von Kristoffer Leitgeb, 27.02.2016
Ungeschliffen, ungefiltert, unverbraucht... und beinahe unwiderstehlich.
"My life is full of empty promises and broken dreams"
Dieser Mann muss es wissen. Also nicht nur dieser Mann, sondern auch sehr viele andere da draußen, aber eben auch der. Also der ja eigentlich nicht mehr so wirklich, denn 2016 ist nicht 1999 und deswegen ist Eminem mittlerweile Multi-Millionär, aber eben damals, da hat er's gewusst. Immerhin entstieg der erfolgreichste Rapper aller Zeiten einem einzigen Drecksloch im unidyllischen Detroit, mit den falschen Proponenten des starken Geschlechts an seiner Seite - Tochter Hailie vielleicht ausgenommen -, so zukunftslos wie die gemeine Eintagsfliege, ohne Geld und zwischenzeitlich auch ohne Job. Dass die Arbeitssuche durch Rapkünste ihr überraschendes Ende fand, ist weit eher der 'American Dream' als Gerechtigkeit irgendeiner Art, die damit verbundenen Mühen und Beschwerlichkeiten wollen wir ihm aber einmal nicht absprechen. Gelohnt haben sie sich auf alle Fälle, wer in sich ein Alter-Ego namens 'Slim Shady' und allerlei strange Lyrics versteckt hat, verdient sich nämlich ganz sicher den einen oder anderen Dollar.
"Hi, my name is, what? / My name is, who? / My name is, chka-chka, Slim Shady!"
Und seien wir ruhig mal ehrlich, wer sich so vorstellt, bekommt ohnehin keinen ordentlichen Job. Da ist es schon gut, dass Dr. Dre damals den gewichtigen Mentor gespielt und den ganzen Ergüssen des Marshall Mathers ein paar Beats zur Seite gestellt hat. Ohne das quirlige Gemisch aus Retro-Keys, Stimm-Samples und trockenem Beat wäre auch der Opener My Name Is gleich viel weniger wert. Obwohl nämlich musikalisch seltener auf den Putz gehaut wird als auf allen späteren Alben, ist das ständige Sound-Hopping der Songs - bedingt auch durch die große Freiheit der Bass Brothers als Teilzeit-Produzenten - von der dynamischen Piano-Hook von Guilty Conscience über das funkige Bass-Schauspiel von My Fault bis zur Western-Parodie in Bad Meets Evil ein klanglicher Jungbrunnen für die LP, die vor allem der Nachfolger gut gebrauchen hätte können. Ganz abgesehen davon, dass die exzentrischen Soundeffekte in Just Don't Give A Fuck oder der ersten Horrorcore-Vorstellung von '97 Bonnie & Clyde die einzige Möglichkeit sind, Eminems Texten Paroli zu bieten.
"Brain damage / Ever since the day I was born"
Ob es für ihn wirklich so schlimm ausschaut, sei dahingestellt, doch ein bisserl an der Wand angestreift dürfte er eben schon sein. Vielleicht waren es auch wirklich nur die Prügel-Sessions der Bullies, die er in Brain Damage zum Thema macht. Sein mentaler Knacks sorgt aber für thematische Ausflüge, die mit unglaublicher Präzision auf der feinen Linie zwischen beeindruckender Selbstironie und Wortwitz hier, schlicht bedenklicher Durchgeknalltheit und Wut da herumtanzt. Das unglaubliche Talent dafür, in jedem Song dutzende Pop-Culture- und Insider-Jokes einzubauen, paart sich da durchaus produktiv mit den ungefilterten Ideen, die ihn Drogenexzesse, Mord an der Liebsten und ein Übermaß an Misogynie zelebrieren lassen.
Für die Rettung vor der kompletten Überforderung mit dieser ausufernd penetranten Tabulosigkeit sorgt allerdings auch Eminem selbst. Einerseits durch die recht simple Tatsache, dass hier im Gegensatz zu "The Marshall Mathers LP" weit weniger vom geplanten Schocker, von der schieren Provokation die Rede sein kann. Stattdessen regieren spontane Ausbrüche, von der aggressiven, verzweifelten Grundstimmung seines damaligen Daseins geprägt und in roher Form verarbeitet. Natürlicher denn je also, wenn auch durchaus kindisch. Zumindest kommt man nicht umhin, das genüssliche Aufzählen seiner ganzen Laster in Role Model oder die schwachsinnige Überdosis-Story My Fault einer gewissen Infantilität zuzuschreiben. Doch in den lockeren Geschichten, die der Rapper so auf Lager hat, versteckt sich nicht nur ein teilweise genialer Humor, Feingefühl für selbstironische Seitenhiebe und ausschlachtbare Hip-Hop-Klischees, sondern auch das nötige Talent dafür, seine Stories in die bestmögliche Form zu bringen.
"See honey: There's a place called 'heaven' and a place called 'hell' / A place called 'prison' and a place called 'jail' /
And da-da's probably on his way to all of em except one"
In den Himmel kommt er damit zwar wirklich nicht, allerdings ist '97 Bonnie & Clyde mit Sicherheit eines der besten Beispiele für die Qualitäten des jungen Eminem. Der 'Dialog' mit seiner Tochter im Babyalter wird dabei dank der gleichsam frag- wie denkwürdigen Vorstellung des Rappers zu einem seiner beängstigendsten und bedrückendsten Momente seiner Karriere. Zwischen kindlichem Vokabular und Mordgelüsten gegen Frau und Mutter Kim offenbart der Track mehr Emotionen als nötig, ist nicht weit weg davon, zur kompletten Geschmacklosigkeit zu verkommen.
So humorlos ist es abseits davon selten, nicht nur My Fault, Bad Meets Evil oder Brain Damage finden sich in harmloserem und lockerem Terrain wieder. Auch der Volltreffer Guilty Conscience präsentiert sich spielerisch. Und nicht nur das, dank des Duells zwischen Dr. Dre und Shady als Gut und Böse werden die perfekt inszenierten Geschichten des Songs zum epischen Schlagabtausch der beiden Kapazunder, vollgepackt mit großartigen Rhymes und trotz der Unstimmigkeiten harmonisch bis zum letzten Ton.
Dass es trotzdem auch ganz anders, nämlich wirklich ernst geht, beweist er offensichtlich relativ ungern, dafür mit Rock Bottom umso effektiver. Auch wenn dessen Beat fast zu simpel daherkommt, ist der plötzliche Anflug misanthropischer und verzweifelter Ehrlichkeit jede Sekunde wert. Wegen ersterer Anflüge des späteren Rap-Rock-Stils von "The Eminem Show", noch viel mehr aber wegen der erwachsensten Zeilen, die das gesamte Album zu bieten hat.
"Look, I can't change the way I think / And I can't change the way I am / But if I offended you, good / Cause I still don't give a fuck"
Weil ihm also eh alles ziemlich wurscht ist, macht es auch gar nichts, wenn mit dem faden I'm Shady noch ein kleiner Schandfleck einer ansonsten überraschend konstanten und ausdauernden Vorstellung erwähnt wird. Mitten in der ohnehin schwächeren zweiten Hälfte hat der wirklich viel zu wenig zu bieten, um irgendwelches Lob zu rechtfertigen. Nachdem das ein ziemliches Einzelschicksal bleibt, der Rest nie weniger als ordentlich ist, wird "The Slim Shady LP" aber zum triumphalen Durchbruch, nicht nur kommerziell. So frisch wie hier war er nie wieder, so gut hat auch sein Humor nie wieder funktioniert und auf ein solches Minimum reduziert waren seine Fehler - auch wegen einer für Eminem heute undenkbaren Laufzeit von unter einer Stunde - auch nie wieder. Ob das für seine beste LP reicht, ist trotzdem nicht so ganz klar, aber hier ist er zumindest verdammt nahe dran.