von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 11.03.2017
Wärmende Gastfreundlichkeit am perfekten Soundtrack für den Pfad der Selbstfindung.
Als One-Hit-Wonder zu gelten, entspricht in der Sprache der Musik dem ultimativ entmündigenden Urteil. Wie könnte es aber auch anders sein? Man denke nur an die tiefsten Abgründe der Musikalität, den Abyss der schiefen Töne quasi, in dem sich zwischen verhassten Sommerhits, Klingeltonperversionen und dem Rest an verdrängten, mit dem Wirkungsgrad der Kunst auf Kriegsfuß stehenden Verbrechen gegen die Menschheit unzählige Pappenheimer tummeln. Mein Lieblingsbeispiel Hanson, aber auch Barbie Girl-Aqua, die Ösibuam Opus und dieser koreanische Clown, der im Internet sämtliche Rekorde gebrochen hat, mir jetzt namentlich nicht einmal mehr einfallen will. One-Hit-Wonder eben. Unterste Sohle. Gut nur, dass selbst unter diesen gelegentlich Lichtblicke aus dem Morast der Talentlosigkeit heraus scheinen. Zum Beispiel Gotye, der sympathische in Belgien geborene Australier von nebenan.
Dem kommt zwar insofern eine Art Sonderstatus zu, als dass er einerseits vor dem Durchbruch mit zwei avantgardistischen LPs anderes Terrain beackerte, andererseits neben seinem alles überstrahlenden Welthit zumindest den einen oder anderen Mini-Charterfolg (in Belgien) hatte. Da sein Somebody That I Used To Know mit Kimbra aber Dimensionen der Radio-Omnipräsenz erreichte wie sonst nur wenige Hits des 21. Jahrhunderts, sei diese logische Ehrenbeleidigung gebilligt. Zumal der Track mit seiner prachtvollen Melodie, dem liebevoll zusammengebauten Soundgebilde, das sich rund um ein 60s-Sample mit Percussions, Flöte, Gitarre plus zurückgelehnten Drums herrlich entfaltet, und einer tollen Kimbra praktisch nichts falsch macht. Dass der Rest seines dritten und bislang letzten Albums Making Mirrors dem in nichts nachsteht, wissen "nur" die gut zwei Millionen Käufer. Etwa der Garant für gute Laune, I Feel Better, der zu fanfarenhaften Horn-Samples, Drums und doppelter Bass-Unterstützung die bösen Geister der Selbstzweifel in die Knie zwingt. Die kommen am besten Cut der LP, Save Me, zwar wieder zurück - aber lediglich als wehmütige Erinnerung:
"And all the dead
ends
And disappointments
Were fading from your memory
Ready for that lonely life to end..."
Dass Gotye hier seine stärkste Leistung als Songwriter, Sänger und Soundbastler abliefert, wird der Kollege in Kürze vermutlich ad absurdum führen, bis dahin gilt allerdings die Unschuldsvermutung.
So fügt der Tüftler - meist erfolgreich - Song für Song allerlei Sounds zusammen, berauscht mit euphorisierenden Hooks (In Your Light, Eyes Wide Open) findet Platz für seine experimentelle Ader (State Of The Art, Don't Worry, We'll Be Watching You) und beendet eine farbenfrohe, für die Art der Zusammensetzung von Tracks überraschend emotionale Reise mit dem ruhigsten, zugleich traurigsten Stück (Bronte), das mit sanften Percussions leider einem besser vermiedenen Happy End entgegensteuert. Natürlich ist zwischendurch nicht alles Gold, was Grammy-farben glänzt. Den zweiten Teil seiner Avantgarde-Bemühungen hätte sich der Künstler wohl schenken können, ebenso will der biedere Rocker Easy Way Out nicht so recht zünden.
Die Kunst Gotyes und Making Mirrors - und auch da mag mir womöglich bald jemand entschieden widersprechen - liegt nämlich in dem Gefühl, bereits vorhandene Sounds zu einem Gemisch zwischen entfesselter Euphorie und introspektiver Melancholie zu verarbeiten. Der perfekte Soundtrack für Selbsttherapie und in letzter Instanz der Selbstfindung also, dessen wärmende Gastfreundlichkeit hoffentlich weitere Millionen näher zum Licht führen wird.
M-Rating: 8 / 10
Kreativität um der Details willen, Emotionen um der Kunst willen.
Guten Tag, man hat mir gesagt, ich solle hier etwas kritisieren. Ich finde das unfair, diese Stereotypisierung
meines rezensorischen Schaffens, meines Lebenswerks und meiner selbst. Auch mir ist es gegeben, strahlenden Optimismus zu verbreiten, weswegen ich direkt dem Lob des Kollegen für den
musizierenden Australo-Belgier - ein seltenes Ergebnis der Globalisierung - den gebührenden Raum geben will...
So, das genügt. Als Ein-Mann-Statler-&-Waldorf der Musikkritik habe ich nämlich Verpflichtungen zu erfüllen, hier die Rückführung eines Erhobenen auf den Boden der Tatsachen.
Die sind erstmal durchaus verlockend und anerkennungswürdig. Denn Gotye ist kein Schlechter, wenn es darum geht, Arrangements voller kleiner klanglicher Präsente zu zaubern und ihnen den nötigen Feinschliff zu verpassen. Quasi eine männliche Version von St. Vincent, nur ohne dabei so aufdringlich zu sein. Und mit mehr World Music an den richtigen Stellen. Das hilft in puncto Vielfalt und lässt die Sprünge zwischen elektronischer Undefinierbarkeit, percussionlastiger Reminiszenzen an Phil Collins und erfrischend klischeefreiem Rock mühelos erscheinen. Wahrscheinlich sind sie das sogar, ansonsten wäre es schwer zu erklären, wie mit Welthit Somebody That I Used To Know, dem geradlinigen Indie-Stückl Eyes Wide Open und der liebevoll zusammengebauten Ballade Save Me die drei besten Momente so unterschiedlicher Natur sein können. Gotyes Domäne ist dabei sehr schnell abgesteckt: Das Verpacken simpler Pop-Hooks in mehr oder weniger ausgefallene Soundkostüme.
Das wiederum ist genauso geschickt gemacht, wie es leicht zum Problem wird. Denn die drei genannten Tracks veranschaulichen zwar, wie penibel gearbeitet wurde und auch, dass in De Backer ein verkanntes Produktionsgenie steckt, das mit den Klängen wahllos jonglieren kann. Blöderweise könnten die Bruchstellen zwischen solchen schnellen Favoriten oder dem sonnigen Folk-Pop von In Your Light einerseits, fragwürdigen, bestenfalls fragmentarisch umgesetzten Experimenten andererseits kaum größer sein. Wann immer ein Hauch von elektronischem Outsidertum oder gar jazziger Romantik um's Eck schaut, bleibt fast ausschließlich die Frage nach dem Warum. Warum das manipulierte Gejaule von State Of The Art, warum das synthetische Nichts von Don't Worry, We'll Be Watching You oder Giving Me A Chance?
Diese immer wieder hervorquellende musikalische Exzentrik, die dann doch wieder handzahm klingt und wenig aussagt, wäre leicht zu verteidigen, würden einen in diesen Fällen die Gefühle erfassen wie nirgends sonst. Tatsächlich scheint aber Gotye auf eine schwierige Prioritätenumkehr zu setzen: Nicht die Kunst soll Emotionen ausdrücken, die Emotionen sollen die Kunst erschaffen. Und weil dementsprechend wenig bleibt, das auch in fassbare Gefühle umgemünzt werden könnte, hört man mitunter einfach einem talentierten Typen zu, der einem abseits seiner Soundcollagen nichts geben will. Und so sehr diese vielleicht zur Suche nach den kleinsten, versteckten Soundbits einladen mögen, strahlt "Making Mirrors" zu oft etwas von einer artistischen Übung aus. Dem beizuwohnen ist in Maßen spannend. In welchem Maße, hängt davon ab, wie sehr man in den Klängen des Hans Dampf in allen Popgassen versinken kann und will. Sieht man vom vorteilhaft dramatikfreien Save Me ab, spielen Emotionen bei all dem aber nicht einmal die zweite Geige.
Übrigens ist Live immer noch Life und auch Opus hatten hierzulande mehr als nur diesen Hit! Was diese Parallele zwischen Gotye und den Österreichern - welcher Einheimische schreibt
"Ösibuam"?!?!?! - über ersteren aussagt, soll nicht von mir beurteilt werden.
K-Rating: 6 / 10