von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 12.12.2014
Da ist wohl jemand erwachsen geworden.
Hab ich schon gesagt, dass ich nicht sein größter Fan bin? Ich glaub schon, irgendwann dürfte es gefallen sein. Gehört aber doch immer wieder mal bestärkt, vor allem wenn man das angebliche Meisterwerk "The Marshall Mathers LP" aufs Tapet bringt. Aus Platzgründen machen wir's aber kurz, sagen einfach, dass die bei Zeiten miserablen Lyrics und die mäßigen Beats dem Rapper dahinter nicht gerecht geworden sind. Zwei Jahre älter ist er und schon ist alles anders. Eminem ist at the top of his game, hat die Pubertät hinter sich gelassen und überzeugt als rockender Rapper (fast) auf ganzer Linie.
Es ist Hip-Hop im Rock-Stil, mit omnipräsenten Gitarren, abgeschliffenen und weit flüssigeren Beats und Themen, die viel eher dazu neigen, einen anzusprechen. Sei es die Vergangenheitsbewältigung von Cleanin' Out My Closet, sein erster Bush-Kommentar mit Square Dance oder die besten von in seiner Karriere ach so vielen Blicken auf seinen Einfluss auf Fans in Sing For The Moment und White America. Die Rhymes bestechen nicht nur durch ihren einzigartigen Aufbau, sondern diesmal insbesondere auch dadurch, dass lauwarme Schwulenwitze, endlose Gewalt-Tiraden, schlicht sein gewöhnungsbedürftiger Humor zumeist auf ein Mindestmaß gestutzt wurden. Dagegen zeigt das großteils gesungene Hailie's Song eine ungekannt emotionale Seite, Say Goodbye Hollywood mutiert zum introspektiven Abschied vom Ruhm.
Maßgeblich zum Vorteil gereicht ihm aber ohne Frage auch, dass der gänzlich neue Stil, die bedächtigen Beats von White America, Business oder Square Dance und der atmosphärische Einsatz von Gitarren und Klavier für mehr Abwechslung sorgen. Paradefall ist da natürlich Sing For The Moment, dessen Aerosmith-Sample perfekt als Refrain herhalten darf und bei dem das Outro von Joe Perry an der Gitarre versüßt wird. Nur selten kommen wirkliche Erinnerungen an den Vorgänger auf. Soldier bringt mit seinem militanten Sound alte Aggressivität wieder, Say What You Say ist mit seinem unförmigen Beat ein musikalischer Ausreißer. Bricht er wirklich aus, so wie im Asienflair versprühenden Drips, gerät das - auch dank miesem Text - schnell zum Reinfall.
Überhaupt zeigen sich die etwas abgesonderten humorvolleren Momente eher als Verlierer. So gibt sich Leadsingle Without Me als üblicher Gag-Release, der sich trotz unbestreitbar eingängigem Beat eher auf Durchschnittsniveau wiederfindet. Ähnlich wie das zähe Superman, dessen starker Gitarrenpart nur schwer das einschläfernde Tempo und die ähnlich uninteressanten Lyrics überlebt. Lediglich My Dad's Gone Crazy steht dank des Gastauftritts von Tochter Hailie Jade und großartigem Rhythmus als würdiger Abschluss der Platte da.
Da jedoch ebendie lockeren Minuten in hoffnungsloser Unterzahl sind, gelingt der Versuch, den großen Auftritt ausreichend zu vermiesen, nicht wirklich. Stattdessen bleibt einem eine großartige Entwicklung im Gedächtnis, die ihn in die außergewöhnliche Position bringt, auf seinem kommerziellen Höhepunkt tatsächlich besser zu werden. Ein seltener Fall, der dank Eminems starkem, erwachsenem Umgang damit, gelingt. Es sollte eine kurze Phase sein, in der billige Gags und unzumutbare Zeilen ins Reich des Vergessens verdammt wurden, dafür baut "The Eminem Show" auf dem auf, was Stan und The Way I Am vorbereitet haben. Keep the good, leave the bad, sozusagen. Da ist ein großartiges Endprodukt keine Überraschung.
K-Rating: 8 / 10
Erwachsen ≠ langweilig.
Ganz kurz vorweg: Ich habe nichts gegen diesen weißen Rapper, der mit seinen gnadenlosen Worten die Hip-Hop-Szene und die Musikwelt allgemein einige Jahre auf den Kopf stellte. Viele Großtaten auf Tracklänge fallen mir da ein, vom genial inszenierten Guilty Conscience mit Kumpel Dr. Dre bis zum rührenden Trauermarsch von Like Toy Soldiers. Was seine bis zu 80 Minuten andauernden Alben nicht an Spannung bereithalten, wird immer wieder durch eine breite Palette starker Tracks wettgemacht. Leider fällt dieser wünschenswerte Zustand bei Slim Shadys vierter LP, The Eminem Show, nahezu komplett ins Wasser.
Viel zu vorhersehbar, viel zu müde rappt und schleppt sich Eminem durch seine zwanzig Titel, dabei wiegt der Umstand, die Pubertät zu weiten Strecken endlich hinter sich gelassen zu haben, nicht allzu positiv auf. Stattdessen bedient Marshall Mathers 2002 eine Musikszene, die nach langweiligen Beats und einem Protagonisten, auf dem Zenit seiner Antipathie angekommen, dürstet, mustergültig.
Dabei sollte auch seine kommerziellste Reise vielversprechend beginnen, immerhin startet der Welteroberungskurs direkt im Westen mit dem stärksten Track, White America. Nur hier kulminiert seine Wut sich zu einer mitreißenden Lawine, die alles im Weg unter sich begräbt, während eine unheilvolle Atmosphäre ihr Übriges tut. Konnte der Vorgänger noch mit seiner düsteren Stimmung und der beeindruckenden Kreativität eines aufstrebenden Künstlers über seine textlichen Schwächen hinwegtäuschen, läuft das Flaggschiff der Eminem Show recht schnell auf Sand. Gerade das nicht nur vom Kollegen als Highlight herausgehobene Cleanin' Out My Closet ist nicht mehr als der gelungene Versuch, sich bereits am dritten Major Label-Album zu wiederholen und die alten Geschichten erneut durchzukauen. Klar, der Beat ist klasse, mittlerweile wissen wir aber nur zu gut, wie grausam die böse Mama war. Auch der Blick auf die restliche Tracklist lässt vermuten, dass Shady nicht gerade über den Tellerrand seines eigenen Lebens hinausblicken kann, sich abseits von den Familiendramen über Mutter, Zweifach-Ex Kim und seiner kleinen Tochter Hailie, der er mit Hailie’s Song immerhin einen der formidableren Tracks widmet, nicht viel abspielt. Wäre allerdings kein Problem, hätten wir das nicht alles schon auf den beiden Alben davor gehört, vorwiegend passender produziert.
So stehen den wenigen ordentlichen Momenten, zu denen ich noch das kämpferische Soldier mit seinem treibenden Beat und das mit Teilen von Dream On (Aerosmith) versehene Sing For The Moment zählen würde, wieder einmal einiges an Schwachsinn gegenüber. Besonders die Nummern, auf denen Mathers seine Freunde eingeladen hat, verlaufen sich zumeist in Sackgassen. Weder Obie Trice auf dem furchtbar öden Drips, noch seine Kollegen von D12 oder Dr. Dre hinterlassen bleibende Eindrücke. Ganz schlimm ist auch der fast 6-minütige Superman, der bis zum Schluss in seiner zähen Einförmigkeit verharrt, die bereits mein Vorsprecher präzise erkannt hat.
Mit seinem insgesamt vierten Soloalbum experimentiert Marshall Mathers zwar mit dem Sound und reduziert seinen gewöhnungsbedürftigen Humor wie bereits erwähnt aufs Mindeste, das Ergebnis kann sich diesmal leider nicht sehen lassen. Auf seinen 77 Minuten findet sich kein genialer, packender Track der Marke Stan, sondern nur lauwarme Aufgüsse der eigenen Songs und alten Thematiken. Wer wirklich eine Show erleben will, der bedient sich jedenfalls anderer Alben des erfolgreichsten Rappers seiner Ära… Oder greift auf die wirklich essentiellen Alben von N.W.A. oder dem Wu-Tang Clan zurück.
M-Rating: 5 / 10