von Kristoffer Leitgeb, 13.07.2019
Der frühe Höhepunkt textlicher Treffsicherheit, lockerer Arroganz und musikalischer Leichtigkeit.
Hier und jetzt, zu Beginn des achten, dem Falken gewidmeten Reviews, könnte man meinen, dass alles über ihn und vor allem seine diskutable Ausnahmestellung in der österreichischen Musiklandschaft gesagt ist. Tatsächlich ist dem nicht ganz so. Denn Falco gebührt in Wahrheit allen voran eine Würdigung, die günstigerweise ausgerechnet sein Debüt betrifft. Sein Auftritt auf "Einzelhaft" war es, der das Land auf eine gewisse Art in die musikalische Moderne katapultiert und sie international konkurrenzfähig gemacht hat. Das soll jetzt nicht bedeuten, dass die weit über die Landesgrenzen hinausgehenden Erfolge zum Beispiel eines Kurt Hauenstein alias Supermax und Reinhold Bilgeri oder gar deren musikalische Zeitgeistigkeit vergessen wären. Aber die wichtigsten Namen der heimischen Musikszene waren eigentlich andere und zumeist Liedermacher alten Schlags, die sich musikalisch wenig ausgebreitet haben. Falcos musikalische Weltgewandtheit war dahingehend auf nationaler Ebene revolutionär, kombiniert man sie mit der zutiefst österreichischen Textkunst und der globalen Charttauglichkeit. "Einzelhaft" besitzt also Legendenstatus und nicht nur das, es besteht auch den klanglichen Test der Zeit.
Wie wir alle wissen, ist das in Falcos Diskographie keine Selbstverständlichkeit. So gern man auch behauptet hat, der Exzentriker unter den Exzentrikern wäre seiner Zeit voraus gewesen, zeigt sich nach teilweise mehr als 30 vergangenen Jahren auf manch LP eine künstlerische Patina, die den Genuss deutlich erschwert. Das Debüt Falcos entgeht diesem Schicksal, obwohl es wie "Falco 3" überdeutlich in seinem Jahrzehnt beheimatet ist. Eine Kombination aus Synth-Pop, Post-Disco, Funk und Hip-Hop-Einflüssen lässt einen direkt in den frühen 80ern und kaum sonstwo landen. Doch die musikalische Vision des Robert Ponger, der von Markus Spiegel auf Falco angesetzt wurde und mit diesem zunächst ein kongeniales Duo ergeben hat, hält sich beeindruckend gut, weil sie nebst aller klanglichen Alterserscheinungen eine rhythmische und melodische Qualität beweist, die wohl auf ewig verführerisch bleiben wird. Dazu kommt, dass zwar jeder Ton, den die Synthesizer oder die Drum Machine ausspucken, latent staubig klingt, der pulsierende Bass und die funkigen, oft angerauten Gitarrenriffs dagegen aber gut wie eh und je ankommen.
Natürlich verblassen viele dieser Details im Lichte des Mannes im Rampenlicht, der wahrscheinlich immer dort sein wollte. Bei der Hallucination Company und Drahdiwaberl das anarchische Handwerk gelernt und selbst in frühsten Tagen mit auffälliger Bühnenpräsenz gesegnet, ist der Einfall, Hans Hölzel nicht lauwarm singen zu lassen, sondern einen genialen, nasalen Sprechgesang zu seinem Markenzeichen zu machen, ein Geniestreich. Falcos hintergründige und hinterfotzige Zeilen könnten nicht besser zur Geltung kommen als auf diese Art, ganz egal, ob sie sich den Drogen, der High Society, der Korruption oder der digitalisierten Dystopie widmen.
Es ist auch dies der Zeitpunkt, um darauf zu verweisen, dass ein Album, auf dem sich Falco beinahe zur Gänze der deutschen Sprache hingibt und sein später oft zelebriertes Sprachen-Hopping noch kein Thema war, definitiv ein textlicher Gewinn ist. Mag es auch mitunter die Wortakrobatik der folgenden Jahre entbehren, ist die Botschaft der Songs klarer, weniger der einen pointierten Zeile oder dem unwiderstehlichen Refrain untergeordnet. Und so mag lyrisch hier einiges gewöhnlicher anklingen, auch wenn es ultimativ gehaltvoller ist als Vieles, was danach kam. Das gilt natürlich nur bedingt für leichtgewichtige Minuten wie die des Durchbruchshits Der Kommissar. Realistischerweise muss man nämlich zugeben, dass der Song mit dem großartigen Riff im Intro vor allem ein musikalischer Volltreffer ist. Die minimalistische Arbeit an der Gitarre verträgt sich bestmöglich mit der Rhythm Section und insbesondere in der ersten Strophe mit einer Performance Falcos, die ihresgleichen sucht.
An anderer Stelle wird trotzdem etwas eloquenter und tiefsinniger getextet, was insofern bemerkenswert ist, als dass die Eingängigkeit und musikalische Leichtigkeit darunter nicht wirklich leidet. Auf Der Flucht beispielsweise spielt sich zwar etwas zu viel mit Soundeffekten und Synthesizern, findet aber dazu den richtigen Beat und zeitweise einen beeindruckenden Funk-Riff, lässt sich darüber hinaus zu folgenden Zeilen hinreißen:
"Was die Ordnung anbelangt
Hat sich alles Gott sei Dank
Fast wie ganz von selbst ergeben
Denn die starke Hand siegt eben
Halt die Märchenwelt zusammen
Und die Räuber sind gefangen
Für die Zukunft sei gesagt
Sicher kommt mal wer und fragt
Was die Jungwähler so denken
Über Kräfte, die sie lenken
Schwere Wolken, Donnerschlag
Und wer sieht sich da jetzt
Auf der Flucht"
Der finale Titeltrack wiederum bildet einen glänzenden Abschluss, wenn auch gänzlich untypisch mit plump pochendem Beat und mitunter schriller Elektronik, unterkühltem Monolog Falcos und einem wenig optimistischen Befund über die technologisierte Zukunft. Das kontroverse, ursprünglich als Debütsingle auf Englisch veröffentlichte Ganz Wien wiederum widmet sich der lebhaften Drogenszene Wiens, ohne sich dabei sonderlich in Eloquenzen zu verlieren, findet stattdessen den coolsten Riff und besten Refrain des Albums. Dass trotz mehr oder weniger ernster Thematik und treffsicherer Textkunst auch schwierige Minuten herausschauen können, beweist auf der anderen Seite Hinter Uns Die Sintflut, dessen pointierter Blick auf korrupte Umtriebe der Politik zwar mit dem leicht karibischen Feeling der Synthesizer ein zynischer Volltreffer ist, musikalisch allerdings anstrengend überladen und billig klingt.
Abseits davon hält sich Falco allerdings beinahe schadlos. Siebzehn Jahr schleppt sich trotz nettem Groove verdammt lahm dahin und ist wenig außer kitschiger Langeweile. Damit war es das aber auch schon an Schwachpunkten, wodurch dank der Güte von Klassikern wie Nie Mehr Schule oder Helden Von Heute - beide stark, aber nicht überwältigend, und sicher die Songs mit dem deutlichsten Bezug zu David Bowie - und den schon genannten Tracks tatsächlich das konstanteste aller Alben des Falken herausschaut.
Sicher ist dafür mitverantwortlich, dass "Einzelhaft" zwar durchaus auch Ambition erkennen lässt, aber dabei immer noch relativ zwanglos klingt. Dabei spielt Robert Ponger, der immerhin hauptverantwortlich war für die musikalische Ausrichtung, die Stärken Falcos mit seinem stilistischen Konzept bestmöglich aus, ohne dabei dem Wiener seinen Gestaltungsspielraum zu nehmen. Entsprechend kann sich Falco austoben und findet dadurch seinen unwiderstehlichen Stil, darüber hinaus viele seiner besten Zeilen. Tatsächlich ist es aber so, dass das nicht viel wert wäre, wenn die dazugehörige Musik nicht auch noch nach 37 langen Jahren frisch und treffsicher genug klingen würde, um dem Schicksal veralteter und in ihrer Zeit gefangener Klänge zu entgehen. In Falcos Karriere ist das beileibe nicht immer gelungen, auf seiner ersten LP ist allerdings von Abnutzungserscheinungen wenig zu spüren.