How Big, How Blue, How Beautiful
Veröffentlichungsdatum: 29.05.2015
Rating: 6.5 / 10
von Mathias Haden, 02.06.2016
Überlebensgroßer Pop-Rock, der im Jahr 2015 nicht nur auf der Bühne seinesgleichen sucht.
Wer Florence Welch noch nie Live auf der Bühne erlebt hat, der hat zweifelsohne etwas verpasst im Leben. Wie leichtfüßig sich diese doch so fragile, in esoterischem Lichte schimmernde Fee über das Parkett schwingt, wie stimmgewaltig sie (trotz schmachtendem Röcheln zwischen den einzelnen Einsätzen) ihre Songs vorträgt, das sollte man zumindest einmal gesehen haben. Wer am 12. April diesen Jahres in der hiesigen, nicht zu Unrecht immer wieder verdammten Stadthalle mit von der Partie war und ebenfalls einen zauberhaften Abend genießen durfte, weiß, wovon ich hier spreche. Da wir auf MusicManiac allerdings lediglich Alben und keine Gigs rezensieren, war das obige nur eine dankbare Einleitung und eine wärmende Empfehlung an alle, die sich nach schneidenden Auftritten sehnen. Obwohl, so ganz zusammenhanglos ist das Geschreibsel gar nicht, haben Welch und ihre Maschine doch ihr neuestes, im Mai des Vorjahres erschienenes drittes Studioalbum präsentiert. Nachdem die Band ein Jährchen Pause eingelegt hatte und die Frontfrau anderen Versuchungen nachging, lockten bald wieder die Reize des Studios. Mit erneut großem Sound, üppigen Arrangements und frischen Einflüssen hatte man dieses schon bald im Kasten. How Big, How Blue, How Beautiful ist der ambitionierte Titel und nicht minder ambitioniert sind die elf Stücke, die sich auf der regulären Version finden lassen.
Ship To Wreck, der Opener der LP, lässt zur akustischen und elektrischen Gitarre noch Orgel, Synthesizer und Glockenspiel aufwarten - die Stars der Darbietung sind allerdings Bass und Welchs einnehmende Vocals, die den Zuhörer schon am ersten Stück direkt ins Geschehen ziehen und irgendwo zwischen Folk-Rock-Ästhetik und poppigem Breitwandsound verwöhnen. Nicht die einzigen wertvollen Minuten dieser vielseitigen Platte: Der Titeltrack denkt die Idee der überlebensgroßen Soundgebilde weiter, schmückt sich mit einem mächtigen Orchester, bei dem gegen Ende vor allem die Bläsersektion einen exzellenten Auftritt hinlegt. Bei Queen Of Peace glaubt man sich anfangs in einem Lana Del Rey-Italo-Sommermärchen der Marke Salvatore, bevor ein stampfender Beat und Welchs mitreißender Gesang dem Track eine hymnische Natur verpassen. Das Spannende an diesen Songs ist auch, dass man musikalisch gar nicht so weit weg von den Konkurrentinnen um die oberen Chartsregionen wie Katy Perry entfernt ist, man macht es nur sowohl in Sachen Songwriting, als auch in Arrangement und gesanglicher Hingabe, praktisch auf jeder Ebene mindestens eine Klasse stärker und charmanter.
Was natürlich nicht bedeutet, dass How Big, How Blue, How Beautiful frei von jeglichen Makeln wäre, ganz im Gegenteil. So gut Welch mit ihrer Präsenz und der aufopfernden Performance die Schwächen ihrer Songs live auch überspielen konnte bzw. kann, im Studio gelingt dieses Kunststück freilich nicht so "einfach". Die Ballade Various Storms & Saints ist trotz aller Bemühungen im emotionalen Bereich und passender, selbstreflexiver Worte ("And I don't know how I don't just stand outside and scream / I am teaching myself how to be free") schlicht und einfach fade, während Long & Lost in ähnlich introvertierter Natur, die ganz grundsätzlich den wohl größten Bruch zum vorangegangenen Werk darstellt, dahin dümpelt und Caught mit seinen hellen Gitarren und der wärmenden Melodie in einer A1 Werbung ganz gut aufgehoben wäre, wobei man das durchaus auch als Kompliment verstehen könnte. Ein Kritikpunkt kristallisiert sich indes in der Tracklist heraus. Nachdem man mit Third Eye den Kracher der LP serviert bekommt und dann mit St. Jude ein zurückgenommenes, verletzliches Ende einleitet, kommt mit Closer Mother noch ein unpassender Rocker, der die Gefühlswelt ordentlich auf den Kopf stellt.
Apropos Third Eye. Dieser Track, zu meinem großen Erstaunen nicht einmal als Single ausgekoppelt, rechtfertigt im Prinzip alleine die Anschaffung des dritten Longplayers. Am wohl besten Stück, das die Band in den knapp zehn Jahren seit der Gründung veröffentlicht hat, triumphiert das - festhalten - Septett mit einem großartigen Mix aus kraftvoll reißerischem Gesang, treibenden Percussions, sanften Ukulele-Anklängen und fetziger Hook, dazu noch der Text, der Selbstreflexion und Offenheit perfekt ausbalanciert:
"'Cause there's a
hole where your heart lies,
And I can see it with my third eye.
And, though, my touch, it backfires,
You pull away, you don't know why."
Und wenn der Rest dann auch regelmäßig hörenswerte Momente zu Tage fördert, die dem aufwallenden Pathos immer wieder Einhalt gebieten, dann hat man eigentlich eine starke LP, die im Pop-Rock-Sektor des Jahres 2015 ihresgleichen sucht. Nähme man sich die besten vier, fünf Nummern heraus, hätte man zwar eine grandiose EP, in der veröffentlichten Form ist How Big, How Blue, How Beautiful aber auch eine Empfehlung für all jene, die sich nicht zu schade sind, berührende Texte auch unter Bombast zu suchen und natürlich jene, die wie ich immerzu auf der Suche nach wirklich großen Sängerinnen sind. Zu denen darf sich Florence Welch durchaus zählen. Besonders, wenn sie auf der Bühne steht, den Zuseher in ihren Bann zieht und das wünschenswerte Exempel statuiert, wonach auch unter Chartsstürmern ästhetische Künstler zu entdecken sind. Das reicht fürs Erste.