George Harrison - All Things Must Pass

 

All Things Must Pass

 

George Harrison

Veröffentlichungsdatum: 27.11.1970

 

Rating: 8.5 / 10

von Mathias Haden, 04.12.2016


Aufgestaute Gefühle und ein Haufen angesammelter Hits machen das erste Triple-Album der Geschichte zur besten Beatles-Solo-LP.

 

"All things must pass" sagte einst ein weiser Mann mit einem knappen Seufzer, kehrte daraufhin der Öffentlichkeit den Rücken zu und ward nie mehr gesehen. Böse Zungen behaupten, er wäre für den banalen Humor von Monty Python verantwortlich, andere beschwören, sie hätten ihn in Mosers Blumenladen an der Ecke Bernreiterplatz gesehen. Und weil Fakt und Fiktion oft nebeneinander liegen, kann ich nur sagen: ja, so oder so ähnlich soll es sich damals wirklich abgespielt haben. Tatsächlich fällt mir jemand ein, den man spontan mit einigen dieser fiktiven Eckdaten in Verbindung bringen kann. Denn George Harrison, dieser eine gar nicht so schüchterne Beatle, war neben seinem unverwechselbaren Slide Guitar-Spiel durchaus auch für seine Verbindung zu den Python-Schwachmaten oder eine Vorliebe für den herrlich bunten Facettenreichtum der Botanik bekannt - und das wichtigste: der einleitende Satz ist in der Tat von ihm; wenn er uns auch danach noch lange Jahre erhalten bleiben sollte.

 

Hier schließt sich auch der Kreis zum endlich vervollständigten Kreis der Fab Four und zu All Things Must Pass, der ersten Harrison-LP nach deren Zusammenbruch. Zwar hatte Bruder George schon vorher zwei Alben unter seinem Namen herausgebracht, doch hatten beide mit Pop nicht allzu viel gemein. Nun, mit dem Zerfall seiner Stammband, den aufgestauten Gefühlen und einigen über die Jahre angesammelten Songs, die überwiegend aufgrund Widerstandes von Lennon und McCartney im eigenen Scratch book ausharren mussten, schien die Zeit endlich reif. Es der Welt zu beweisen. Es sich selbst zu beweisen. Es endlich John und Paul zu beweisen. Und wie! Ein Triple-Album musste her, das erste der Pop-Geschichte, um den eigenen Emotionen und Songs die Bühne zu bieten, die sie bereits lange verdienten.

 

So klingt All Things Must Pass gleichermaßen nach verbitterten Stunden Aufarbeitung, wie nach befreiter Aufbruchsstimmung. Viele Songs thematisieren den Zerfall der Beatles und die emotionalen Risse, die dieser mit sich brachte, schließlich auch in rechtliche Streitereien unter den Bandmitgliedern mündete. "As the days stand up on end / You've got me wondering how I lost your friendship / But I see it in your eyes" singt Harrison am schönen, von Orgel und verschiedenen Bläsern aufgewerteten Run Of The Mill, um schließlich ein entwaffnendes Fazit an seine ehemaligen Weggefährten zu richten: "It's you that decides". So direkt spricht er diese über weite Strecken des Albums nicht mehr an, doch zehrt die Majorität der Tracks von der Befassung mit der gemeinsamen Vergangenheit und schwierigen Zukunft.

 

Musikalisch zeigt sich Harrison von seiner experimentierfreudigsten Seite. Begünstigt auch von diversen Freundschaften zu namhaften Musikern, lotet der Singer-Songwriter einiges an bislang von ihm unerforschten Terrains aus. Seine liebevolle Beziehung zu Bob Dylan sorgte nicht nur für einige Bemühungen in Richtung Folk und Country, sondern brachte zwei Songs ein, die sich auf All Things Must Pass finden: einerseits das von beiden 1968 zusammen geschriebene I'd Have You Anytime, das die LP noch etwas zurückhaltend eröffnet, auf der anderen If Not For You, das im selben Jahr auf Dylans New Morning erschien und Harrison so beeindruckte, dass er den Song selbst aufnehmen musste. Und was für eine! Dylans Version in allen Ehren, verleihen Harrisons emotionaler Gesang, die langsamere, aber wesentlich schönere Melodie und das perfekt instrumentierte Arrangement der Nummer eine ungekannte Dimension – dass Harrison der bessere Sänger ist, muss nicht extra erwähnt werden. Auch die Einflüsse von der von ihm geschätzten Roots-Pionieren The Band und seinem Kumpel Clapton bzw. dessen diverser, bluesiger Spielwiesen hört man an vielen Ecken und Kanten. Genau so wichtig ist es auch zu erwähnen, dass mit Phil Spector nicht nur ein krankes Genie hinter den Reglern sitzt, sondern sich die halbe Pop-Welt an den Aufnahmen in irgendeiner Form beteiligt. Trotzdem ist All Things Must Pass 100% Harrison, was auch daran liegt, dass ein gewisser spiritueller Geist über Tracks wie Behind That Locked Door oder Awaiting On You All liegt, der sich nicht mit der Spector’schen Hochglanzproduktion beißt. Selbst die religiös angehauchten Stücke wie My Sweet Lord und Hear Me Lord tönen in ihrem Pop-Appeal bodenständig und stehen im schönen Wechselspiel mit lockeren Folk-Rock-Nümmerchen wie Apple Scruffs oder dem chartstauglichen Pop von What Is Life. Kurz gesagt: Harrisons Blockbuster ist brillant, auf sämtlichen Ebenen.

 

Warum es für eine bessere Wertung nicht reicht, hat einen simplen Grund, den man ignorieren, aber nicht schönreden kann. Denn die letzten beiden LP-Seiten (5 und 6) bestehen ausschließlich aus ziellosen Jams, die der Protagonist mit Freunden eingespielt hat. Ganz nett, aber auf einem großartigen Album wie All Things Must Pass nur ein riesiger, halbstündiger Haufen Ballast. Isn’t It A Pity singt Harrison in zwei feinen Versionen und beweint damit erneut das Ende der Beatles. Eine Frage, die man sich unweigerlich selbst stellt, wenn man nach einer herrlich eklektischen Reise durch die verschrobene Gedankenwelt eines Meisters in einem Sumpf aus biederem Gitarrengeschrammel landet. Naja, für das beste Solo-Album eines Beatles reicht es trotzdem noch. Damit sollte alles gesagt sein.

 


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