von Mathias Haden, 07.03.2016
Das neueste Kapitel der Americana-Feldstudie birgt ungekannte lyrische Defizite.
Es hat schon seine Gründe, warum Gold seit Jahrtausenden als beliebtestes Edelmetall
kultisch verehrt wird. Ein altes Sprichwort besagt, ohne Gold sei selbst das Licht finster. Nicht umsonst ist
die Sage von König Midas eine der bekanntesten der Antike und selbst jene, die der Moral dieser Geschichte und der vergänglichen Macht des güldenen, nichtmagnetischen Metalls mit Auffassung
entgegentraten, wussten um die Vorzüge der schimmernden Herrlichkeit bestens Bescheid. Mit ihrem internationalen - nennen wir es liebevoll mal - Durchbruch, den die beiden Schwestern
Söderberg-Schwestern alias First Aid Kit mit dem 2012 erschienen The Lion's
Roar feiern konnten, legte sich auch auf die zarte Haut der beiden Schwedinnen ein golden funkelnder Teint, der sie zu einem der vielversprechendsten Folk-Acts Europas machen
sollte. Der Wechsel zum renommierten Columbia-Label war schließlich die logische
Konsequenz, mit dem Nachfolger, der nunmehr dritten LP Stay Gold sollte ganz dem Albumtitel entsprechend der Erfolg gefestigt werden.
Bricht man die Bedeutung des anvisierten Erfolges auf das runter, was die Schwestern am besten können, ihren einnehmenden Harmoniegesang, kann man hier tatsächlich von einem großen Triumph
sprechen. Klara, die jüngere der beiden, ist nach wie vor der kreative Kopf und auch das bestimmende Organ, während Johanna sich als verlässliche Rückendeckung augenscheinlich am wohlsten fühlt.
Auch legen die Schwestern, wie ein kurzer Blick in die Credits offenbart, den Fokus auf ein üppigeres Klangbild. Klara spielt weiterhin Gitarre und gelegentlich Percussions und Johanna darf sich
an Keyboards und Autoharp austoben - dafür ist die Liste der Studiomusiker wieder ein wenig länger geworden. Streicher, wohin man hört, Blasinstrumente und auch eine Pedal Steel sind mit von der
Partie.
Was sich hier wie eine tiefere Auseinandersetzung mit der Americana des Westens liest, findet rasch seine Bestätigung. Master Pretender vermählt die wehmütige Pedal Steel mit Trost spendenden Klarinettentönen, dazu verkehren Mellotron und Marxophon und was weiß der Teufel denn alles - das Ergebnis kann sich jedenfalls durchaus hören lassen. Der beste Cut der LP, der herrlich schwungvolle Waitress Song kämpft mit ähnlichen Mitteln, lässt zusätzlich noch Streicher und Bläser auffahren und besticht mit dem bislang besten Harmoniegesang des schwesterlichen Duos. Und selbst das rührende Shattered & Hollow, das mit Piano und Orgel dagegen fast schon spärlich instrumentiert wirkt, schwebt in heimeligen Country-Sphären. Dort scheinen sich die beiden ausgesprochen wohl zu fühlen und ummanteln ihre größte Waffe, den himmlischen, zweistimmigen Gesang, mit noch größerem Melodienreichtum als auf The Lion's Roar.
Hier liegt aber auch der große, goldene Hund von Stay Gold begraben. Während die Söderbergs in Bezug auf diese Stärken wieder alle Register ziehen und letztlich sogar leicht verbessern können, bleibt der Teil des Songs, der sich gänzlich der Lyrik verschreibt, nicht selten auf der Strecke. Klar erfreuen die Geschichten von Liebe, Verletzlich- oder Wankelmütigkeit auch beim x-ten Mal noch wie am Debüt, bei so mancher Passage fragt sich der Otto-Normalhörer dann aber doch wie so oft: "Das hätte ich doch auch schreiben können, oder?". Zumindest beim Refrain von The Bell kann man die geäußerten Zweifel sowohl nachvollziehen, als auch -empfinden: "Can you hear the bell? / Can you hear the bell? / The bell, the bell". Selbst der schon als bester Track der LP herausgehobene Waitress Song macht mit seiner banalen Narration einige Schritt von der Perfektion, die mit Instrumentierung, Gesang und der - vorsichtig, outdated - famosen Melodie zum Greifen nahe schien, weg: "I could move to a small town / And become a waitress / Say my name was Stacy / And I was figuring things out". Naja, nicht gerade das Gelbe vom Ei. Das soll allerdings nicht heißen, dass den Schwedinnen auf Stay Gold ihr gesamtes lyrisches Talent abgekommen sein soll. Besonders schön sind da etwa die in Wörter gemeißelten Selbstzweifel vom Titeltrack, die gleichzeitig die Ambitionen der Schwestern in den Fokus rücken:
"What if our hard
work ends in despair?
What if the road won't take me there?
Oh, I wish for once, it could stay gold
What if to love and
be loved is not enough?
What if I fall and can't bear to get up?
Oh, I wish for once, it could stay gold"
Zwei Jahre und ein Label-Upgrade nach dem hervorragenden The Lion's Roar sind First Aid Kit mit ihrer persönlichen Americana-Feldstudie zurück aus dem Tourleben und forcieren die Idee ihres wohl bekanntesten Stückes Emmylou. Die Arrangements sind gehaltvoller und süßlicher austariert, erinnern statt an Dämmerungsstreifzüge durch die schwedischen Wälder nun an besinnliche Spaziergänge unter der strahlenden Sonne des Great Southwest. Bei aller Freude für die unbestreitbaren Vorzüge der schönen Melodien und Sangeskunst haftet der dritten LP nichtsdestotrotz ein bitterer Beigeschmack in Form von über weite Strecken doch recht uninspirierter Poesie an. Insofern ist Stay Gold samt verstärkter Country-Anleihen bestimmt kein musikalischer Rückschritt, als Gesamtwerk dem Vorgänger aber um einige Karat unterlegen. "Can you hear the bell? / Can you hear the bell?".