so hart das auch klingen mag - abseits der Rolling Stone-Jahreslisten und ihrer diesjährigen Einführung in die Rock 'n' Roll Hall of Fame irgendwie... verpönt. Das kommt aber nicht von ungefähr, wollte die Entscheidung, mit ¡Uno!, ¡Dos! und ¡Tré! in weniger als vier Monaten drei Studio-LPs zu veröffentlichen und dabei praktisch jeden einzelnen aufgenommenen Track zu verwenden, doch nicht jedem schmecken. Noch bizarrer wurde es allerdings, als Leader Billie Joe Armstrong verlautbaren ließ, "this is the best music we've ever written".
Und so recht will der Frontmann mit seiner kühnen Äußerung nicht die eigene Zustimmung finden. Klar, nach der pathetisch angehauchten, überambitionierten Phase der Konzeptalben brauchte es mal wieder lockere, frivole Töne ohne großen Tiefgang. Eine Rückkehr zu den Wurzeln und schnörkellosem Pop-Punk der alten Tage bot sich da freilich an und wurde - kaum überraschend - letzten Endes auch angepeilt. Auf ¡Uno!, dem ersten Teil der Trilogie, dominieren jedenfalls lebensbejahende Power Pop-Riffs, gute Laune und die altbewährten, eingängigen Green Day-Hooks. Alles beim Alten also und doch irgendwie anders - was unter anderem auch daran liegt, dass mit Gitarrist Jason White erstmals ein viertes Mitglied offiziell vom bandinternen Platz der Credits lachen darf.
Diese unbeschwerte Aufbruchsstimmung hört man bereits bei Opener Nuclear Family, der wie die Schnittmenge zwischen Nimrod und dem Rock 'n' Roll-affinen Nebenprojekt Foxboro Hot Tubs klingt und einen formidablen Einstieg bereitet, bestens heraus. Mit längst vergessenem Melodienreichtum und einer Palette an ordentlichen, memorablen Riffs geht es in der Folge weiter - und das die meiste Zeit gar nicht schlecht! Auch wenn man den Jungs ankreiden muss, dass der überaus glatte Sound der wiedererstarkten Lebensfreude nicht so recht zu Gesichte stehen vermag, machen sich Stücke wie Stay The Night oder Carpe Diem mit ihrem lässigen Drive und der besten Gitarrenarbeit seit American Idiot doch verdammt ordentlich.
Dass Armstrong, Mike Dirnt und Tré Cool plus White aber nicht allzu viel Zeit ins Schreiben der Songs investiert haben können, erkennt man an deren textlicher Güte. Man kann versuchen, das zu beschönigen, von anderweitig gerichtetem Fokus palavern, im Endeffekt werden das vor Kitsch nur so triefende Sweet 16 und besonders der lächerliche Dance-Punk-Versuch von Kill The DJ - zu allem Übel auch noch als Single veröffentlicht - dadurch aber auch nicht besser - ganz im Gegenteil. Mit der Single-Auswahl scheint sich das neue Quartett knappe zehn Jahre nach Wake Me Up When September Ends aber ohnehin wieder schwer zu tun. Während Let Yourself Go in dieser Hinsicht verdammt wenig hergibt, zumindest aber die entfesselte Rock-Leidenschaft in der Gitarrenhölle zelebriert, ist Oh Love einfach nur ein zäher, aufgeblasener Klotz - die längsten und unspektakulärsten Minuten der LP und meinem Kollegen immer wieder eine abschätzige Bemerkung wert.
Demnach bleibt ¡Uno! - wie so manches im Bandkanon - ein Album, über das man besser nicht zu lange sinniert und von dessen positiver Beschwingtheit man sich einfach mitreißen lassen sollte. Insofern ist die mittlerweile bereits neunte Studio-LP ganz klar mehr als die Summe ihrer Einzelteile, auch wenn es mit Stücken wie dem späten Highlight, dem coolen Rusty James und seinem tadellosen Refrain bis zum Ende ja doch noch einige starke Darbietungen akkumuliert. Der Mut und die Hingabe für das überzeichnete 21st Century Breakdown und dessen beste Tunes in Ehren, ist der Rückzug zu lockeren Rhythmen und hellen Gitarrenriffs trotz aller klanglicher Glattheit und Berechenbarkeit vom Auftakt der Trilogie wohl exakt die richtige Art und Weise, eine Band dieser Größe vor einer Implosion zu bewahren, die solch ambitionierte Projekte wie Konzeptalben als Risiken und Nebenwirkungen auf der Packungsbeilage führen. Eine Kaufempfehlung bleibt ¡Uno! also schon, wenn auch eine leise und nur in Richtung jener Leute, die von Rockopern und todernster Dramaturgie so richtig die Schnauze voll haben. Recht so!