Genesis - We Can't Dance

 

We Can't Dance

 

Genesis

Veröffentlichungsdatum: 11.11.1991

 

Rating: 5.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 06.08.2016


Was als emotionales Pop-Meisterwerk beginnt, wird mitunter zur ereignislosen Odyssee.

 

This is the end, sang einmal einer. This is the end, heißt es auch für jede Band irgendwann. Bemerkenswert wäre daran weiter nichts, wären nicht die meisten von ihnen am Ende, bevor sie wirklich am Ende angelangt sind. Man will es eben nicht immer wahrhaben. Und in Wirklichkeit waren Genesis vor ihrer vierzehnten LP ziemlich am Ende. Das alles nur, weil "Invisible Touch" so erfolgreich und gleichzeitig so weit weg wie nur möglich von dieser Band war. Kurzweilig und hitverdächtig allemal, aber eben auch quasi ein Collins-Solo. Was danach folgte, war auch keineswegs eine Erfolgswelle für die Band, sondern lediglich eine für den Frontmann. Phil war Weltstar, Mike nur Mechanic. Nicht, dass das zu internen Spannungen geführt hätte, die beiden hinterm Schnulzenkönig waren froh, dass die Millionen geflossen sind. Aber vom ultraglatten Pop-Hit führen eben nicht mehr viele Wege weg, vor allem wenn der Leithammel nur halbherzig dabei ist. Auch deswegen wird "We Can't Dance" zu einem der durchwachsensten Momente der Bandgeschichte.

 

Das beginnt schon damit, dass die LP zu gleichen Teilen die vorbereiteten Pfade der Vorgänger weiterwandert und dann doch wieder weg will vom Pop. Die längste Zeit begegnen einem Songs, die nach Pop-Rock klingen, aber irgendwie den Anschein machen, sie sollten doch wieder proggige Kreativität andeuten. Tracks werden ausgedehnt auf zehn Minuten, die großen Hooks werden ganz bewusst vergessen, stattdessen regieren gesetzte, ungewöhnlich präsente Riffs und aufs Minimum reduzierte atmosphärische Keyboard-Unterlagen aus der Banks-Schmiede. Gerade letzteres verdeutlicht den Abgesang auf die eigenen 80er. Synth-Pop ist fast nicht mehr, einfach Spaß haben offensichtlich auch nicht. Und so wälzt sich die LP viel eher dahin, als dass sie an einem vorbeiziehen würde.

 

Nur kurz kommen wirklich andere Gedanken auf. Da sind eben diese Hitsingles, die doch fast übrig geblieben sein könnten aus dem Vorjahrzehnt. Die in Songform gegossene Jam-Session I Can't Dance a.k.a. Phil Collins' Versuch, der Welt noch mehr auf den Sack zu gehen. Es gelingt ihm nicht, weil er als unsympathischer Karikaturist der Welt um ihn immer funktioniert hat und weil Rutherfords Blues-Riffs auf nette Art nicht nach Genesis klingen. Die Siegerstraße betritt man aber eigentlich noch früher. Ganz zu Beginn, mit No Son Of Mine hier, Jesus He Knows Me da. Ein letztes Aufbäumen des synthbefeuerten Pop erwartet einen bei zweiterem, diesem nicht zu entrinnenden, pointierten Angriff auf die Televangelists. Dessen größtes Asset ist wohl immer noch das legendäre dazugehörige Video, doch auch so enttäuscht an dem Track quasi nichts, nicht einmal Banks' merkwürdiger Ausflug in die Reggae-Rhythmen. Dass ausgerechnet Opener No Son Of Mine das Album eröffnet und damit als bester Track der mit "Duke" begonnen Spätphase die Latte verdammt hoch legt, ist mit Blick aufs große Ganze vielleicht auch etwas unglücklich. Doch dem Song mangelt es einfach an nichts. Beginnend mit dem Metronom und Banks' röhrendem Gitarren-Key-Gemisch, fortgesetzt mit Collins' altbekannten dröhnenden Reverb-Drums mutiert ein anfangs unscheinbarer Song bald zur besten Ballade aus seiner Feder seit In The Air Tonight. Gerade weil sich Collins von sich selbst und seiner zähen Melodramatik distanziert, stattdessen ein rockigeres Gewand zulässt, sind diese sechseinhalb Minuten ein großer Gewinn.

 

Aber auch einer der Sargnägel für das, was danach kommt. Eine unfassbare Lethargie dominiert so manchen Auftritt. Wobei man die Ideen hinter den meisten Songs fast nicht nicht gut finden kann. Es ist ein Schritt weg von der Lachnummer, zu der man sich leicht entwickeln hätte können. Ein ernsterer Unterton durchzieht alles, genauso wie Anflüge afrikanischer Rhythmen im elektronischen Minimalismus von Dreaming While You Sleep oder Living Forever. Es sind aber das auch schon die wenigen Ausreißer, gerade weil in diesen Melodien, kombiniert mit einer überraschend frischen Gesangsperformance noch viel Leben steckt. Gerade Living Forever wird da seinem Namen gerecht, überbrückt das Trio doch die ausgedehnte Laufzeit mit vielfältiger Percussion, flimmernden Synth-Lines und abgehackten, unverdeckten Riffs.

Und dann wären da Driving The Last Spike, Fading Lights oder Hold On My Heart, allesamt unfassbar zähe, ermüdende und aufgeblasene Stücke, deren einziger hinterlassener Eindruck der von verschwendeter Zeit ist. Zehnminütige Monster, die ihre Länge durch nichts rechtfertigen können. Da tut sich wenig bis nichts, mühevoll angetrieben von brustschwachen Drums meiden die Songs jeden Höhepunkt, ergehen sich in versucht atmosphärischen Ergüssen ohne erkennbare Tiefe. Am härtesten trifft das Hold On My Heart, dessen kitschige Synthie-Wände für die klassische Collins-Schnulze voller Pseudo-Romantik sorgen. Mit deren emotionalem Gehalt verhält es sich wie mit einer Luftmatratze mit offenem Ventil.

 

"We Can't Dance" macht dagegen noch Schluss, bevor der LP komplett die Luft ausgegangen ist. Oder besser: Sie ist nicht lang genug, um die wenigen hochqualitativen Momente wirklich vergessen zu machen. Dabei lassen sich Genesis in manchen Belangen so weit vom übermäßig poppigen Vorgänger wegführen, dass gerade wieder die poppigeren Momente zu Rettungsankern werden. Wann immer man eine Direktheit in den Kompositionen verspürt, wann immer die Botschaft klar und die Hook deutlich zu hören ist, dann spielen Collins, Banks und Rutherford auch weiterhin ihre Stärken aus. Es sind die ambitionierteren Abenteuer und die Suche nach vermeintlicher Integrität, die ihnen dagegen schwieriger fallen denn je. Wobei man zumindest der Abkehr von der 80er-Penetranz einiges abgewinnen kann. Nur die Form, in die sie den dezenteren Sound packen sollen, finden die Briten einfach zu selten, um wirklich noch überzeugend zu sein.

 


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