von Kristoffer Leitgeb, 16.07.2016
Fernab alter Treffsicherheit wartet ein steiniger Weg in Erinnerung an große Namen.
Scheint so, als würde wirklich andauernd irgendwer irgendwem etwas widmen. Jeder Sieg im Sport ist jemandem gewidmet, jeder Autor klatscht einem am Anfang eine Widmung hin, jedes Gebäude muss nach jemandem benannt sein. Gut, wir Menschen sind naturgemäß vergesslich, vor allem generationenübergreifend, also hat so eine kleine Erinnerung an ehrenwerte Persönlichkeiten was für sich. Und es freuen sich sicher auch alle Verwandten, denen was gewidmet wird. Nur bei Hinterbliebenen von Katastrophen aller Art beschleicht mich das Gefühl, Widmungen und oder Beileidsbekundungen helfen denen - leider - genau überhaupt nicht. Wo ich aber abzudriften drohe, drifte ich doch wieder zurück. Auch Dave King und seine unirischen Kollegen widmen ihre dritte Studio-LP und zwar niemand geringen als Johnny Cash und Joe Strummer. Die beiden sind zweifellos widmungswürdig, doch man holt sich auch einiges an Verantwortung mit ins Boot, wenn man solchen Kapazundern huldigt. Und "Within A Mile Of Home" droht daran zu zerbrechen.
Bis dahin waren Flogging Molly ja immer recht weit weg von der Perfektion, dafür aber fast unerreicht in puncto Energie und Leidenschaft. Dave King hatte zu "Swagger"-Zeiten einiges zu sagen, viel über sich und sein Leben vor allem, und ob er nun seine Kumpanen dressieren musste oder nicht, sie haben ihm auf alle Fälle mit druckvollem Punk und dessen keltischen Seitenteilen verdammt oft in die Hände gespielt. Das Ergebnis waren starke Alben. 2004 weiß dann aber plötzlich niemand mehr wohin mit der Energie oder den Botschaften. Letztere sind überhaupt fast weg oder zumindest verwaschen genug, dass sie nicht mehr viel bieten, was herausstechen könnte. Vorbei die Zeiten, als King seinem Vater ein Ständchen sang oder die eigene Jugend ins rechte Licht rückte. Gewichtige Worte gibt es schon immer noch, aber sie finden sich schnell einmal in so etwas wie dem politischen Opener Screaming At The Wailing Wall wieder. Und dem könnte man mit einigem Wohlwollen das alte Naturell der Band bescheinigen, hätte man nicht das Gefühl, etwas Schizophrenem beizuwohnen. Man war oft energiegeladen, manchmal auch wirklich ausgelassen, aber nie hat die Band einem einen lockeren Pub-Rocker vorgespielt, während King ein bissl die US-Außenpolitik niedermacht. Das geht sich nicht aus, auch wenn es nett klingt.
Und die LP bleibt im Großen und Ganzen schizophren. Es gibt kontrastreich, so wie das die früheren Alben waren, und dann gibt es schlicht sinnbefreit zerrissen. Diesmal ist es letzteres. Mit einer unfassbaren Beständigkeit reiht man mehr oder weniger explosive Punk-Nummern an gediegene Balladen und nimmt so die längste Zeit fast allem den Wind aus den Segeln. Dieses ständige Hin und Her erfüllt, so zumindest der Eindruck, keinen Zweck mehr, sondern ist einfach nur da. Und das bringt Probleme, weil fast nichts mehr so gut nachwirkt, wie man das gewohnt war. Vermeintlich druckvolle Minuten wie die von To Youth (My Sweet Roisin Dubh) oder das mühsame Piraten-G'schichtl Tobacco Island verpuffen und wecken kaum Interesse, wirken bizarrerweise gerade auf der bis dahin glattesten und vielfältigsten LP der Band ziemlich gleichförmig und ohne markante Finessen. Fast möchte man meinen, in solchen Momenten spielt man einfach den altbekannten Socken runter, ohne das wirklich zu wollen.
Diese Annahme wird verstärkt dadurch, dass das so reichhaltige Feld der Balladen und Mid-Tempo-Tracks mit so viel mehr Ideen und Varianten angereichert ist, dass man fast nur dort den Fokus vermuten kann. Natürlich ist es dann unglaublich blöd, wenn dort noch nie die Stärken der Band lagen. Das war immer ein Eiertanz um den ungeliebten Kitsch und die Langeweile. Nicht immer erfolglos, aber eben mit weit höherer Fehlerquote. Jetzt will man gerade auf "Within A Mile Of Home" dahingehend mehr bieten und sorgt dafür, dass man Lucinda Williams' Gastauftritt im leicht countryfizierten Factory Girls fast nur kitschig und den zähen Closer Don't Let Me Die Still Wandering trotz fülliger Instrumentierung mitsamt Bläsern fast nur fad nennen kann. Da lebt selten irgendwer auf, so sehr sich alle auch bemühen. Da hilft die Mandoline von Bob Schmidt genauso wenig wie Fiddle oder Tin Whistle in den Händen der oft so starken Bridget Regan. Diese Minuten vergehen einfach kaum und wirken - mit Ausnahme des spät stimmlich versauten The Spoken Wheel - so leblos und fern jeder Atmosphäre.
Wo die Stärken der Flogging-Molly-Maschinerie liegen beweist dagegen schon früh The Seven Deadly Sins. Was gibt's besseres als diesen Wunsch-Iren bei so einem frenetischen Ausbruch zuzuhören und sich im Kopf in einer wunderbaren Bar-Schlägerei zu wähnen? Natürlich, einiges. Ist aber trotzdem sehr stark, wenn man wieder kurz dieses dreckige Punk-Feeling zu spüren bekommt, das trotzdem nicht an den Nuancen in Form von Fiddle, Akkordeon und Banjo spart. Aber dann wartet man und wartet und wartet. Bis irgendwann, sehr spät, Queen Anne's Revenge genau diese Formel in ihrer Perfektion präsentiert. Wände werden eingerissen mit dem stampfenden Beat, dem röhrenden Riff, dem wunderbar unsauberen Gesang vom Bassisten Nathen Maxwell und natürlich dem unverzichtbaren Akkordeon. Zwar hatte die Band bessere Momente, aber sie haben es nie sonst zu einem Song gebracht, dem das Prädikat "druckvoll" so unfassbar gut steht. Da kümmert es auch gar keine Sau, dass zum dritten Mal ein bissl Seemannsgarn aufbereitet wird - nachdem The Seven Deadly Sins das genauso macht, dürfte ihnen das ohnehin sehr gut tun.
Noch geradliniger wird man dann nur mehr mit dem Titeltrack und With A Wonder And A Wild Desire, letzterer überhaupt mit der altbekannten Formel aus dem ruhigen, hymnischen Akustik-Intro und dem plötzlichen Sprung ins schnelle elektrische Stakkato. Und es wären beides gute Argumente für die Qualität der LP - immerhin lebt da die Tugend der gekonnten Mischung aus anziehenden Melodien und griffiger, muskelbepackter Gitarrenarbeit auf -, wäre sie nicht ihrem Ende ziemlich nahe.
Darüber ist man nicht gar so traurig. Vielleicht wäre ja bei einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden etwas epochal Großartiges rausgekommen. Nachdem aber diese 52 Minuten bereits ausreichend fehlerbehaftet sind, um für Flogging Molly den Abschied von hochqualitativer Arbeit zu bedeuten, will man es wohl nicht so genau wissen. "Within A Mile Of Home" leidet darunter, dass die Prämisse und die Ziele dahinter die Stärken der Band allzu oft konterkarieren. Dave King ist weder Johnny Cash, noch Joe Strummer, er ist einfach Dave King. Dass das durchaus einiges für sich hat, insbesondere im Paarlauf mit seiner Band, hätten ihm die beiden vorherigen Alben beweisen können. Diesen Schritt weg davon hätte es dagegen nicht gebraucht. Nicht umsonst heißt es: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Also ganz klar: King, bleib bei deinem Celtic Punk!