Fettes Brot - Strom Und Drang

 

Strom Und Drang

 

Fettes Brot

Veröffentlichungsdatum: 14.03.2008

 

Rating: 4.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.03.2018


Durch und durch elektrisiert und trotzdem gewohnt langatmig und trefferarm.

 

Das Gute vorweg: Der Terminus Rap hat an dieser Stelle eigentlich nicht mehr wirklich etwas verloren. Das spielt einem, nämlich mir, einigermaßen entgegen, weil die Regeln, nach denen ein gewisses norddeutsches Trio zu bewerten ist, etwas anders zu sein scheinen, als das anno dazumal der Fall gewesen ist. Getrieben vom Erfolg oder doch nur vom eigenen Geschmack, haben Fettes Brot ja Mitte der 00er-Jahre effektiv dem abgeschworen, was man wirklich noch Rap nennen könnte. Vielleicht nicht albumumspannend, aber als dominante Strömung im eigenen Sound konnte man ihn nur mehr insofern identifizieren, als dass es auch ohne großen Rhythmus, ohne großes Tempo, ohne wirklichen Flow nur zu Sprechgesang gereicht hat. Das ist an und für sich noch kein Ausschlusskriterium, hat aber irgendwann dazu geführt, dass die thematische Fadesse der ersten Alben durch musikalische Fadesse ersetzt und/oder erweitert wurde. An diesem Umstand ändert "Strom Und Drang" wenig.

 

Wobei die Methodik, dieser stramm elektronische Rückhalt für das Dreigespann, dann doch einen gewissen Schritt in Richtung klassischer Rap-Schemata vermuten ließe. Immerhin kann man sagen, dass spröde, mitunter ans Innenohr hämmernde Beats die Szenerie beherrschen, vom ersten Song an die Party- und Disco-Stimmung reaktivieren wollen und potenziell könnten, die irgendwann einmal Schwule Mädchen ausgemacht hat. Das ist an und für sich nett, solange das in erkennbarer Art und Weise textlich und musikalisch entsprechend ausgeformt passiert. Bettina, Zieh Dir Bitte Etwas An riecht nicht danach und erfüllt die Anforderungen dann doch souverän. Im Endeffekt hat man es da nämlich genau mit dem penetranten, schrillen und dumpfen Liedgut zu tun, das die Hamburger perfektioniert haben. Wobei der gewinnende Aspekt, abseits der präzisen, digital gestählten und minimalistischen Produktion von Modeselektor, eher an der lyrischen Front zu finden ist. Dort sieht man sich zwar mit dem eher banalen Appell "Bettina, pack deine Brüste ein!" konfrontiert, erkennt aber im Gesamtpaket einen gar nicht so schwachen Blick auf eine übersexualisierte Gesellschaft, ohne dabei zum erhobenen Zeigefinger der Nation zu werden.

 

Das ist auf gleich zwei Ebenen vielversprechend, wiewohl gerade das misstrauisch macht. Mal ehrlich, wie oft ist den Broten sowas bisher gelungen? Man könnte mit einer Hand auskommen, um solche Fälle aufzuzählen. Folgerichtig reiht sich keine Armada ähnlich starker Tracks an die Leadsingle. Opener Lieber Verbrennen Als Erfrieren hält sich zwar musikalisch mit dem gemächlichen EDM-Ton einigermaßen schadlos, lahmt aber als durchwegs mäßiger Versuch, irgendwas oder irgendwen wachzurütteln und die Nacht mal wieder zum Tag zu erklären. Zu oft durchgekaut, dementsprechend zäh wird sowas ab Songmitte schnell einmal. Tatsächlich sind es übrigens die Songlängen, die wieder und wieder gegen die Truppe sprechen. Nicht, dass sie exorbitant wären, der lässige Drei- bis Vierminüter ist eigentlich Standardprogramm. Nur ziehen sich die schleppenden Beats und die lauten, aber alles andere als dynamischen Synth- und Keyboard-Arrangements auch da schon einmal gewaltig. Dass zum Beispiel Das Traurigste Mädchen Der Stadt kaum zum großen Dance-Kracher wird, geschweige denn irgendwo Emotionen wecken würde, überrascht wenig, führt man sich die unvorteilhafte Kombination der latenten Stimmlosigkeit aller Beteiligten - exklusive der trotzdem farbarmen Gastsängerin und MIA.-Frontrau Mieze Katz - und der monoton schrillen Art der stampfenden Soundbausteine.

 

Man lässt sich dann zwar bei Zeiten mehr einfallen, sampelt mal nett dahin in Schieb Es Auf Die Brote oder lässt sich zu Blues- und Soul-Klängen hinreißen. Blöderweise kann aber abgesehen vom textlich schmallippigen und kitschigen Akustik-Pop-Duett von Das Allererste Mal musikalisch nichts mit Lockerheit oder entsprechender Energie punkten. Überhaupt scheint man eine genial negative Kombination aus Text und Musik gefunden zu haben, die es möglich macht, dass beinahe in jedem Track eines von beidem funktioniert. Erdbeben könnte zum lockeren Party-Song werden, wird aber dank gesanglicher Mischung aus stumpfer Anzüglichkeiten und fader Selbstbeweihräucherung zum Reinfall. Dezente Genialitätsanfälle auf textlicher Ebene erwarten einen dagegen beim 1 Euro Blues, dessen Armutslamento zwar im Refrain bittere Minuspunkte bekommt, gleichzeitig aber ohnehin schon vom ermüdenden Gitarren- und Klaviergemisch ausgebremst wird. Da fehlt er dann auf einmal, der ordentliche Beat.

 

In zwei Fällen kann man dann doch noch von entsprechender qualitativer Kongruenz im positiven Sinn sprechen. Am ehesten verdient sich diese Beschreibung Automatikpistole, das als Appell gegen Krieg und die Gewaltverherrlichung im Hip-Hop zum legitimen Nachfolger von An Tagen Wie Diesen wird und durch den streichelweichen, harmonischen Klavier-Loop umgehend überzeugt. Dass sich das Trio mit dem Flow da weiterhin schwer tut, merkt man zu früh, lernt man aber dank des stimmigen Ganzen zu ignorieren. Ganz so gut funktioniert das bei Ich Lass Dich Nicht Los nicht mehr, obwohl gerade da mit Pascal Finkenauer die Erfolgskollaboration vom Vorgängeralbum wiederbelebt wird. Der hält sich auch schadlos, kann aber auch nicht genug zu tun, um die störrischen, teils wirklich unförmigen Rhymes der Rap-Parts abzufedern. Letztlich bleibt das nebensächlich, weil sich die beklemmende Stalker-Story auch so entsprechend entfaltet und mit der stetig steigenden Aggressivität im gesanglichen Monolog gar Vergleiche mit Eminems Stan herausfordert - ohne dabei qualitativ wirklich konkurrieren zu können.

 

Nur machen solche Ausreißer das Kraut einfach nicht fett. Und auch das Brot nicht so wirklich, selbst wenn man trotz grässlich pathetischem Nostalgie-Closer davon reden kann, dass das Bodenlose seltener besucht wird, als es auf dem Vorgänger der Fall war. Das allein lässt "Strom Und Drang" allerdings weniger nach großem Triumph aussehen, sondern eher nach der Bestätigung etablierter niedriger Erwartungen an ein Trio, dessen Stärken noch immer nicht so wirklich zusammenzufassen sind. Was daran liegt, dass nichts so ganz läuft und selbst wenn man schon daran denken könnte, denkt man gleichzeitig an die erkennbaren Schwachstellen, die man ausblendet. Das passiert in den besten Fällen durchaus wohlwollend und ohne großes Entgegenkommen, aber die Schwächen sind es dann eben, die ein gutes Album ziemlich weit weg erscheinen lassen. Daran ändert sich einfach nichts, ob man den Strom jetzt aufdreht oder nicht.

 


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