von Kristoffer Leitgeb, 25.10.2020
Zwischen fader Ideenarmut und konserviertem Emo-Punk-Esprit liegt der erste Schritt gen Abgrund.
Leadsingles haben üblicherweise ziemlich eindeutige, vordefinierte Aufgaben. Sie sollen erfolgreich sein, auf und ab gespielt werden, das dazugehörige Album im besten Fall stilistisch repräsentieren und noch dazu Appetit auf mehr machen. So logisch das ist, ist es auch ziemlich viel verlangt von einem einzigen Song und eine ziemliche Challenge, einen Dreiminüter hinzubekommen, der all das kann. Umso mehr gilt das, wenn man nicht à la Taylor Swift damit rechnen kann, dass nach x-fachen Platinsingles die nächste schon irgendwie in den Top 10 einsteigen wird, egal wie gut sie ist. Ist man nicht in dieser Position, sondern als Newcomer oder zumindest bisher im Untergrund herumgrundelnde Band damit gestraft, von der Allgemeinheit ignoriert zu werden, ist es eine weit größere Hürde, mit einem Song urplötzlich ganz nach oben zu kommen. Natürlich steht dann beim Durchbruch doch meistens irgendwie ein Major Label und entsprechende Publicity dahinter und es war also alles irgendwie planbar, nichts dem Zufall oder tatsächlicher Qualität überlassen, aber die Single muss eben doch noch da sein und die obigen Aufgaben erfüllen. Sugar, We're Goin Down war diese Single, hat aus Fall Out Boy urplötzlich die Pop-Punk-Band Numero Uno gemacht und als Vorgeschmack auf die zweite LP der Band doch genau die Dinge mitgebracht, die letztlich auch das Album als Ganzes plagt.
Denn die Single, die selbst von vehementen Kritikern der Band hin und wieder als Lichtblick hervorgehoben wird, ist im Kern nicht viel außer zahmer, dahinstolpernder Pop-Punk, der sich partout nicht entscheiden kann und will, ob er nun ein aufpoliertes, verweichlichtes Romantik-Liedchen sein oder doch ein bisschen die auf dem Debüt gezeigte Härte zelebrieren soll. Das schafft insofern Probleme, als dass dadurch abgesehen von einem stark gesungenen Pre-Chorus und dem unweigerlich eingängigen Refrain selbst nicht viel bleibt, was man dem Song zugutehalten könnte. Die Strophen sind eine schleppende und spannungsfreie Angelegenheit, in denen Patrick Stump relativ unbehelligt süßliches Zeug dahinsingt, dabei aber auch ungut tonlos klingt. Anstatt das wie auf "Take This To Your Grave" mit dem nötigen Tempo und ein paar kernigen Riffs abzufedern, hört man hier kleinlaut das Klavier eingestreut und zu viel Understatement an der Gitarre. Ultimativ soll das nicht bedeuten, dass hier das Grauen wartet, aber unterwältigend und herrlich durchschnittlich ist das für den großen Vierfach-Platin-Song schon irgendwie.
"From Under The Cork Tree" ist oft genug herrlich durchschnittlich, ohne einen damit wirklich zu stören. Opener Our Lawyer Made Us Change The Name Of This Song So We Wouldn't Get Sued ist genauso wie das darauffolgende Of All The Gin Joints In All The World eine müde Abfolge energiearmer Riffwände, die zu selten von Andy Hurleys dynamischen Drums oder drückend harten Gitarrenstakkatos unterbrochen werden. Insgesamt ist das in Verbindung mit Stumps zunehmend Gesangsform annehmenden Stimmbeiträgen und den faden, endlos selbstreferenziellen, sperrig humorvollen und auf zwischen gespielter Arroganz und Selbsterkenntnis aufbauenden Texten also eine eher müde Angelegenheit. Zumindest ist das zu Beginn genau so und wird im Albumverlauf nur bedingt besser. Nobody Puts Baby In The Corner ist nur dank des höheren Tempos eine dezent stärkere Vorstellung, die als brustschwache Erinnerung an das Debüt zu werten ist. A Little Less 'Sixteen Candles' A Little More 'Touch Me' gesellt sich zu Sugar, We're Goin Down als Single, die den dafür nötigen Refrain hat, ansonsten aber eindrucksvoll als Mid-Tempo-Pop-Punk an einem vorbeizieht. Und XO als Closer, naja, das ist wohl am ehesten der Beweis dafür, dass es Tempo und ein bisschen Härte auch nicht richten müssen, wenn man sich dennoch dieser unendlichen Pop-Lastigkeit hingibt und dafür schmalzig-langsame Passagen einstreuen muss.
Alles ein bisschen schwierig, ein bisschen unspektakulär, ein bisschen zum Vergessen. Allerdings nicht im wirklich negativen Sinne, sondern einfach nur so, dass man sich nicht daran wird erinnern können, wenn es denn vorbei ist. Bis dahin ist es schon ganz in Ordnung, das anzuhören, aber es ist schon bemerkenswert, wieviel weniger bemerkenswert diese Songs klingen, wenn nur ein paar Jahre vergehen. In gewisser Weise stand "From Under The Cork Tree" trotz des durchschlagenden Erfolgs immer im Schatten eines Debüts, das die gleiche musikalische Formel ungleich effektiver und kompromissloser durchgezogen hat, und eines Nachfolgers, der zwar zumindest genauso fehlerbehaftet war, dabei aber mit neuen Ideen und den weit gestreuten Pop-Einflüssen weit mutiger und erfinderischer umgegangen ist. Diese LP hier steht zwischen den Stühlen, ist schon fast ungut dem Pop zugetan, während musikalisch weiterhin nicht viel passiert, außer dass die Power Chords herausgeschüttelt werden und die eine oder andere Tempovariante eingestreut wird. In den allermeisten Fällen ist das zu wenig, um über solides Material wie das des lockeren, am 60er-Pop-Rock andockenden Champagne For My Real Friends, Real Pain For My Sham Friends hinausgeht.
Hier und da passieren aber doch noch Dinge, die dazu geeignet sind, das Album aus dieser komplett schmerzfreien, aber unspektakulären Lethargie herauszuholen. 7 Minutes In Heaven und der Gipfel des höllisch unlustigen, überlangen Songtitels, I Slept With Someone In Fall Out Boy And All I Got Was This Stupid Song Written About Me, sind die beiden Tracks, die in gelungener, weil ansprechend harter und energischer Art an das Debüt anknüpfen. Da wird Pop-Punk zumindest noch mit ein paar musikalischen Prozent des letzteren geboten, während Patrick Stump sich gesanglich erfolgreich zwischen verweichlichtem Selbstmitleid und wütender Abrechnung parkt und dort die gewinnenden Seiten seiner Stimme wiederentdeckt. Diese Rückbesinnung hilft gewaltig, genauso wie der relative Freifahrtschein für Joe Trohman, der an seiner Gitarre und zusammen mit Drummer Hurley die härtesten Akzente des Albums setzt, zum Ende des Songs noch unterstützt durch Screams von Pete Wentz und Gast Chad Gilbert. Die kommen in diesem Fall überraschend gut an, im Fall von Get Busy Living Or Get Busy Dying ein bisschen weniger, weil sie die anfangs so stark tonangebenden Drums und Stumps starken hohen Gesang verdrängen.
Man ist auch relativ froh, dass Wentz' Screams nicht allzu oft prominent platziert werden und stattdessen eher Stumps Stimme im Vordergrund bleibt. Dass der einen Entwicklungsschritt hinter sich hat, merkt man hauptsächlich dann, wenn die Band statt der Härte genau dem Gegenteil frönt und sich komplett ihrer poppigen Seite hingibt. I've Got A Dark Alley And A Bad Idea That Says You Should Shut Your Mouth ist als melancholische Ballade der emotionale Ruhepol des Albums und gleichzeitig dessen Höhepunkt, weil nicht nur Stump stimmlich überzeugt, sondern das helle Zusammenspiel der Gitarren gleichermaßen zur Atmosphäre beiträgt als auch dynamisch mit der Rhythm Section harmoniert.
Da das trotzdem nicht für einen Singlerelease gereicht hat - definitiv nicht penetrant genug -, fehlt an dieser Front noch der nötige Lichtblick. Er kam damals in Form von Dance, Dance, das auch wegen eines göttlichen Videos ähnlich erfolgreich war wie Sugar, We're Goin Down, dafür aber in Wahrheit viel mehr leistet. Der kompromisslos poppige Sound ist dabei weniger als Vorgeschmack auf diese LP, sondern eher für Nachfolger "Infinity On High" geeignet. Macht aber nichts, die hyperaktive Rhythm Section und dabei insbesondere die großartige Bassline, der geschliffene Riff im Refrain und Stumps erratische Vocals, die ihn erstmals in unbequeme, aber verdammt prägnante Höhen treiben.
Und letztlich ist es diese Prägnanz, die "From Under The Cork Tree" zu oft abgeht. Dass sich die Band über Wasser hält, ist ausschließlich den Songs zu verdanken, die entweder dem Sound des Debüts möglichst treu bleiben oder sich im Gegenteil am deutlichsten davon verabschieden. Wann immer eines davon passiert, fällt es einem schwer, an Fall Out Boy groß Kritik zu üben, auch wenn klarerweise keine musikalischen Offenbarungen erleben wird. Aber das sind immerhin Minuten, die starkes musikalisches Handwerk zeigen und die Gabe der Band für eingängige Melodien, das Ausbalancieren ebendieser mit der gebotenen, den eigenen Wurzeln zu verdankenden Härte und ein paar erfinderische textliche Eindrücke aus den emotionalen Wirren eines Jugendlichen verdeutlichen. Letzteres findet man über das Album verstreut immer wieder, auch wenn mindestens genauso oft auf Zeilen stößt, die bestenfalls ignoriert werden und eher Fremdschämen auslösen. Wichtiger ist, dass der Kern der LP von einer so durchdringenden Mäßigkeit geprägt ist, dass in der Retrospektive die wenig später auf "Infinity On High" zum durchgängigen Hit and Miss gewordenen klanglichen Spielereien als absolutes Muss erscheinen, weil eine reine Fortsetzung dessen, was mit "From Under The Cork Tree" gerade noch so funktioniert hat, eine Katastrophe der unfassbaren Langeweile hätte werden müssen.
Anspiel-Tipps:
- I've Got A Dark Alley And A Bad Idea That Says You Should Shut Your Mouth
- I Slept With Someone In Fall Out Boy And All I Got Was This Stupid Song Written About Me