von Mathias Haden, 02.04.2016
Das verkannte Meisterwerk der britischen Folk-Rocker entführt in elysische Sphären der Ästhetik.
Vor vielen Nächten gab es einmal eine Zeit, da konnten die Menschen noch wirklich singen.
Kaum zu glauben, aber wahr. Bevor T-Pain anfing, Auto-Tune zum beliebtesten Gimmick der Pop-Musik zu machen; bevor Tom DeLonge mehr Studiozeit am Verfremden seiner Stimme, denn am Einsingen
seiner Texte verbrachte und bevor die Menschheit einer Adele zujubelte, weil die ausnahmsweise ein paar Töne zu treffen vermochte und dank der
lieben Wampe auch über ein ordentliches Stimmvolumen verfügte. Kurz: Die richtig großen SängerInnen gehören - Ausnahmen bestätigen doch gerne die Regel - weitestgehend einer fernen Vergangenheit
an, die sich im Rückspiegel gerne beherzter und ehrlicher gibt. Reaktionär ist man freilich nicht, haben junge Künstler wie Marissa
Nadler, Angel Olsen oder die Damen von First Aid Kit doch reichlich
Argumente, um weiterhin am Ball bleiben zu wollen. Auf eine Stimme der Marke Sandy Denny wird man aber wohl auch die kommenden Jahre vergeblich warten.
Als die nach einem unglaublich inspirierten 1969 mit drei Studioalben ihre Band Fairport Convention verließ, um den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung zu machen und mehr in Richtung eigener
Kompositionen tätig zu werden, war die nächste Truppe rasch aus der Erde gestampft. Fotheringay sollte der Name des Quintetts, in dem neben drei anderen renommierten Musikern der britischen
Folk-Szene auch ihr zukünftiger Ehemann Trevor Lucas eine bedeutende Rolle spielte, werden. Fotheringay war bereits der Titel des Auftaktstücks der
ersten Fairport-LP mit Dennys Beteiligung und Fotheringay sollte nun auch der Titel der ersten und (vorerst) einzigen LP der Briten werden.
Wie wichtig dieses neue Ensemble für Denny persönlich war, spiegelt sich in der Güte ihrer eigenen Songs und ihrem gewohnt hingebungsvollen Gesang wider. Man lausche nur dem anmutigen Zusammenspiel der Gitarren in The Sea, von dessen sanften Wellengang man sich einfach treiben lassen und auch den härtesten Arbeitstag im Nu in einen sorglosen Ritt umpolen kann - ganz zu schweigen natürlich vom immer wieder einsetzenden, atemberaubenden Gesang, der der Fantasie mit herrlichen Bildern weiteren Nährboden verschafft, zudem ein beneidenswertes Fazit zieht: "Time? What is that? I've no time to care". An die himmlische Harmonie vom schlicht perfekten The Sea kommt in weiterer Folge nichts mehr ran, in dessen Nähe indes so mancher der übrigen acht Tracks. Am besten ist das Album in der Regel dann, wenn die Sängerin den ihr so ungeliebten Status als Leaderin beansprucht und die Stücke vertont. Die von ihr geschriebenen Perlen Nothing More, Winter Winds und The Pond And The Stream paradieren zwar alle mit denselben Vorzügen, untermalen die gesangliche Performanz mit behutsamen, akustischen Arrangements, werfen aber nicht nur im Lichte der musikalischen Schönheit keine Schatten der Gleichförmigkeit. Besonders das kleine Folk-Prunkstück Winter Winds weiß hier herauszustechen, mit herrlich melancholischer Stimmung und famoser Lyrik, die ich an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte:
"Winter winds they
do blow cold
The time of year, it is chosen
Now the frost and fire
And now the sea is frozen
He who sleeps he
does not see
The coming of the seasons
The filling of a dream
Without a time to reason
When she walks
through evil
O'er the path of broken illusion
Carefully now she lives
For she has mended her confusion"
Na, in lieblichen Gedanken entschwunden? Gut so! Dafür sind die knapp 44 Minuten ästhetischer Feinkost doch da. Und wer bis zum Ende "durchhält" und nicht in elysische Sphären abgedriftet ist, darf sich mit der letzten Glanztat der auftrumpfenden Sängerin belohnen. Zwar nicht von ihr geschrieben, kommen die acht Minuten vom traditionellen Kriegs-Folksong Banks Of The Nile einem kleinen, persönlichen Epos gleich. Während das meisterliche The Sea oder Winter Winds gerade als Zusammenspiele zarter Arrangements und Dennys Gesang so hervorragend ergänzen, ist der Closer wirklich nur auf ihre emotionale Darbietung ausgerichtet, wie sie da zwei aufgrund des Krieges scheidenden Liebenden ihre Stimme leiht... einfach ergreifend.
So gerät auch das Album des britischen Quartetts letztlich zum persönlichen Triumphzug,
wiewohl alle beteiligten Musiker ihren verdienten Beitrag leisten. Auch der bislang kaum erwähnte Bald-Ehegatte Lucas macht sich als Lead-Sänger gar nicht so schlecht - besonders das Duett
Peace In The End wurde nicht umsonst als Lead-Single ausgekoppelt -, bleibt auf seinen, im Vergleich etwas rockigeren, Stücken insgesamt doch weit
hinter den Auftritten seiner Geliebten. Die einzige seiner Nummern, die allerdings deutlich vom Rest abfällt, ist Bob Dylans Too Much Of Nothing, das eher wie das uninspirierte, obligatorische Dylan-Cover, denn als liebevolle Hommage oder gar veredelte Aufnahme anmutet.
Darf den beteiligten Herrschaften aber durchaus schnurz sein, haben sie der Menschheit als Fotheringay eines dieser verkannten Meisterwerke geschenkt, nach denen man als neugieriger
Musikliebhaber doch so sehnlich Ausschau hält. Die Band spielt exzellenten Folk-Rock, bedient sich beim britischen Folk genauso wie bei Dylan oder dem Kanadier Gordon Lightfoot, zelebriert seine
Sternminuten aber meistens dann, wenn das große Flagschiff der Truppe, ihre Sängerin, ihre unvergleichliche Stimme mit uns teilt. Eine Stimme für die Ewigkeit. Eine Stimme, auf die man gerne auch
weitere Äonen warten würde.