von Kristoffer Leitgeb, 13.03.2016
Ein Durchbruch zwischen angriffiger Agenda und erfolgreichen Trips zu altbekannten Reggae-Roots.
Ich soll nicht so viel mit Klischees arbeiten. Das wurde mir zumindest geraten. Nicht hier, aber dank des vernetzten Denkens schwappen solche Ratschläge auch ganz gern in Bereiche über, für die sie gar nicht gedacht sind. Ich lass also jetzt die Klischees bleiben... Ein jähes Ende für etwas, das eigentlich ein ganzer Review werden sollte.
Na gut, versuchen kann man es ja mal. Wenigstens gibt's auch eine ordentliche Hilfestellung von dem Mann, der Reggae in Deutschlands Musiklandschaft gebracht hat. Dass Gentleman dieses Kunststück mit "Journey To Jah" so erfolgreich geglückt ist, könnte nämlich auch mit dem von allzu stereotyper Ausgestaltung verschonten Sound der LP zu tun haben. Obwohl er nämlich auf Jamaika offensichtlich Jah und den Roots Reggae gefunden hat, sind ein paar der frühen Hip-Hop- und Rock-Einflüsse doch irgendwie erhalten geblieben. Gut für ihn, der sonst leicht aufkommenden Monotonie entflieht er damit und mit unerwartet aggressiven Messages gekonnt.
Vor allem die beiden Singles Runaway und Leave Us Alone zeichnen da ein Bild, das weniger zu seinen späteren Auftritten passt. Von unendlicher Harmonie und ewigem Positivismus keine Spur, stattdessen regieren vor allem in letzterem ein steriler, pochender Beat und abgehackte Riffs. Damit unterlegt, macht der Deutsche erfolgreich seiner Wut Luft, stellt sich mit stark getimtem Rap gegen Gewalt und Ausgrenzung, lässt die weit weniger gemütlichen Ursprünge seiner Karriere noch einmal voll aufleben. Runaway bietet ähnliches, schlägt aber mit luftigeren Akustik-Zupfern und zurückhaltenden Synthie-Einsätzen aber auch schon die Brücke zum klassischen Reggae, wird so zum kraftvollen Hybriden aus der offensiven Gangart von Dancehall und Hip-Hop einerseits, bluesinfizierten Roots-Klängen, die den Refrain beherrschen, andererseits.
Während abseits dieser Tracks militanter Sound kaum noch Platz hat, ist es der unnachgiebige Stil der Texte und Gesangsperformances, der dem Album Leben einhaucht und die von Glauben und Gesellschaftskritik bestimmten Botschaften effektvoll nachhallen lässt. Sogar das eigentlich sonnige Soundgewand von See Dem Coming, dem die starken Background-Stimmen und die präzise arrangierten Bläser die nötige Dynamik und einen ordentlich positiven Drall mitgeben, flößt Gentleman wenig freundliche, in Patois gehaltene Zeilen ein. Zusammen mit seinen notorisch unmelodischen Auftritten am Mikro kann von zurückgelehnter Ruhe dann eigentlich keine Rede sein, stattdessen bleibt ein aufgekratzter und äußerst kurzweiliger Song, den die an der Selbstgerechtigkeit anstreifenden Lyrics genauso bestimmen wie die gemütlichen musikalischen Spielereien.
Mit diesem Rezept fährt Gentleman lange genug ziemlich gut, auch weil ihm trotz allem von Gospel und Soul bestimmte Songs auskommen, die für ein differenzierteres Bild sorgen, ohne dabei zu sehr in die Defensive zu geraten. Und wieder ist es eine Single, die als bestes Beispiel herhalten darf: Dem Gone ist als vollkommen relaxte, von der lockeren Rhythm Section geprägten Reggae-Hymne der ideale Gegenpol zur angriffigen Seite der LP. Zwar regieren auch dort die klaren Worte ("Dem going nowhere no time soon / Dem corrupt the east and now dem turn it to the moon / Plantain your garden and wish that it will bloom / But still you're singing satan tunes"), doch musikalisch lässt vor allem der Refrain für nach Entspannung Suchende keine Wünsche offen. Auch Children Of Tomorrow enttäuscht da nicht, sondern sieht den Osnabrücker, unterstützt von Jack Radics, gesanglich auf einem Höhepunkt der Entspannung. Dem schließen sich auch die Musiker im Hintergrund mit vielfältiger, aber unaufdringlicher Percussion, dezenten Keyboard-Akkorden und guten Akustik-Passagen zum Ende pflichtbewusst an.
Ein Großteil der Tracks findet nun seinen Platz in einer dieser beiden Ecken, sei es Love Chant als direkte, von einem großartigen Drum-Part angetriebene Friedenshymne oder das klanglich schon fast kitschige Fire Ago Bun Dem, bei dem der Paarlauf von Gentleman und Capleton für neue Dynamik sorgt. Überall dort, wo es mit der Einordnung schwieriger wird, leidet allerdings auch die Qualität merklich. Das unrhythmische Man Of My Own weckt trotz ordentlichem Gastauftritt von Morgan Heritage wenig Interesse, versinkt in seinen monotonen Soundwelten irgendwo zwischen Entspannung und Unnatürlichkeit. Das unpassend aggressiv instrumentierte Empress kommt den versucht romantischen Szenen zum Trotz keinen Gefühlen nahe, fällt stattdessen ähnlich flach wie das großteils elektronische Younger Generation.
Allen gemein ist, dass die Einheit aus Musik und Lyrics zerbricht und sich damit die Songs in einer ungesunden Richtungslosigkeit wiederfinden. Was bei Leave Us Alone noch lautstarker Protest und bei Dem Gone gemütliche Spiritualität ist, wird bei Zeiten zu einem ordentlich ausgeformten, aber kraft- und botschaftslosen Schauspiel.
Passiert ihm allerdings nicht zu oft, dem deutschen Reggae-King. Im Gegenteil, "Journey To Jah" ist nicht nur sein Durchbruch, sondern wohl auch sein künstlerischer Höhepunkt. Gentleman präsentiert sich in den frühen Tagen des neuen Millenniums frischer, fokussierter und das daraus entstandene Album weniger aufgeblasen als spätere LPs. Mit den richtigen Kontrasten zum richtigen Zeitpunkt und dem nötigen Nachdruck hinter Botschaften, die zwar altbekannt sind, aber trotzdem erfrischend offensiv vermittelt werden, gelingt ihm eine lohnende Performance. Vor allem der Abstand zu allzu klischeebehafteten Reggae-Klängen macht den Auftritt um einiges einfacher. Da hat er mir vielleicht noch was voraus...