von Mathias Haden, 16.04.2014
Zwischen Hank Williams und den Beatles - die Country Queen erneut in Höchstform.
Sweet California, Sommer 1975. In einer Zeit, in der sich Country-Rock-Liebhaber besonders auf die zugänglichen Eagles stürzten, begann ein Stern am amerikanischen Himmel hell zu erstrahlen. Die Protagonisten: Eine aufstrebende Emmylou Harris und eine Begleitband (mit glamourösen Namen 'Hot Band'), bei der die bloßen Gedanken an deren namhafte Mitglieder wie Glen Hardin oder James Burton (die schon mit Elvis himself gespielt hatten) heute die Münder wässrig machen. Die Mission: Dem Anfang des Jahres erschienenen und wohlwollend aufgenommenen Major Label-Debüt Pieces From The Sky schnell adäquaten Nachschub hinterher zu liefern. Elite Hotel heißt der logische Nachfolger, liefert wie so oft im Hause Harris einen eklektischen Mix aus Country-Standards, Nummern vom ehemaligen Seelenverwandten Gram Parsons und anderem Schnickschnack.
Obwohl der Geist ihres verstorbenen Gesangspartners mit immerhin drei von ihm (mit)verfassten Stücken und ihrer gemeinsamen Vision von Musik stets präsent ist, kommt keine Sekunde Zweifel auf, wer hier die Fäden in der Hand hält. Bereits auf Opener Amarillo, dem einzigen Track, an dem sie mitgeschrieben hat, überflügelt ihr kraftvoller Gesang sofort das Spiel ihrer angeheuerten Kollegen, die natürlich über die gesamte Spielzeit eine großartige Leistung abliefern, und treibt sie zu Bestleistungen. Nicht nur auf dem gelungenen Up-Tempo-Einstieg reißt die junge Sängerin die Aufmerksamkeit an sich, sticht auch jeden Duettpartner auf dem Album aus.
Die größten Momente hat Harris wenig überraschend, wenn sie ihre ganze Seele in die Songs steckt und diese mit viel Emotion für sich gewinnt. In ihren Händen erlangt die von Parsons/Hillman geschriebene Ballade Sin City, original von den Flying Burrito Brothers, nochmals an Tiefe, das ursprünglich von derselben Band aufgenommene Wheels im Duett mit Jonathan Edwards wird zum hymnischen Closer. Allein schon die erste Zeile von Sin City, auf der all der Schmerz und die Hingabe für ihren Mentor verschmelzen und ihrer Stimme eine ungeheure Wirkung geben, gehen unter die Haut. Und wenn die Künstlerin in ihrer zartesten Stimme Till I Gain Control, oder Buck Owens Together Again von sich gibt, dann sollte auch der radikalste Skinhead seine Taschentücher griffbereit aufbewahren. Auch die simple Schönheit von Satan's Jewel Crown mit luftig leichtem Arrangement möchte hier nicht unerwähnt bleiben.
Aber auch die schnelleren Tracks funktionieren Großteils. Neben Amarillo wird vor allem Mid-Tempo Ballade One Of These Days zum absoluten Leistungsträger, auf dem die Country Queen gekonnt zwischen Beharrlichkeit und Zärtlichkeit manövriert und so authentisch wirkt, als wäre sie ihrer eigenen Feder entsprungen.
Dennoch muss man sagen, dass ihr die dynamischen Nummern nicht gänzlich stehen. Gerade wenn die Band dann wirklich Dampf macht, kann man die wenigen Schwächen auf Elite Hotel orten. Gerade auf Ooh Las Vegas, das Harris keine zwei Jahre zuvor mit Parsons besungen hatte, kann sie dem Track nicht so ihren Stempel aufdrücken, wie sie es wohl selbst gewollt hätte.
Dennoch, das dritte Album (ihr folkiges Debüt Gliding Bird von 1969 wird gern unter den Tisch gekehrt) macht gerade wegen seiner vielfältigen Selektion soviel Spaß. Das live eingespielte Ooh Las Vegas, das klassische Sweet Dreams und Hank Williams' Jambalaya (On the Bayou) liefern ein gelungenes Sandwich einer melancholischen Ballade inmitten zweier deftiger Country-Rocker. Auf letzterem packt Emmy ihre rockigste Stimme aus, was zum einen als Kontrast zu den sanften Balladen wunderbar klappt und zum anderen eine großartige Zurschaustellung ihrer großartigen und vielseitigen Stimme darstellt.
Einen wichtigen Beweis, warum Emmylou Harris unbezahlbar für den Country zu jener Zeit war, liefert allein schon die Aufnahme von Here, There And Everywhere ins Albumrepertoire. Diese von McCartney/Lennon (oder war es Lennon/McCartney!?) verfasste Ballade auf einer LP-Side mit Hank Williams, nie zuvor verschwammen die Grenzen zwischen altbackenen Country und Pop dermaßen. Dass ihre Interpretation des Songs sogar an das Original der Beatles rankommt, ist somit nur ein beachtlicher Beigeschmack.
Nein, Emmylou Harris ist nicht der verzweifelte Versuch einer Plattenfirma (Warner Brothers), nach Parsons' Tod 1973 und dem kurzzeitig aufgekommenen Medieninteresse, ein bisschen Kohle zu machen. Viel eher ist sie das Beste, was dem Genre Mitte der 70er passieren konnte. Die Sängerin, die selbst als musikalischer Newbie in Parsons' Band schon feste Vorstellungen von der gemeinsamen Marschroute hatte, dirigiert ihre Kollegen auf Elite Hotel, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Die Arrangements sitzen fast schon zu gut, ihre einzigartige Stimme übertüncht noch jeden kleinen Fauxpas und die Band tut ebenfalls das, was sie am besten kann: munter drauf los spielen und die Protagonistin gekonnt in Szene setzen. Dass Harris' dritte LP aber nicht an ihre größten Glanztaten auf Albumlänge heranreicht, kann man mit einem phlegmatischen Schulterzucken folgerichtig zur Kenntnis nehmen.