von Kristoffer Leitgeb, 29.01.2015
Der Glaube versetzt wenige Berge, für entspannten Reggae made in Germany reicht's aber allemal.
Mit Reggae ist das irgendwie so eine Sache. Man kann ihn sich nicht so ganz vorstellen, wenn er nicht aus dem Land kommt, dass 1988 urplötzlich eine Bobmannschaft hatte. Für alle, die diese Filmreferenz nicht verstehen, gilt übrigens: Schande über euch und kauft euch 'Cool Runnings'! Es braucht eben solch eine Karibikinsel, damit dieses Gebilde rund um Jah, Lebensfreude und ein gerüttelt Maß brennendes, selbstgedrehtes Grünzeug sich so wirklich entfalten kann. Das biedere Mitteleuropa ist da irgendwie ein No-Go. Was wiederum ganz gut veranschaulicht wird dadurch, dass ebenda die Charts nicht gerade belagert werden von den musikalischen Ziehsöhnen 'Big Bob' Marleys. Die ganzen Charts? Nein, ein unbeugsamer Osnabrücker hört nicht auf, diesem Schicksal Widerstand zu leisten.
Das hat er, Gentleman, bisher ja relativ erfolgreich gemacht. Und auch "Confidence" kann sich durchaus sehen lassen. Vom tiefen, immerwährenden Glauben gepusht, schreitet der Deutsche durch seine smoothen Arrangements, liefert gleichsam lockere und emotionale Performances ab und sorgt damit für durchwegs unterhaltsame Minuten. Zu viele, ganz eindeutig, so viel kann man schon verraten. Aber doch einige äußerst gute. Vor allem zu Beginn spielt er seine Karten großartig aus, überzeugt mit gut getimten Tempowechseln und perfekt inszenierten Lobpreisungen für den Allmächtigen, nicht ohne Seitenhieb auf Politik und Gesellschaft. Wie es treffender kaum sein könnte, eröffnen Send A Prayer und Superior das Spektakel. Der Einstieg in Form des gediegenen blues-infizierten Openers mit subtilen Gitarren- und Klavierspielereien und vor allem starken, zurückgelehnten Percussions ist genretypisch. Aber eben gut, auch und insbesondere weil die weibliche Backgroundunterstützung durch Connie Campbell besser kaum passen könnte. Vervielfacht wird diese Hilfe in der frühen Nummer 1, Superior. Mit großartigem Hintergrundtrio - so viel zur Bob Marley-Inspiration - schleudert er eine mit nettem Saxophon versehene Glaubenshymne heraus, die mit ihrem kritischen Text und dem höheren Tempo vollumfassend punktet.
Und so geht's ihm lange Zeit sehr gut, dem jungen Mann. Caan Hold Us Down, All That You Had oder Life Takes More Than That setzen erfolgreich die geschmeidigen Arrangements mit entspannten Rhythmen, starker Arbeit an den Drums und an den Mikros fort. Und während der gepflegte Atheist mit Gentlemans Lieblingsthema so sein Problemchen haben könnte, führt kein Weg an der Anziehungskraft des Hängematten-Sounds dieser Tracks vorbei - noch mehr, wenn ein Veteran des Genres wie Barrington Levy auf einmal auftaucht. Die allzu ergiebige erste Hälfte hält aber Gott sei Dank (pun intended!) in ihrer musikalischen Uniformität auch ein bisschen thematische Abwechslung bereit. So wird die poppigste Nummer, Intoxication, zur von der Akustikgitarre verstärkten Liebesbekundung, die nur einmal mehr die Harmonie in dem riesigen Haufen von Studiomusikern aufzeigt. Der sprunghafte Ausreißer mit Saxophon-Hauptrolle, Rumours, gerät dagegen zu einer ungewöhnlich humorvollen Abhandlung der bereits altbekannten Thematik, die vor allem Gentleman selbst auf Höchsttempo bietet. Mit dem kurzen Dancehall-Spritzer von New Day ergibt das schon einmal massig Pluspunkte, die sich das Album bisher erarbeitet hat.
Unweigerliche Abnützungserscheinungen kommen allerdings irgendwann doch auf. Und irgendwann ist bei ganzen 20 Tracks und 74 Minuten Spielzeit doch etwas zu früh. Gentleman klingt eben immer nach Gentleman. Das lässt sich anfangs zwar ohne absolutes Gehör leicht erkennen, von einem Störfaktor kann aber nirgends die Rede sein. Bei Halbzeit wird man dann aber des unablässigen Lobes für Jah und der doch oft gleichen Rhythm Section langsam überdrüssig. Dank der diesmal etwas größeren Tempovielfalt scheinen auch die stark an den Anfang erinnernden Nummern Weary No More und After The Storm noch einigermaßen erheiternd daherzukommen. Spätestens mit For The Children ist man die selbe Leier dann aber doch einmal leid, schon einige Zeit früher beginnt man bei manchem Track verlegen auf die Uhr zu sehen.
Was auch damit zu tun hat, dass seine zaghaften Versuche, einmal wirklich aus seiner klitzekleinen musikalischen Welt auszubrechen, nicht mehr so flüssig von der Hand gehen. Das aggressive Face Off wird auch mit einem überdrehten Anthony B. als Gast zu einer anstrengenden Hörübung, das mit hartem Elektronikbeat und von Synthesizern begleitete Lion's Den versprüht zwar mehr Charme, kann aber die vier Minuten auch nur bedingt mit Leben ausfüllen. Blessing To Jah und Mystic Wind sind trotz ihrer mittlerweile bekannten Formeln wohl die einzigen wirklich lohnenden Tracks der zweiten Hälfte, bestechen vor allem durch die starken Gastauftritte von Ras Shiloh und Tony Rebel.
Natürlich leistet auch die lyrische Einförmigkeit einen Beitrag zum offensichtlichen Performanceabstieg in der zweiten Hälfte. So klug manche seiner Texte auch aufgebaut und so nobel die eingebauten Messages auch sein mögen, Gentleman präsentiert sich bei aller dezent eingeflochtenen Gesellschaftskritik zu sehr als one-trick pony. Und da heißt es dann, dass energetische Zeilen von Superior wie diese:
"Somebody tell me
Cause I really got to know
I read a lot of history
But things not really show
Why dem drop the bombs in Arabia
Why the children bawl and suffer in Africa
Leaders of the world just fighting for superpower
But judgement ago fall upon dem head like rain shower"
doch mehr her machen als einige der lauwarmen und bieder vorgetragenen Texte im letzten Drittel der LP.
Was jetzt nicht heißt, dass man ihm wirklich den Kopf abreißen müsste. Erstens weil das geradewegs der Pazifismus-Klausel von MusicManiac widersprechen würde, zweitens weil dann doch in der Rückschau mehr als genug lohnende Minuten übrig bleiben. Eigentlich sogar mehr als genug für eine beeindruckend starkes Album. Hätte er nur auf das halbe Dutzend unnötige Filler verzichtet, die sich irgendwann doch spürbar Gehör verschaffen. So bleibt eine großartige erste Hälfte, die poppigen Blues-Reggae in kompakter und kurzweiliger Form bietet, und eine bruchstückhafte zweite, die sich zu sehr dem Beginn anbiedert, dabei aber nie an diesen herankommt. Zumindest in der Musik muss man also die Allmacht Gottes ein klein wenig anzweifeln, für solide Entspannung und Spaß reicht's aber mit Sicherheit.