von Mathias Haden, 31.12.2015
Ambivalente Gefühle beim Aufbruch in neue Chartsdimensionen.
Wirft man einen Blick in unsere Archive, könnte man fast denken, wir von MusicManiac hätten uns besonders einem Genre, nämlich dem (Pop)-Punk verschworen. Nicht immer, was die Wertungen betrifft, aber Bands wie Blink-182, Sum 41 und Green Day, aber auch Rise Against, Bad Religion oder die Dead Kennedys sprechen da doch eine deutliche Sprache. Eine Band, die da eigentlich nicht länger fehlen sollte, praktisch aber nur mehr mit dem Begriff in der Klammer in Verbindung zu bringen ist, ist Fall Out Boy. Zum Auftakt gibt's dafür gleich die Scheibe, die sich mehr oder minder dafür verantwortlich zeichnen darf, dass der FOB'sche Pop heute in seinem kleinen Wirkungsradius innerhalb der brackets zum einsame Kreise ziehen verdammt ist: Infinity On High, samt dem widerwertigsten Track des Quartetts, auf den ich später noch zu sprechen kommen werde, versprochen!
Zuvor droppe ich lieber noch einen Begriff, der sich im semi-illusteren Pop-Punk-Rock-Dunstkreis zum beliebtesten seiner Zunft gemausert hat: 'Ausverkauf'! Weiß man um die frühen Alben der Illinoiser und deren vom Beginn weg höchst ausgeprägte Pop-Affinität, die auch Vorgänger und Überraschungs-Millionenseller From Under The Cork Tree fest im Griff hatte, bescheid, wirkt diese Anklage vielleicht grotesk, gönnt man der 2007er-LP jedoch erst mal ein Öhrchen, ist die Beweislage unwiderlegbar. Man nehme sich da nur mal Lead-Single This Ain't A Scene, It's An Arms Race zur Brust. "The funkiest thing we’ve ever done", würde Frontmann Patrick Stump später über diesen Klumpen Rotz sagen, der mit seinem nervtötenden Drumbeat und dem ach so komplexen Aufbau, vor allem aber wegen seinem lästigen Sänger lediglich den Missing Link zwischen Stadion-Mitgröl-Saufgelage und biederen Club-Banger darstellt. Überhaupt gerät Stump auf Infinity On High allmählich zum Feindbild. Nie als der größte Sänger bekannt, versucht er hier exakt das zu verkörpern. Wie er da auf dem netten, aber unspektakulären Golden versucht, die (nicht zu Unrecht) ungekannte Vielfalt seiner Stimme heraufzubeschwören... guter Versuch, Pat, in Zukunft bitte trotzdem bleiben lassen!
Wirklich grässlich und prekär wird er, wird die Lage erst mit dem längsten Songtitel und - wie versprochen - scheußlichsten Track, I'm Like A Lawyer With The Way I'm Always Trying To Get You Off (Me & You). Wie sich die Band hier an Billboard-Charts und einen Platz in einer Nicholas-Sparks-Verfilmung anbiedert, ist kaum auszuhalten, bei Stumps süßlichem Adam-Levine-Falsett-Gesang rollt es (hoffentlich nicht nur) mir die Zehennägel auf. Ein seelisches Verbrechen, eine Grausamkeit an der Menschheit, eine unliebsame, aber effektive Einbrecherabhilfe.
Die besten Minuten liefert die LP sowieso dann, wenn sich Stump, Pete Wentz, Andy Hurley und Joe Trohman auf ihre altbewährten Stärken besinnen. Nicht umsonst darf sich Don't You Know Who I Think I Am? als bestes Stück des Albums feiern lassen. Dynamisch, kraftvoll und mit echter Killer-Hook gesegnet, dazu ein cooler Bass und ein Frontmann, der zwar an seine Grenzen geht, aber sie nicht mit aller Kraft zu überschreiten versucht. Mit denselben Attributen, wenngleich mit weniger Nachdruck, charmiert Hum Hallelujah, das sich keineswegs dem katholischen Kitsch verschreibt: "So hum hallelujah, just off the key of reason / I thought I loved you, and it's just how you looked in the light / A teenage vow in a parking lot, 'till tonight do us part / I sing the blues and you swallow them too".
Richtig cool gibt sich auch The Carpal Tunnel Of Love, das mit seinem sägenden Gitarrensound und ordentlich Tempo sogar die redundanten Wentz-Growls mehr als nur entschärft. Dazu noch einen Auftakt wie Thriller mit einem Jay-Z, der wohl selbst nicht ganz weiß, wie er hier gelandet ist, und erfrischend harten Gitarren und man hat immerhin ein ordentliches Fundament gelegt.
Wären da eben nicht Nullnummern wie die zuvor genannten und eine kleine Armada an ungefährlichen Belanglosigkeiten wie You're Crashing, But You're No Wave oder I've Got All This Ringing In My Ears And None On My Fingers, die höchstens ihrer Songtitel wegen im Gedächtnis bleiben, ansonsten in einem Ohr hinein, im anderen wieder hinausmarschieren. Aber da es auch Tracks wie Mega-Hit Thnks Fr Th Mmrs gibt, die knapp, aber doch in Richtung +Pol ausschlagen, neutralisieren sich die positiven und negativen Aspekte in gleichem Maße. Insofern nur logisch, dass sich Infinity On High, das erste #1-Album, im gesicherten Durchschnitt einbremst. Der Mut zu Neuem fördert zwar überwiegend unerfreuliche Entdeckungen zutage, die Rückbesinnung auf alte Tugenden gleicht diese mit einer Handvoll gewinnbringender Aufnahmen aber wieder aus. Was wohl am schwersten wiegt, ist wohl der Umstand, dass wir von diesen Hitparaden-Aspiranten wohl nie wieder ein Take This To Your Grave hören werden... Naja, immerhin gab es ein Jahr danach noch ein letztes Aufbäumen, ehe Hopfen und Malz endgültig verloren gingen. Ausverkauf, ihr Arschgeigen!