von Kristoffer Leitgeb, 03.10.2018
Der überzeugend kompromissfreie Emo-Punk-Startschuss in eine Karriere voller Abstiege.
Jene, die Fall Out Boy verabscheuen - und davon gibt es verdammt viele -, und jene, die Fall Out Boy lieben oder ihnen zumindest einiges abgewinnen können - und davon gibt es verdammt viele -, dürften trotz einer tatsächlich kaum überbrückbaren Diskrepanz in der Bewertung dieser Band zumindest in einem Punkt ein gemeinsames Urteil fällen können: Das beste Album, das die US-Amerikaner je fabriziert haben, wird auf ewig aus den 00er-Jahren stammen und sicher nicht mehr kommen. Die Ursachen dafür liegen in einem Imagewandel der Band, der nebst allen kommerziellen Erfolges künstlerisch so fehlgeleitet war, dass er an die Entwicklung von KISS hin zu Disco-Rockern oder von Maroon 5 zum Dance-Pop-Monster erinnert. Um also allen auch nur irgendwie gearteten Spuren der letzten Unnötigkeiten von Patrick Stump und seinen Mitmusikanten aus dem Weg zu gehen, lohnt es sich, an den Start zurückzugehen. Und dort merkt man dann plötzlich, dass die vor langer Zeit einmal fähig waren, ein durchgehend starkes Album abzuliefern.
Gleich vorweg allerdings ein einschränkender Hinweis: Stark steht hier in keinem Zusammenhang mit den Begriffen innovativ, bahnbrechend oder überraschend. Eigentlich ist es da schon wieder komisch, dass sich eine wirklich lobenswerte LP ausgegangen ist, auf "Take This To Your Grave" kocht man aber die altbekannten Zutaten gut genug auf, um sich trotz genretypischer Präsentation in ein gutes Licht zu rücken. Im Pop-Punk geht das ja gleichermaßen leicht und schwer. Die Mittel, mit denen da gearbeitet wird, sind meistens so simpel, dass man nicht viel mehr als einen antriebsstarken Verbund aus Drums und Riffs und ein paar weinerliche Texte braucht, um dem erwarteten Sound zu entsprechen. Gleichzeitig bedeutet das aber, dass nach Alleinstellungsmerkmalen meistens händeringend gesucht wird und die sind oft schwer aufzutreiben. Ganz abgesehen davon, dass man bei den üblichen Ergüssen, die da angeboten werden, kaum anders als egozentrisch und verweichlicht wirken kann. Scheut man davor nicht zurück, kann man das machen, was Fall Out Boy hier tun, nämlich von der ersten Sekunde weg die Songs auf High Speed zu halten und mit einer Prise, von Pete Wentz und Andy Hurley mitgebrachter Härte im Hardcore-Format zu garnieren. In diesem Sinne könnte man viel über den einen oder anderen Riff schwadronieren, tut sich aber am leichtesten, wenn man eingesteht, dass mit Tell That Mick He Just Made My List Of Things To Do Today, also dem Opener, die musikalische Geschichte der LP so ziemlich erzählt ist. Denn die Show dominieren von Beginn weg die beiden Gitarren, die schnörkellos, aber auch dank Produzent Sean O'Keefe mit starken Power Chords durch die Tracklist pflügen und dabei den einen oder anderen Riff zum Jubeln fabrizieren.
Das klingt jetzt so simpel, dass man dem nicht trauen will - wobei Bad Religion mit sowas schon ein halbes Dutzend Alben sehr gut anzufüllen wussten. Nachdem bei den Punk-Veteranen die Krux abgesehen von der energiegeladenen Explosivität oft in den Texten lag, wird man auch hier dort zu suchen beginnen müssen. Und man findet zwar keine großen Statements oder unumstößlichen Weisheiten, aber eine zynische, präadoleszente Tirade wieder die Liebe und die Geliebten, die sich durchaus sehen lassen kann. Nebenher wird im Opener auch einfach nur ein bisschen gegen irgendwen tiradisiert, was immerhin den ersten kleinen Lacher hervorbringt:
"Let’s play this game called “when you catch fire
I wouldn’t piss to put you out"
Stop burning bridges, and drive off of them
So I can forget about you"
Aber die Stoßrichtung ist klar und sie ist oft genug romantisch angehaucht. Allerdings weniger in der turtelnden Schmetterlingsvariante, sondern eher in der mit Selbstzweifeln angefüllten schmachtenden oder aber der betrogenen "Geh sterben"-Variante. Das kann durchaus etwas, weil man meistens die Banalitäten und Peinlichkeiten im hohen Tempo erstickt und trotzdem genug Zeit bleibt, um in Songs wie Dead On Arrival oder Grand Theft Autumn/He Is Your Boy die eine oder andere Zeile einzubauen, an die man sich gern erinnern darf. Die wirklichen Treffer an der Front sind aber ohne jeden Zweifel die, die mit ausreichend Wut angefüllt sind. Namentlich ist das The Pros And Cons Of Breathing, dessen harter und drückender Riff eine wunderbare Unterlage für die Abrechnung mit...wem-auch-immer, wahrscheinlich dem Naheliegendsten, bieten. In eine ähnliche Kerbe schlägt The Patron Saint Of Liars And Fakes, dessen komplett ungebremster Speed mitunter vergessen lässt, wie stark die Hook und die Arbeit an der Gitarre hier klingen.
Jetzt fragt man sich, warum das nicht doch die ganze Zeit so geht und also ein großer Triumph herausschaut. Und auch wenn die Ursachenforschung schwierig wird, lässt sich definitiv sagen, dass zwei kleinere, aber definitiv spürbare Makel dem Album immer wieder schaden. Einerseits ist es jede einzelne Mid-Tempo-Passage, insbesondere wenn sie wie in Homesick At Space Camp noch mit einer grausamen Chor-Passage beschwert wird, und mit ihr der Tod jedes Momentums, ungut viel Aufmerksamkeit für Stumps schiefes Gesinge und drohende Langeweile aufgrund des abwechslungsarmen Songwriting. Damit quält man sich zwar nicht oft, zumindest Grenade Jumper und in Maßen Chicago Is So Two Years Ago finden allerdings in dem auch softer wirkenden Sound nichts nennenswert Gutes. Auf der anderen Seite gibt es eine Kleinigkeit, die damals aus irgendeinem Grund noch mitgeschleppt wurde und Pete Wentz' musikalischer Vergangenheit zu verdanken ist, und das sind dessen unnötige Screams und Growls. Es gibt keinen einzigen Song der Band, in den die irgendwie hineingepasst hätten und hier helfen sie im Falle von Saturday genauso wenig, der Dauerbeschallung mit einem starken, aber nicht übermächtigen Riff irgendeine lohnende Abwechslung zu verschaffen.
Diese beiden Dinge sind jedoch Schwachpunkte, die vielleicht am größeren Problem von "Take This To Your Grave", nämlich der relativen Monotonie vorbeigehen. Naturgemäß hilft die Kürze und das hohe Tempo einer Pop-Punk-LP dabei, die mangelnden angebotenen Varianten nicht sonderlich wahrzunehmen. Das ist hier nicht anders. Allerdings beeindrucken einen jetzt weder die Texte noch die Musik durchgehend so sehr, dass man den meistens Songs mehr als eine moderate Güte zusprechen könnte. Also grundsolide ist die Sache auf alle Fälle und es gibt keinen wirklichen Grund, warum man Saturday, Dead On Arrival oder Reinventing The Wheel To Run Myself Over - so nebenbei der womöglich einzige genuin humorvolle Songtitel in der Historie der Band - musikalisch nicht mögen könnte. Aber wo Überraschungen und Abwechslung fehlen, da fehlt ohne die gebotene Konsequenz und das inhaltliche Rüstzeug auch die Möglichkeit zu wirklich Großem. Das verlangt aber auch keiner bei einem Haufen Post-Pubertärer, die 2003 noch auf den Pop-Punk-Zug aufspringen wollen. Die starke Arbeit, die Fall Out Boy hier geboten haben, reicht vollkommen.