von Kristoffer Leitgeb, 02.07.2016
Ein künstlerischer Sturzflug fernab der Hits und dafür mitten im Minenfeld des Experiments.
Es heißt ja immer, es wären die Sieger, die die Geschichte schreiben würden. Die sind es, die entscheiden, was wie wo wichtig war und auf welche Art es erzählt werden soll. Nicht umsonst kommt diese Weisheit der Geschichtsforschung eher aus den Gefilden der Politik und des Krieges. In der Musik hat sie nämlich zum Beispiel nichts verloren. Hier sind es nämlich nicht mehr die Sieger, sondern deren Fans, die der Welt sagen, woran man sich gefälligst zu erinnern hätte. Mal sind das Massen an Konzertbesuchern und CD-Käufern, dann wieder namhafte Freunde und dann wieder ihre eigene Bedeutung missverstehende Kritiker, die glauben, vorsorglich sicherzustellen, dass in Zukunft auch das Richtige gelobt wird. Da kann der Musiker dann oft gar nichts dafür, dass man sich ans Eine erinnert, ans Andere aber nicht. Falco konnte 1990 auch nicht, allerdings auf ganz anderer Ebene. Die Geschichtsschreiber debattieren heute noch, was das zu bedeuten hat.
Und dafür bemühen sie viele Details vom persönlichen Drunter-und-Drüber des Hans Hölzel, der künstlerischen Verunsicherung nach zwei kommerziellen und künstlerischen Mäßigkeiten, bis zum immer in der Falco-Diskographie beschworenen Zeitgeist und dem Vordenkerdasein. Deswegen weiß keiner, war "Data De Groove" jetzt verkannter Geniestreich oder eine verzweifelte Lächerlichkeit. Gut, letzteres darf man einem Falco nicht zuschreiben, da werden manche schnell böse. Das Problem dabei ist: Seine sechste LP ist auch wirklich die, die sich der Mülldeponie der Musikwelt am ehesten annähert. Sie geht auf alle Fälle als groß angelegtes Experiment durch, eingeschlossen in einem offensichtlichen Blick zurück - manifestiert durch die Bestellung von Produzent Robert Ponger, der schon bis 1984 mit an Bord war - und dem Versuch eines Vorgreifens auf zukünftige Entwicklungen in- und außerhalb der Musik. Zwischen 80s-Pop, New Wave und Techno-naher Elektronik, zwischen versuchter Lockerheit der frühen Tage und digitalisierter Anspannung.
Eine Beschreibung, die allerspätestens dann zu Schall und Rauch wird, wenn man sich die ersten Töne des Albums zu Gemüte führt. Die Kompositionen spannen den Bogen von der wirren, melodiefreien Soundcollage zur angestaubten, mit Retro-Keys und Blues-Riffs verunstalteten New-Wave-Übung. Was fehlt ist das dazwischen, das Lohnende. Neo Nothing - Post Of All und Expocityvisions erzählen so die Story aller Tracks, verpuffen in einem wohl mühsam zusammengestückelten, aber grobschlächtig und eintönig wirkenden Durcheinander. Ein Mix aus hymnischen Keyboard-Riffs - mit im Kontext komplett unpassendem Orgel-Touch -, kargen Drums und eher reingeworfenen Gitarren-Exempeln, die aber weder für Rhythmus, noch für Drive zuständig sein dürfen. Und wenn dann die unmotivierten Background-Sängerinnen dazukommen, ist endgültig der Punkt erreicht, an dem man nicht mehr weiß, worauf man hören soll und Falco hinaus will. Die Songs sind trotz ihrer eher unspektakulären Natur ziellos, versprechen mit ihren unorthodoxen Sounds weit mehr, als die volle Länge zu offenbaren hat.
Auf das Banalste heruntergebrochen, mangelt es der LP so vor allem an einem, nämlich an Falco. Mögen manche den großen Poeten entdecken, andere den taufrischen Exzentriker der frühen 80er. Der Gesamteindruck ist schlicht ein anderer, nämlich einer fehlender textlicher Schärfe, von vermisstem Biss und der Absenz jeglicher eindringlicher Pop-Hooks.
Jetzt darf das sicher entschuldigt werden mit einem kurzen Fingerzeig auf den experimentellen Charakter. Doch "Data De Groove" ist nicht so speziell, so ideenreich oder gar zeitlos, dass es diese Ausrede wirklich rechtfertigt. Formloser Elektronik-Rock ist keine glorreiche Errungenschaft. Auch und vor allem dann nicht, wenn gerade dieses Konzept auf so merkwürdige Art bombardiert wird, dass billiger Pop a la Tanja P. nicht Cindy C. herauskommt. Ein Ausreißer, sicher, aber umso mehr ist die Daseinsberechtigung dieser damals schon veralteten Version eines ultrapenetranten Mitsing-Tracks infrage zu stellen. Die billigen Keys, das Saxophon, die Trompeten, das Fernbleiben jeglicher Gitarren-Klänge sind alles wunderbare Markenzeichen des 80er-Grauens, dem sich gerade Falco eigentlich selten ergeben hat. Schlimmer wird es trotzdem noch, dank der unfassbaren Nutzlosigkeit des U.4.2.P.1. Club Dub, der das Credo der komplett unförmigen und langatmigen Klangvielfalt fortsetzt und damit so direkt an die Wand kracht, dass weder die eingestreuten Sprachfetzen, noch der leblose Beat es überleben.
Linderung verspricht wenig. Am ehesten noch Charisma Kommando, das mit seiner starken Rhythm Section und der zum Hängenbleiben im Gedächtnis verdammten Synth-Hook die Antithese zum sonstigen Spektakel darstellt. Dort kommt auch der coole Socken wieder ein bisschen durch, bedingt sicher auch dadurch, dass sich ein Song über S/M-Praktiken dafür eher eignet als der oft so inhaltslose Rest. Was gibt's noch? Naja, diesen zum Flop geborenen Titeltrack der Marke beschwingter Durchschnitt. Der tut nicht weh, versucht mit klangvoller Mehrstimmigkeit im Refrain zu punkten, verliert sich aber in der auf Supermarktbeschallungsniveau befindlichen Melodie und dem schmerzhaften 80er-Kitsch-Touch. Letztlich bleibt es an Pusher, mit entspanntem Blues-Riff und unaufdringlichem Keyboard-Zusatz für ein bisschen Wohlgefallen zu sorgen. Man erkennt darin tatsächlich kurz den alten Falco, der sich in der reinen Deutschsprachigkeit zu gemütlicher Lockerheit hinreißen lässt.
Davon bekommt man sonst wenig mit. Das Gemisch aus schläfriger Langeweile und der Suche nach dem gelungenen Experiment vergellt einem das Zuhören und gebiert eine merkwürdige Anti-Hit-Kollektion, an der man vergebens nach sympathischen Merkmalen sucht. Weder von der gern herausgehörten introvertierten Natur der LP, noch von der Treffsicherheit dieser einzigen großen Versuchsanordnung ist viel zu spüren. Inmitten dadaistischer Texte und fast Klaustrophobie verursachender Klangmonströsitäten kommt man zur Erkenntnis, dass wohl weniger fehlende Ideen schuld sind, sondern eher die miserable Umsetzung. Souverän ist nichts davon, zeitlos auch nicht. Dass "Data De Groove" somit Falcos kommerzieller Tiefpunkt war, ist in Anbetracht des Inhalts erwartbar und wäre absolut kein Problem. Doch der Abschied vom Chart-Pop allein macht noch kein Meisterwerk. Manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall.