von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 12.11.2016
Eine musikalische Begegnungszone, zusammengehalten nur von Albarns Präzision und Ideenreichtum.
Das Leben, sofern es nicht der unerträglichen Fröhlichkeit von "The Sound Of Music" ähnelt, ist eine immerwährende Suche nach innerer Ruhe. Und was ruhig sein will, muss auch eine innere Einheit finden. Statt Widersprüchen, selbstkasteienden moralischen Kämpfen und Selbstzweifeln sollte der Geist zu einer gemütlichen Einbahnstraße werden, quasi einer Route 66, die einen nie umdrehen lässt. Damon Albarn dürfte mit den Gorillaz die Schwierigkeit dieser Aufgabe erkannt haben, hat sie gleich aufgegeben und sich stattdessen der Zerrissenheit hingegeben.
Soviel zur Amateurphilosophie, nun zur Erkundung des elektronischen Eklektizismus, der den Briten über ein Jahrzehnt lang ausgezeichnet hat. Selbst im Lichte des nicht auf einen Nenner zu
bringenden Debüts dürfte dieses willkürlich wirkende Genre-Hopping 2010 einen Höhepunkt erreicht haben. "Plastic Beach" ist manchmal Trip-Hop, manchmal Hip-Hop, manchmal auch einfach nur
Synth-Pop, findet aber von orientalischer Klassik über psychedelischen Acid-Elementen bis zum Surf-Rock eigentlich alles, um diese Einfachheit möglichst effektiv zu zerstören. Wenig verbindet
Snoop Dogg, Lou Reed, Bobby Womack oder das Lebanese National Orchestra, wenig verbindet auch die Songs, in denen sie mitwirken dürfen. Was den Vorteil hat, dass statt einem uniformen Haufen
Mäßigkeit wunderbar flüssige und abenteuerlich anmutende Tracks wie White Flag oder Empire Ants herausschauen, gleichzeitig Platz für monologistischen Minimalismus im herrlich
unmelodischen Some Kind Of Nature bleibt. Und wenn dann ein starker Rap auf Gameboy-Elektronik, aufwendig konstruierte Soundcollagen und Orient-Streicher trifft, ist die Kurzweile
genauso greifbar wie Albarns beneidenswertes Gefühl für unorthodoxe Klangkombinationen.
Trotzdem ist man kaum überrascht, wenn die geradlinigeren Momente hier wirksamer ertönen. On Melancholy Hill kommt - eine Seltenheit hier - ohne Guest Spot aus, obsiegt als
friedlich-kitschige Synth-Ballade, Empire Ants startet ähnlich träumerisch, um mithilfe von Yukimi Nagano zum glitzernden Trip-Hop zu mutieren.
Denn die Sprünge ermüden, insbesondere wenn sie unscharf, chaotisch überladen und über Gebühr kryptisch geraten. Schon der Willkommenssong mit Snoop Dogg entschläft, macht aber das Kraut noch nicht fett, weil selbst der kurios inhaltsleere Elektronik-Funk von Leadsingle Stylo noch durch seine Hook halbwegs überzeugt. Sperrige Elektronikgebilde wie das Rave-Penetranz versprühende Glitter Freeze oder der träge "Dream-Synth-Pop" des Titeltracks lassen aber dann doch zu viel zu wünschen übrig. Wie so manches in der zweiten Albumhälfte, das nicht Sweepstakes heißt und deswegen eine gleichermaßen lächerliche wie anziehende Überdrehtheit an den Tag legt.
Die LP zerrinnt zunehmend, ohne dabei schlecht zu werden. Das Gebotene ist einfach zu unspezifisch, um wohlwollende bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Dass sich Albarn innerhalb von zehn Minuten durch psychedelische Retro-Elektronik, Funk, verspielt-trippigen Hip-Hop und Dream-Pop arbeitet, schmeichelt ihm durchaus und weckt Sympathien. Dass aber gleichzeitig Konzept und Botschaft hinter "Plastic Beach" nie eine wirkliche inhaltliche Ebene bekommen, den Tracks oft genug atmosphärische Kraft fehlt und man erstmals in der Gorillaz-Ära ein Gefühl von Unnahbarkeit von Musik und Emotion bekommt, hilft auf alle Fälle nicht. Deswegen bleibt das dritte reguläre Album von Albarns Projekt an dem Punkt stecken, wo es elaborierte und mitunter hochwertige Verspieltheit und Ideenreichtum bietet, aber weder die nötigen Hooks noch die tiefer liegende Substanz, um einen zu vereinnahmen, wie das "Demon Days" gelungen ist.
K-Rating: 6 / 10
Zerfahrenheit im cineastischen Larger-Than-Life-Stil.
Es war für Damon Albarn ein langer, steiniger Weg von einem der großen Leitwölfe des Britpop zum exzentrischen Elektronik-Fanatiker. Vermutlich sogar ein noch längerer, als der des Schreibkollegen vom demütigen Christen zum sich rastlos nach innerer Ruhe verzehrenden Zen-Buddhisten. Gratulieren kann man eigentlich beiden zu ihrem Werdegang, denn Britpop ist längst verwest und selbst Jesus kämpft immerhin schon seit den 60ern damit, in Sachen Popularität wieder an den angesagtesten Bands vorbeizuziehen.
Als Lead-Single Stylo Anfang des Jahres 2010 samt seinem semi-coolen Video mit hübschen Karren und einem weniger hübschen Glatzkopf namens Bruce Willis die Gerüchte von der Rückkehr der virtuellen Affen endgültig bestätigte, war man sich nicht so recht sicher, was man erwarten durfte. Zwar groovte der mächtige Funk-Beat im Einklang mit der visualisierten Verfolgungsjagd, doch konnten weder Albarns gewohnt halbeingeschlafener Gesang, noch die vergleichsweise aufgeladenen Gastauftritte von Bobby Womack und Rapper Mos Def über die Spannungsarmut des Tracks hinwegtäuschen. Mit Hip-Hop und Trip-Hop hatte es das Mastermind hinter dem Namen Gorillaz ja ohnehin schon länger, dieser Trend wird auch hin zur dritten LP, Plastic Beach, prolongiert und verbindet diese mitunter auch mit deutlich weitreichenderen musikalische Einflüssen. Nicht immer mit Erfolg, das hat der Kollege ja schon richtig herausgestrichen, wenn es aufgeht, aber richtig. Etwa auf White Flag, der eine interessante, wunderbar ineinander fließende Symbiose von orientalischer Musik, Elektronik und Rap darstellt. Auch das hat der Herr K folgerichtig erkannt - und seine zielsichere Expertise geht noch ein gutes Stück weiter. Immerhin erwähnt er ja auch das behutsam aufgebaute Empire Ants, das praktisch aus dem Nichts zu einem quietschfidelen Synth-Monster ausartet, ebenso löblich, wie die fraglos stärkste Nummer der LP, On Melancholy Hill. Damit hier nicht alles doppelt steht, verweise ich an dieser Stelle auf seine Einschätzung und nehme mich stattdessen Sweepstakes an, einem persönlichen Highlight, dessen ambivalente Beschreibung (lächerlich, anziehend) ich nicht ganz teilen kann. Denn dieses schräge Soundgebilde samt jazzigem Bläserensemble und quirrligem Beat und surrender Elektronik braucht sich auch vor den besten Tracks nicht verstecken, die je unter dem "Band"-Namen erschienen sind.
Stücke, die genau das sollten, finden sich unter den 16 präsentierten allerdings zuhauf. Der Titeltrack hat zwar mit Mick Jones und Paul Simonon von The Clash höchstprominente Gäste, bietet mitunter aber die nervigsten, synthetischen Töne, die dieses Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat, getoppt immerhin noch von einer Nummer aus den eigenen Reihen, Glitter Freeze, die mit Mark E. Smith einen weiteren Veteranen in den Ring schickt, sich mit seiner "Rave-Penetranz" aber gehörig verzettelt. Der Auftritt der letzten Legende auf der LP, der ewigangepisste Lou Reed, fällt deutlich besser aus, offenbart aber das vielleicht größte Problem von Plastic Beach: musikalisch ist hier einiges (man nehme nur To Binge) seinen Songs voraus, brillante Hooks sucht man die meiste Zeit über vergebens - daran ändert auch der cineastische Flair nichts. Auch in diesem Punkt sind wir uns also einig, was letztlich doch nur eine einzige, logische Bewertung zulässt.
M-Rating: 6 / 10