von Daniel Krislaty, 07.01.2014
Ein Wendepunkt im Leben der Band mit zwei Gesichtern.
Neunzehnhundertsiebzig. Eine bedeutsame Jahreszahl in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das magische Flower-Power-Jahrzehnt ist offiziell zu Ende, die Beatles haben einen unumstößlichen Schlussstrich gezogen, Jimi Hendrix entschied sich frühzeitig für den Tod und der bis dahin unfehlbare Bob Dylan veröffentlichte sein haarsträubendstes Album, Self-Potrait. Die Tatsache, dass mit dem Jahrzehntewechsel die damals äußerst beliebte Blues-Rock-Band Fleetwood Mac begann in Vergessenheit zu geraten, fällt da verständlicherweise schon mal schnell unter den Teppich. Der Grund für letztere Entwicklung trägt einen Namen: Peter Green.
Der legendäre Virtuose an der Gitarre und Identifikationsfigur der Band kämpfte zu jener Zeit nämlich mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen, die sehr wahrscheinlich mit seinem enormen Drogenkonsum zu jener Zeit einhergingen. Mit Kiln House, dem ersten Album ohne den ursprünglichen Gründer der Band, versuchen die übrigen Mitglieder verzweifelt, die hinterlassene Lücke so gut wie möglich auszufüllen. Der junge Danny Kirwan, welcher vom Großmeister höchst selbst rekrutiert worden ist, übernimmt hierbei zusammen mit dem neuen Kollegen Jeremy Spencer, welcher bereits auf vorherigen Alben mitgewirkt hat, die Mammutaufgabe an der Gitarre und trägt dabei stark zum Wandel der Band bei. Obwohl Kirwans Talent außer Frage stand, sah er sich nicht in der Lage an Peter Greens Stil anzuknüpfen und entwickelte einen hybriden Klang, indem er den ursprünglichen Bluesrock mit zeitgenössischem Pop-Rock bzw. Rockabilly kreuzte.
"This is the rock
That knocks you right out
It makes you lose
All your troubles and cares
You'll lose your blues
They ain't going nowhere"
Bereits das erste Lied, This Is The Rock, scheint das textliches Bekenntnis zu dem neu eingeschlagenen Weg darzustellen, eher die 'Rockkeule schwingen' zu wollen. Paradoxerweise zählt dessen Komposition mit ausschweifenden Gitarreneinlagen allerdings noch zu den blueslastigeren Titeln des Albums. This Is The Rock zieht - wie einige andere Songs auf Kiln House - deutliche Parallelen zu der amerikanischen Rock and Roll Szene der 1950er und lässt sich unter anderem sehr gut mit Aufnahmen von Elvis Presley vergleichen (z.B.: Jailhouse Rock). Verantwortlich für diese neue Interpretation ist vor allem Jeremy Spencer, der bereits auf seinen Soloalben davor versuchte, das Rockabilly-Genre in ein zeitgemäßes, englisches Korsett zu zwängen. Kein leichtes Unterfangen, bedenkt man, dass mit dem Beginn der 1970er in England die Ära des Progressive Rock schon an die Tür polterte, um das Hörpublikum mit komplexen Arrangements und Texten zu verwöhnen.
Doch auch Kiln House weiß zweifelsfrei ein instrumentales Feuerwerk aufzutischen. Mit Jewel Eyed Judy und Earl Gray untermauert Danny Kirwan seine fabelhaften Ambitionen als Gitarrist. Während letzteres eine sehr romantische Atmosphäre aufbaut und auf Gesang verzichtet, erzählt Jewel Eyed Judy von schmerzhaften Erinnerungen an eine Verflossene. ("Moonlight glistens/On my tearsIs this all/That we could find/Chains of memories/Left behind"). Gemeinsam mit Buddy’s Song, One Together und Mission Bell gehören die beiden mit Sicherheit zu den musikalisch harmonischsten Titeln des Albums und repräsentieren die besagte Annäherung an das zeitgenössische Pop-Rock-Genre.
Buddy’s Song entführt übrigens wieder in das Rock 'n' Roll-Zeitalter und bildet – wie der Titel unschwer erkennen lässt – eine liebevolle Hommage an Buddy Holly. Dabei bezieht sich Fleetwood Mac auf zahlreiche Inhalte seiner Lieder, während die Credits Buddy Hollys Mutter, Ella Holly, zugeschrieben werden. 50er-Jahre-Flair versprühen ebenso Blood On The Floor und Hi Ho Silver, welche beide von einer gewissen Country-Thematik beherrscht sind.
Das prägendste und zugleich musikalisch aufwendigste Stück hält Kiln House allerdings bis kurz vor Schluss zurück. Tell Me All The Things You Do punktet vor allem mit Danny Kirwans exzessivem Gitarrenspiel und bietet dem Fan der früheren Alben eine anständige Möglichkeit, Abschied von der scheidenden Bluesrock-Orientierung der Band zu nehmen.
Wie hat sich Fleetwood Mac nun nach der ersten großen Personalveränderung geschlagen? Obwohl der neue Trend deutlich merkbar ist, wissen sie ihre hohen Ansprüche durch neue Wege eindrucksvoll beizubehalten. Die Trennung von Peter Green mag zwar durch deutlich geringere Absätze der LP gekennzeichnet worden sein, hat aber die Qualität - zumindest kurzfristig - nicht sonderlich beeinträchtigt. Die Rockabilly-Einflüsse wirken frisch und das Aufgreifen zugänglicher Rockmusik macht es aus heutiger Sicht für den neutralen Hörer womöglich sogar genießbarer als die langatmigeren Blues-Rock-Alben der Jahre zuvor.