von Mathias Haden, 26.10.2015
Kitschiger Bombast-Metal einer alternativen Vergangenheit.
Trends, liebe Leser, ihr lest mal wieder richtig. Verglich der Kollege neulich erst die Umwelt mit einem Freund, zu dem man doch bitteschön immer nett sein möge, lassen sich flüchtige Erscheinungen wie Trends doch am besten mit der ehemaligen (aller)besten Freundin vergleichen, für die man einst noch sterben wollte, die einem heute aber nur mehr einen flüchtigen Blick aufs Facebook-Profil wert ist, um im aktuellen Freundeskreis ein bisschen ablästern zu können. Recht so, hinter den Rücken anderer nölt es sich doch am besten. Auch wenn ich mich zu keiner Stunde meines Lebens einer dem Zeitgeist geschuldeten Färbung in Sachen Lifestyle oder Idealen unterziehen musste, wie etwa jener rabenschwarzen der Goths, so habe ich sie doch alle mit Interesse verfolgt. Darum kann ich auch aus sicherer Entfernung, hinter den Rücken von Amy Lee, jener ihrer Kollegen und vor allem denen ihrer zahlreichen Fans, ganz herzhaft schmunzeln, wenn ich dran denke, wie cool ihre Band Evanescence oder auch Nightwish seinerzeit, Anfang bis Mitte des letzten Jahrzehnts galten. Worüber ich mich hier ein wenig lustig mache, soll allerdings nicht direkt in Richtung musikalischer Güte der Aufnahmen besagter Kapellen gehen, sondern eher frontal auf den Umstand, dass eine Band wie Evanescence, die heute wohl noch locker Arenen füllen kann, abgesehen davon aber ein Nischendasein fristet, einst mehr als 15 Millionen Tonträger einer einzigen LP absetzen konnte. Und bevor mich hier desillusionierte Fans der guten alten Zeit mit Hass-Mails bombardieren, gleich zur Beschwichtigung: Debüt Fallen lässt sich auch heute noch problemlos hören...
... und ist damit im Gegensatz zu Nachfolger The Open Door gut gealtert. Wo einst unheilvolle Melancholie in der Luft lag, verbergen sich nun zum Feuerzeug schwenken animierende Pathoshymnen. Die interessanterweise gar nicht einmal so deplatzierten Nu-Metal-Anleihen weichen einem polierten, sich in seinen Melodien und seinem Aufbau stets wiederholenden Weichspül-Metal. Was geblieben ist, sind Amy Lees immerzu beseelt kraftvoller Gesang und der Hang zur überproduzierten Dramatik mit Streichern, Chor und anderem Schnickschnack - hier sogar noch ein gutes Stückchen weiter forciert. Der im Vorhinein praktisch nicht erwartbare Erfolg dürfte den Amis wohl auch nicht besonders gut getan haben - ansonsten würde sich nicht am zweiten Album bereits der Frevel vorfinden lassen, Wolfgang Amadeus Mozart himself um eine Sequenz seines Requiems zu beborgen und es in das düstere Lacrymosa, einem der besten Cuts auf der zweiten Studio-LP, einzubauen. Allzu böse darf man ihnen dafür also nicht sein, denn mit seinen in Unheil getränkten Choralgesängen und seinem spannenden Aufbau macht der tatsächlich einiges her.
Die meiste Zeit der gelinde gesagt anstrengenden Minuten dominieren aber Verdruss und apokalyptische Betrübtheit. Letzteres bei Lee, ersteres, nun ja, bei mir zumindest. Denn Zeilen wie "I wanna stay in love with my sorrow / Oh, but God, I wanna let it go", so berührend sie im Herzen des pubertären Goth-Azubis im schön vorgetragenen Lithium auch andocken mögen, wirken aus der Distanz einer knappen Dekade schon reichlich peinlich, mit allem Respekt für Evanescence, ihrem Zielpublikum und dem Track, der ansonsten mit einer starken Performance durchaus brauchbar tönt. Aus dem Tiefschlaf, der vom ständigen Wiederkehren derselben öden, zimperlichen Riffs an und für sich Härte versprechender Gitarren und seinen Stadion-Refrains bewirkt wird, erwacht man leider nur selten, abseits der beiden gelobten Nummern. Interessant ist dabei, dass just der Versuch, mit noch mehr Instrumenten und noch dickeren Produktionsschichten einen vielseitigeren Sound zu kreieren, komplett in die Hose geht, sich bis zum Ende hin lediglich behäbiger Apokalypse-Soft-Metal und pathetische Schwermuts-Ballade, im Gegensatz dazu vollkommen ohne Bewegung, noch voneinander differenzieren lassen. Das dem garstigen Stalker gewidmete Snow White Queen probiert es mal etwas anders, erfreut mit paranoid verhuschter laut/leise-Dynamik und Call Me When You're Sober beweist immerhin, dass Goth-Metal und Pop sich gelegentlich auch ganz gut vertragen können.
Ansonsten bleibt The Open Door unangenehm ideenlos. Lee und ihre Kollegen tragen natürlich The Weight Of The World auf ihren Schultern und verkünden mit schwingendem Sopran "We're all grieving / Lost and bleeding" (The Only One), geben sich aber vor allem in den letzten zwanzig Minuten besonders viel Mühe, überhaupt nicht mehr positiv aufzufallen. Zum Abschluss gibt es mit Good Enough, das höchstens auf dieser LP seinem Namen gerecht werden kann, noch eine dieser nicht enden wollenden Piano-Balladen, die mit ihrer irrwitzig gefühlsbetonten Gesangseinlage und den schmalzigen Streichern berühren wollen, letztlich aber doch nur wieder zurück in samtige Traumwelten führen. Im Endeffekt bildet diese aber nur den finalen Sargnagel einer zum Scheitern verurteilten Kreuzfahrt über den Styx, die zwischen trister Hoffnungslosigkeit und einer Mischung aus verschmiertem Kajal und Tränen von einem Fettnäpfchen ins nächste Tritt und kein Klischee auslässt, letztlich aber doch eher wegen seiner repetitiven, uninspirierten Gangart kentert. Aber wen juckt das schon. Immerhin bleibt das einzig Gute an Trends, dass sich ein paar Wochen später kein Schwein mehr dafür interessiert und selbst 15 Millionen verkaufte Evanescence-Platten einer alternativen Vergangenheit angehören, an die wir uns freilich nicht mehr erinnern können.