von Kristoffer Leitgeb, 10.11.2018
Die raue Seite des Synth-Pop: Dröhnen und Flimmern als Bindeglied des melodischen Minimalismus.
Bricht man den Terminus Popmusik auf seinen Ursprung herunter und bringt ihn also mit der notwendigen Popularität in Verbindung, kann theoretisch alles Pop sein, weil potenziell alles populär sein kann. Jetzt diskutiert die versammelte Musikwissenschaft mit der Soziologie herum, ob denn der Pop als Genre wirklich gleichzusetzen sein soll mit populärer Musik oder ob man da klare Trennlinien ziehen sollte. Und spätestens in Zeiten, in denen jeder im Internet seine Musik veröffentlichen kann und damit auch ohne irgendwie geartete Bekanntheit ein Haufen Popmusik produziert wird, hinkt die rein linguistische Eingrenzung ein bisschen. Umso mehr, weil sich auch der Pop nicht mehr nur ungeahnt wandlungsfähig, sondern verdammt widerspenstig gibt, selbst in seinen kommerzielleren Varianten. Streichelweich ist mittlerweile weniger und dann ausgerechnet als vermeintlicher Rock wie von den Imagine Dragons. Der klassische Pop, insbesondere in seiner mittlerweile hauptsächlich von R&B und Hip-Hop geprägten synthetischen Variante, wird dagegen kantiger und weniger der Profillosigkeit entgegenstrebend. An den Grenzen dessen, also dort, wo der Pop drauf und dran ist, endgültig nicht mehr als Pop erkennbar zu sein, findet man jemanden wie FARCE und damit ein vielschichtiges Schauspiel.
Die Basis dafür liegt wohl im künstlerischen Background von FARCE a.k.a. Veronika König. Die Exil-Wienerin mit deutschen Wurzeln hat nicht nur den Schwarzwald, sondern auch Hardcore, Metal und Shoegaze hinter sich gelassen. Die dort mitunter zelebrierten, undurchdringlichen Wände aus malträtierten Gitarrenriffs finden sich dementsprechend in den hier gebotenen Songs nicht mehr. Allerdings wurde am Computer adäquater Ersatz gefunden, die Synthesizer und Beats, die hier zusammengemischt werden, röhren, kratzen und flimmern ohne Unterlass, sodass man Soundcollagen erhält, die wenige Atempausen erlauben. Erdrückend ist das interessanterweise nicht, obwohl die Sängerin nicht einmal davor zurückschreckt, ihre Stimme auch über ganze Songlängen zu verzerren und zu manipulieren. Genuin organische Musik ist also nicht der Kern von "Heavy Listening", wie es auch ein traditionelles Verständnis von Pop nicht spielt. Stattdessen oszillieren die Songs mitunter im Sekundentakt zwischen anziehend melodischen, glasklaren und hellen Passagen und den auf Distanz haltenden Rausch- und Dröhn-Exzessen. Das ist insofern riskant, weil damit die Rubriken Fisch und Fleisch beide ausgeschlossen sind. Das dazwischen liegende Liedgut ist allerdings durchwegs verführerisch uneindeutig und trotz manchmal kaum zu entziffernder textlicher Inhalte alles andere als aklimatisch.
Im Gegenteil, die LP wirkt von der mit CCTV stark gewählten Eröffnung weg unruhig und aufgewühlt, eben hin und hergerissen zwischen geradlinigem Synth-Pop und den umgebenden Klangwänden. Für das Gelingen einer solchen Übung ist Königs stimmliche Präsenz, die zwar alles andere als beherrschen ist, allerdings dafür sorgt, dass ihr synthetisierter Gesang reibungslos mit dem übrigen Sound verschmilzt und gleichzeitig mit ihrer Stimmfarbe einen guten Kontrast zu den oft schrillen Elektronik-Klängen bietet. Trotzdem braucht es die Melodik, die über die schimmernden, mitunter eklatant in den 80ern verwurzelten Synths hereinkommt, um Songs wie Pièce De Resistancé oder das finale Ungut an einen Punkt zu bringen, wo man wirklich von stark geformten und fertig wirkenden Songs sprechen kann. Während einen trotz dieses Umstandes wenig in einer Form anspricht, dass man von einem Treffer ins Schwarze sprechen könnte, gelingen im Falle von Die Angst, I'm Dying Man oder Meddl 1000 Tracks, die mit ihrem harschen Sound eine unwirtliche Landschaft skizzieren und damit eher im Vorbeigehen erfolgreich aktuelle Pop-Tendenzen bis zur Unkenntlichkeit entstellen.
Die überzeugendsten Minuten sind trotzdem die, in denen sich König dem Synth-Pop am meisten annähert. Davon lebt die erste Hälfte des Closers, davon leben auch die beiden Höhepunkte des Albums, Heavy Listening und Socialite. Ersterer gibt sich dabei zwar melodisch sperrig und lebt von der vielfältigen, lebhaften Percussion, die sich erst zur Songmitte aus einem stampfenden Beat entwickelt, entwickelt aber gleichzeitig durch die dahinschwebenden Synth-Spuren und den Gesang eine hymnische Qualität, die einen an Ramona Lisa und deren Idee einer "Pastoral Electronic Music" denken lässt. Socialite wiederum rückt nicht von dem dröhnend verzerrten Lärm ab, der bereits die erste Sekunde ausmacht, überlagert ihn aber mit einem pulsierenden Beat und einer stark inszenierten Soundcollage, die sich durch verzerrte Gesangsspuren, vor allem aber die für einmal klare und in sanften Höhen arbeitende Stimme Königs auszeichnet.
Bei so einem Sound fast unweigerlich, gelingt wenig in solchem Maße und manches beinahe gar nicht. Der mit Rapperin blaqtea aufgenommene Zweiteiler I Hate Berlin erweist sich beispielsweise als unvorteilhaft für die aufgebaute innere Harmonie des Albums und der einzelnen Songs. Anders gesagt, wirkt das Aufeinandertreffen von König mit dem trockenen Rap und dem darunter liegenden, statischen Beat ungelenk und sperrig. Dynamik oder Atmosphäre sucht man darin vergebens, sieht man von dem starken Einstieg in den zweiten Teil ab.
Abseits davon kann man zwar keine wirklichen Fehltritte bekritteln, sieht sich aber mitunter mit ähnlich bewegungsarmen Songs konfrontiert. Meddl 1000 und Handy mäandern eher richtungslos dahin und fördern eine Schwäche zu Tage, die letztlich die ganze LP plagt, wenn es sie auch nicht dramatisch nach unten zieht: Atmosphäre und Gefühl sind bei FARCE oft eine rein klangliche Angelegenheit. Greifen also die einzelnen Bausteine der Musik nicht so ineinander, dass man entweder emotional mitgenommen oder aber ausreichend animiert wird, bleibt ein kleines Vakuum. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Texte inmitten all der Verzerrungen nur sehr sporadisch eindeutig zu identifizieren sind. Folgerichtig sind es die glasklar und mantraartig vorgetragenen Zeilen "Are you over them yet / The thing you'll never get" und vor allem "I hate the way I talk when I speak from my heart", die den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen.
Umso bemerkenswerter ist es, wie gehaltvoll "Heavy Listening" letztlich trotzdem wirkt. Vielleicht liegt es nur daran, dass man pausenlos mit unterschiedlichsten, synthetischen Sounds und daraus zusammengesetzten, dröhnenden Wänden bombardiert wird und entsprechend keine Verschnaufpausen bleiben, um mehr zu verlangen. Allerdings wäre es ungerecht, das Debütalbum von FARCE darauf herunterzubrechen. Das Dutzend Songs ist eine bei Zeiten großartige Symbiose aus dem Noise Rock entliehenen Klangbarrikaden und einer Annäherung an den Synth-Pop, die ein starkes Händchen für eine dezent romantische Melodik und lebendige Arrangements offenbart. Insofern treffen sich hier das Abweisende und das Anziehende, das bis zur Unkenntlichkeit Verzerrte und das in aller Klarheit präsentierte. Gräbt man nach der tiefer liegenden Substanz oder spezifischen Inhalten, macht man das zwar nicht lange, dafür wird einem an der Oberfläche bereits eine interessante Mixtur geboten, die Welten aufeinandertreffen lässt.