Gorillaz - The Fall

 

The Fall

 

Gorillaz

Veröffentlichungsdatum: 18.04.2011

 

Rating: 3.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 01.11.2014


Gift oder nicht? Immer eine Frage der Dosis. Hier gibt's eine mächtige Überdosis Innovationsgeist.

 

Evolution. Ein vielsagendes Wort. Ohne sie wären wir noch immer Einzeller, würden uns mühselig gehend fortbewegen, anstatt uns an der Erfindung des Rades zu erfreuen und die Musikwelt wäre um so manches Kapitel ärmer. Man stelle sich nur vor, die E-Gitarre hätte nicht bereits in den 30ern, sondern 50 Jahre später das Licht der Welt erblickt. Was würde Paul McCartney wohl heute machen? Oder Cher, ja, tatsächlich Cher, die mit ihrem monströsen Comeback-Hit Believe eine bisweilen schmerzhaft ungute Autotune-Welle auf die Welt losgelassen hat. Und nun stehen wir am Beginn des dritten Jahrtausends und überall ist...Apple. Dachte sich auch Damon Albarn und schreitet mutigen Schrittes voran als erster Musiker ein Album auf einem iPad zu kreieren. Ein Fehlschlag.

 

Hätte er aber wohl auch nicht gemacht, wäre er nicht gerade auf Tour gewesen. So kommt's, dass Albarn die Eindrücke seiner Reisen durch die USA sofort in Songform verpackt und das Ganze dann auch noch kostenlos in die Welt hinausschleudert. Bewundernswert. Naja, weniger. Denn auch eine Gratis-LP ist nicht über jeden Zweifel erhaben, diese schon gar nicht. Die Natur des iPad bringt es nämlich mit sich, dass "The Fall" vor allem eines präsentiert: Viel, viel, wirklich zu viel Elektronik. Beinahe alles hier ist Elektronik. Könnte gut sein - siehe Daft Punk -, ist es aber nicht.

 

Denn wegen Zeitmangel, Ideenlosigkeit oder auch einfach schlampiger Arbeit verkommt die vierte LP der Gorillaz zu einer seelenlosen, musikalisch unspektakulären und jegliche Atmosphäre aussparenden Lieder-Sammlung. Klingt hart, ist vielleicht auch zu hart. Denn zu Beginn keimt Hoffnung auf. Opener Phoner To Arizona bietet mit all seiner Synthie-Wucht, dem trockenen Beat und der bis ins Unheimliche verzerrten Stimme von Albarn einen zumindest interessanten Auftakt. Etwas hölzern und kalt klingt er, aber immerhin. Besser wird's dann noch mit Revolving Doors, dem einzigen Track, der an alten Qualitätsstandards kratzt. Dank entspannter Ukulele und dem weichen Gesang kommt in den ersten Sekunden die Erinnerung an Höhepunkte wie El Mañana und Hong Kong hoch. Zwar verliert der Song dank Synthieeinsatz später ein wenig seine besten Qualitäten, zum Albumfavoriten bringt er es aber auch so locker.

 

Danach geht es nämlich mitunter steil bergab. Die LP verliert sich nämlich mehr und mehr in den dezimierten Möglichkeiten der Synthie-, Keyboard- und Vocoder-Ansammlung. So entstehen mit dem trotz nur zwei Minuten Länge langatmigen Instrumental Detroit und dem komplett ereignislosen Little Pink Plastic Bags, mitsamt schwachsinnigster Refrain-Zeile ("There are just little pink plastic bags / Blowin' on a highway alone"), schon früh große Aussetzer. Und auch die besseren Momente werden unspektakulärer. Hillbilly Man überzeugt mit dem kurzen Gastspiel von Mick Jones an der Gitarre, bringt sonst aber den Opener in weniger sympathischer Form zurück. The Parish Of Space Dust wirkt wie die langweilige Elektronik-Version eines schnulzigen Heartland Rock-Tracks. Und mit The Speak It Mountains kommt als wohl absoluter Tiefpunkt dann wirklich ein bisschen Nichts auf einen zu. Dermaßen unspektakuläre Keyboard-Sounds mit mehr als entbehrlichem Sprech-Beitrag sind mit das Schlechteste, was einem ein reguläres Album der Band gebracht hat.

 

Und so gibt's nur mehr wenig zu loben. Amarillo scheint der einzige Track zu sein, der die Synthetik-Ladung ganz gut verarbeitet, überzeugt durch einen sehr entspannten Grundsound und ab Halbzeit auch mit Albarns Vocals in ihrer besseren Form. The Joplin Spider hat als aggressivster Song des Albums zumindest einen anziehenden Beat und einen fast hyperaktiven Sound-Mix zu bieten und Bobby In Phoenix kann gesanglich dank einem Gastspiel von Bobby Womack ähnlich punkten wie California And The Slipping Of The Sun.

 

All das bleibt aber Stückwerk, kein einziges Mal kommt wirklich Hörvergnügen auf. So bewunderswert Damon Albarns Experimentierfreude auch sein mag, "The Fall" fehlt es an bitter nötigen Ideen, um den einzelnen Fragmenten aus ihrer Einförmigkeit und vor allem aus ihrem kalten Sound heraus zu helfen. Denn hier ist nichts übrig von emotionalen Momenten wie Tomorrow Comes Today, Demon Days oder El Mañana. Dafür wirkt abseits von Revolving Doors hier sehr viel sehr seelenlos, eher hastig zusammengestückelt und so ohne Raffinesse und Liebe zum Detail gestaltet. Das ist zweifelsohne auch ein Produkt aus den beschränkten Mitteln, die einem ein iPad eben so bereitstellt. Das muss aber auch Albarn klar gewesen sein. Er hat diese Einschränkungen und damit einhergehend einen großen qualitativen Downfall in Kauf genommen.

 

Dass auf "The Fall" noch immer ein ungemein talentierter Musiker zu erkennen ist, muss man eingestehen. Nur litt Albarn in der gesamten Gorillaz-Phase darunter, dass er zu viel probiert und gewollt hat. Dadurch kamen immer wieder einzelne Totalausfälle zu Stande (Double Bass oder O Green World bleiben da in Erinnerung), diesmal wurde aus einzelnen aber beinahe ein gesamter Reinfall. Ohrenschmerzen verursacht hier mit Sicherheit nichts und das ein oder andere Mal verspürt man noch ein wenig der altbekannten Anziehungskraft der virtuellen Band. Leider verbleibt es aber oft beim originellen Grundsound, der kaum einmal die Songlänge übersteht und oft nie wirklich zum Leben erweckt wird. Ein Album auf dem iPad? Ganz eindeutig eine mächtige Überdosis an Innovationsgeist.

 

Anspiel-Tipps:

- Revolving Doors

- Hillbilly Man


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