von Kristoffer Leitgeb, 05.06.2015
In vino veritas! Die Folk-Punker haben entgegen dem Titel mehr als nostalgische Sauflieder zu bieten.
Wer seine Band allen Ernstes Flogging Molly nennt, der dürfte einen ziemlichen Sprung im Schüsserl haben. Oder aber er ist mächtig angesoffen. Wer nun die so benannte Musikervereinigung kennt, der wird vielleicht eher dazu tendieren, ihr letzteres anzukreiden. Ganz nüchtern dürfte die Entscheidung für den irgendwie gewalttätigen, irgendwie sogar ein bissl sexistischen Namen nicht gefallen sein. Was irische Wurzeln hat und zu ihnen steht, lässt sich aber nüchtern ohnehin zu nicht allzu vielen Entscheidungen hinreißen. Und natürlich bringt dieser Sermon unweigerlich die zweite Studio-LP der Folk-Punker aufs Tapet, die man, um der Pub-Tauglichkeit der eigenen Songs auch auf diesem Wege Ausdruck zu verleihen, gleich einmal "Drunken Lullabies" genannt hat. Und die selbst aufgehängten Lorbeeren waren recht weit oben, als es 2002 darum ging, dem Vorgänger alle Ehre zu machen und nicht für einen Absturz zu sorgen, wie ihn nur ungeübte Trinker erleben kann. Ungeübt ist in diesem Sextett aber keiner, für eine erfolgreiche Fortsetzung schaut's also sogar recht rosig aus.
Natürlich unter der Annahme, dass man den starken Sound von "Swagger" nicht einfach so liegen gelassen oder gar verstümmelt hat. Diese Band urplötzlich ohne stampfende Drums, ohne Power Chords und ohne ein bisschen good ol' Irish in Form von Tin Whistle und Violine? Geht nicht, geht gar nicht. Der Opener Drunken Lullabies wischt solcherlei Bedenken aber ohnehin geschwindest vom Tisch, kann genau mit all dem Genannten aufwarten. Überhaupt ist man direkt wieder in Hochform, treibt den wieder einmal nostalgisch dahin sinnierenden Dave King mit aller zur Verfügung stehenden Energie vor sich her. Und während das ungeölt kernige Lead-Stimmchen mal kurz darauf kommt, dass früher alles besser und doch eben nicht war und man sich deswegen wieder "in the same old mess" wiederfindet, erledigt auch Bridget Regan ihren Job an der Violine aufs Beste, verleiht dem Einstieg die nötige Melodie, die man sich über Gitarre, Schlagzeug und auch das zuhilfe geholte Banjo nicht zu holen traut.
Najo, gut so. Kein Backlash vom Vorgänger, kein grausiges Erwachen in plötzlicher Fadesse. Die Tonart ändert sich in der Folge auch dahingehend nicht wirklich. Wie die Band überhaupt nicht daran denkt, das Rad neu zu erfinden, stattdessen lieber den alten Tagen die Treue hält. Ob Rebel Of The Sacred Hearts oder doch What's Left Of The Flag, Up-Tempo-Güte mit Hang zur Härte und doch irgendwie harmoniesüchtig, das klappt noch immer. Bald zur Gewohnheit werden die vielen dezenten Intros, die Kings Gesang und Regans Multiinstrumentalität als Bühne dienen, genauso wie der plötzliche laute Ausbruch spätestens beim dritten Mal keinen Herzinfarkt mehr verursacht. Doch die Band ist vielseitig genug, um diese offensichtlichen Ähnlichkeiten mit ihrem Sound zu überdecken, und sei es nur dadurch, dass sich eben die musikalischen Erinnerungen an Irland immer wieder abwechseln und noch jedes Mal in ihrer Nebenrolle für starke Performances sorgen. Ganz abgesehen davon, dass gerade diese Inkarnation von Flogging Molly, die mit ordentlich Tempo und gleichzeitig poetischen wie direkten Texten, ja eigentlich ihre beste ist.
Was nicht heißen soll, dass es in dieser nur leicht veränderten Wiederholung des Vorgängers nicht doch auch krankt. Die begangenen Fehler sind eher Leichtgewichte, herauszuhören sind sie trotzdem. Denn die gelobten Texte, die haben ihren tiefpersönlichen Touch eingebüßt. Kings Verbundenheit zur alten Heimat ist spürbar, in jedem einzelnen Song, doch die durchschlagende, emotionale Botschaft eines Black Friday Rule sucht man diesmal vergebens. Was man dafür findet, ist ein Schritt zu gesitteteren Manieren und der steht einer Band, die einem einen Pub vor dem inneren Auge entstehen lässt, nicht so wirklich. Hinter einer präziseren Produktion und einem harmonischeren Zusammenspiel versteckt sich auch ein kleines Nachlassen, wenn es um den antreibenden Nachdruck von früher geht. Der ist nicht mehr so oft spürbar, durchzieht vor allem in der zweiten Hälfte nur mehr das nicht ganz zündende Cruel Mistress - Sea Shanties mit fragwürdigem Humor, naja. Dafür gibt es das fast gemächliche Stück May The Living Be Dead (In Our Wake), das sich mit dem Akkordeon redlich bemüht, aber doch nur den Durchschnitt erreicht.
Was nicht heißt, die ruhigere Seite wäre so gar nicht zu gebrauchen. Auch diesmal landet mit dem lange Zeit akustischen If I Ever Leave This World Alive ein starkes Exempel von Dave Kings Fähigkeit, auch die kratzigste Stimme gefühlvoll klingen zu lassen, auf dem Album. Es ist seine Vorstellung, da kann die Band fast einpacken, selbst wenn sie gegen Ende noch mal den Lautstärkeregler hochdreht. Dafür muss dann aber auch der Albumlangweiler - wie eh so oft der Closer - auf der ruhigen Seite gelagert sein. Der wird zur Niederlage, weil erstens King nur dann ein guter Sänger ist, wenn er nicht wirklich zu singen versucht, und zweitens schleppendes Tempo irgendwie nicht dem Namen Flogging Molly gerecht wird. Dass anderweitig auch gepatzt werden kann, legt das ziemlich nutzlose Instrumental Swagger nahe. Und doch wird mit dem altbekannten Gesicht selbst dieser unspektakulär gespielte Track noch leicht hinnehmbar.
Besser geht das aber ganz eindeutig mit einem eindrucksvollen, punkigen Ausbruch wie dem von The Kilburn High Road. Die große Stärke kommt wieder zum Vorschein, auch straight-forward können die US-Amerikaner noch ihren irischen Charme ausspielen, ihn stark genug zum Ausdruck bringen, dass er gegen die starken Riffs bestehen kann.
In der Endabrechnung lässt das gute Dinge erahnen und tatsächlich geben sich Flogging Molly auch auf dieser LP ziemlich kulant mit den positiven Momenten. Ein bisschen mangelt es in der vordersten Reihe an der Substanz, ganz so outstanding ist "Drunken Lullabies" nicht mehr, zumindest nicht so oft wie der Vorgänger. Doch diesen 'Abstieg' nimmt man gern in Kauf, endet er doch bei einem Haufen starker Songs, die allemal das Zeug dazu haben für gute Unterhaltung zu sorgen. Und trotzdem sollte sich bald zeigen, dass die Ruhe, die hier in kleinem Maße Einzug hält, auch für das Ende der wirklich lohnenden Tage der Band sorgt. Noch ist davon keine Rede, 2002 war alles gut bei den Molly-Schlägern.