Eminem - Relapse

 

Revival

 

Eminem

Veröffentlichungsdatum: 15.12.2017

 

Rating: 4 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 18.04.2019


Nicht das schlechteste Rap-Album aller Zeiten, aber wohl ein unfreiwilliger Abgesang auf sich selbst.

 

Der Boxsport kennt so manch tragischen Moment. Genug bekannte oder weniger bekannte Boxer mussten der Intensität des Sports Tribut zollen und haben im schlimmsten Fall den Ring nicht lebend verlassen. Während solche Fälle die offensichtlichsten Tragödien sind, gibt es andere, die manchmal ähnlich gravierend wirken. Es sind die, die eine Legende im Ausgedinge zeigen, oft mit der direkten Folge, dass ehemals unschlagbare, gefürchtete Kämpfer durch den Ring geprügelt und bemitleidenswert zugerichtet werden. Dass das vorkommt, weiß jeder, der Muhammad Alis Geschichte kennt und je auch nur eine Minute von dessen surrealem vorletzten Kampf gegen Larry Holmes gesehen hat. Und während Ali in der Folge gesundheitlich zunehmend abbaute, sind andere zwar dem entkommen, trotzdem hat selbst Mike Tyson mehrere eher peinliche Comebackversuche mitmachen müssen. Hier ist die Brücke geschlagen zum Hip-Hop im Allgemeinen und Eminem im Speziellen. Denn die qualitative Halbwertszeit der meisten Rapper ist eine sehr begrenzte, noch limitierter ist die Gunst der Genre-Enthusiasten, die oft nicht lange brauchen, um so manch großen Namen abzuschreiben. Nas ist dem Anfang des Jahrtausends gerade noch entgangen, Jay-Z nicht so ganz und Eminem so wenig, dass es kaum mehr lustig ist. Denn der kämpft mittlerweile seit eineinhalb Jahrzehnten gegen jene an, die ihn mit jedem Album dem Karriereende nahe sehen. Spätestens mit "Revival" dürfte allerdings der Punkt gekommen sein, an dem er unfreiwillig einen Abgesang auf sich selbst anstimmt.

 

Das ist gleichermaßen ein merkwürdiger Zeitpunkt und die logische Konsequenz der vorangegangenen Geschehnisse. Denn trotz einer Verjüngungskur namens "The Marshall Mathers LP 2", die 2013 auf mehreren Ebenen überrascht hat, ist ziemlich eindeutig, dass es ihm nach dem schwierigen Ende seiner ersten Karrierephase, "Encore", zwar in der gewonnen Nüchternheit gelungen ist, das Schlimmste zu verhindern. Gleichzeitig liegt auch ein wenig der Eindruck nahe, dass das so ziemlich das Hauptziel oder zumindest die Essenz seiner Arbeit im letzten Jahrzehnt ist. Denn die vereinzelten Erinnerungen an die Großartigkeit seines früheren Selbst zerbrechen an einer Masse an Mäßigkeiten, mal angestaubt, mal kitschig, mal einfach nur leer, die zusammen die letzten Alben geprägt haben. Das klingt letztlich schlimmer, als es war, allerdings fällt es auch schwer, auf einer LP wie "Recovery" unterhaltsame Musik, bemerkenswerte Lyrik oder ernstzunehmende Substanz in ausreichendem Maße zu finden, um daraus mehr als ein Durchschnittsalbum zu machen. Der Durchschnitt ist also schon so ziemlich die Heimat des US-Amerikaners geworden, hier allerdings geht es weiter bergab. Denn auch hier sind unterhaltsame Musik, bemerkenswerte Lyrik oder ernstzunehmende Substanz selten, leider sogar seltener denn je. Entsprechend lohnt es nur bedingt, auf einzelne Songs für eine Beurteilung des Ganzen zu verweisen, wenn das große Ganze so zäh, müde und inhaltsarm wirkt.

 

Und doch folgt ein tieferer Einblick in eine Tracklist, die in traditioneller Manier natürlich hemmungslos ausufernd ist, hier allerdings mit 19 Tracks, darunter eigentlich nur ein wirklicher Skit, endgültig jenseits von Gut und Böse endet. Das strapaziert Nerven und Geduld, obwohl einen Eminem eigentlich mit dem Opener hinreichend auf die Realität vorbereitet. Denn Walk On Water ist nicht mehr als zum Song erkorene Angst, Erwartungen zu enttäuschen und eine aufgewaschene Version des alten Marshall Mathers zu sein. In dieser Hinsicht prophetisch oder zumindest bemerkenswert selbstreflektierend, gleichzeitig ein bisschen eine Täuschung, weil der Song dank der großartigen Hook in Beyoncés Refrain und dem gut eingebauten Klavier eine starke Eröffnung darstellt.

Gleichzeitig ist es ein Song, der symptomatisch ist für die letzten Jahre in Eminems Schaffen. Melodramatischer Pop an allen Ecken und das hat ihm selten geholfen, am ehesten noch, wenn wie hier eine R&B-Größe nachhilft. Eine erneute Kooperation mit P!nk in Need Me schlägt dagegen kolossal fehl und gerät zu schmalziger, aufgeblasener und hemmungslos überproduzierter Leere, in der Eminem nichts zu tun hat. Ähnlich ergeht es dem kitschigen Streicherstakkato von Nowhere Fast, dem die Stimme von Kehlani alles andere als gut tut, oder Bad Husband, das zwar textlich einen neuen, erwachseneren Blick auf seine Rolle als Vater hergibt, gleichzeitig aber einen müden Beat und plumpe Klavierakkorde zusammenwürfelt, nur damit die X Ambassadors letztlich das sind, was in dem Song am besten klingt. Wie bescheiden es um diesen überrepräsentierten Teil in Eminems Kanon bestellt ist, illustriert wahrscheinlich am besten, dass das namensgebende Stück des Albums nicht etwa ein solo des Rap-Großmeisters ist, sondern ein kurzer Klaviersong von Regina Spektor mit dumpfem Hip-Hop-Beat im Hintergrund. Wieso das passiert und was das überhaupt hier zu suchen hat inmitten einer in zu viele Richtungen zerrenden LP, wird keiner hinreichend erklären können. Dass es aber mit einer der am besten klingenden Tracks ist, ist bedenklich. Ähnliches könnte man übrigens über River sagen, den größten Hit des Albums, der eigentlich dank Beteiligung eines gewissen Ed Sheeran zum Scheitern verurteilt sein sollte, stattdessen aber trotz sinnfreier Military Drums eindeutig einer der am besten abgemischten und ausbalancierten Tracks des Albums ist, so mäßig die Lyrics auch sein mögen.

 

Während all das danach klingt, als wäre Pop-Rap nun endgültig Eminems Heimat, ist all das eigentlich nur ein Teil dieser elendiglich langen Tracklist, die so unzusammenhängend wie höhepunktsarm ist. Es fehlt ganz offensichtlich an dem Willen, sich für eine Richtung zu entscheiden, weswegen gleichberechtigt prüde und jeglicher Dynamik beraubte Übungen in künstlerischer Selbstreflexion, mehrere Versuche erwachsener Vergangenheitsbewältigung, klobige gesellschaftspolitische Kommentare und schwierige Rap-Rock-Brocken imitierter Lockerheit nebeneinander existieren. Das ist sinnbefreit und selbst im Vergleich zu früheren Alben eine innere Zerrissenheit, die sich Eminem nicht leisten darf, so durchwachsen wie seine Performances hier sind. Es funktioniert auch nichts so wirklich, weil er es kaum schafft, die Extreme des Albums auszubalancieren. Hier der überproduzierte Kitsch der miserablen Trump-Diss-Tirade - mit eingebautem Star-spangled-Banner-Patriotismus - Like Home, da das grobschlächtige Sample von I Love Rock 'n' Roll in der bestenfalls zweitklassigen, ohne Punch oder klangliche Frische daherkommenden Aufbereitung dessen, was mit Berzerk ausgesprochen gut funktioniert hat. Hier der staubtrockene, sinnlos der Rapakrobatik erliegende Selbstmotivations-Trap von Believe, da R&B-Samples im dramatischen Blick auf die eigene Vergangenheit des Closers Arose. Nichts davon passt zusammen. Im Gegenteil begeht Eminem sogar den großen Fehler, sich hemmungslos selbst zu widersprechen und innerhalb weniger Tracks von apologetischer Romantik zu aggressivem politischem Angriff, infantiler Misogynie und dann doch wieder stumpfer Partystimmung zu wechseln.

 

Manches davon funktioniert allerdings maßvoll. Er ist nämlich nicht komplett davon abhängig, dass es ein Pop-Weltstar in einem Song auftaucht, auch ohne Feature kann er noch ziemlich stark klingen. Etwas überraschend gelingt ihm das unter anderem in Framed, dessen bewusst mühsame Hook genauso wie das schräge, spärliche musikalische Fundament an "Relapse" erinnert. Eminems verzweifelte Verteidigung gegen die Anklage gerät damit zwar in Maßen anstrengend, erinnert aber immerhin auch auf erfrischende Art an Songs wie Bagpipes From Baghdad oder One Shot 2 Shot, die an anderer Stelle für bitter notwendige positive Eindrücke gesorgt haben. Am anderen Ende der klanglichen und inhaltlichen Skala thront Untouchable und damit ein wenig subtiler, trotzdem aber effektiver Versuch, sich zur Abwechslung einmal gesellschaftskritisch zu geben. Warum effektiv? Weil Rap-Rock zwar veraltet ist, Eminem aber einer der wenigen ist, die ihn einigermaßen dynamisch und griffig hinbekommen können und ihm genau das hier gelingt. Weil auch urplötzlich mit einem zur Abwechslung nicht allzu müden Beat auch seine Aggressivität wieder einigermaßen zu hören ist, gleichzeitig aber sarkastischer Unterton mitschwingt, der manch absurde Zeile gekonnt hervorstreicht. Dass sich auch das hier ungeahnt aktiv und atmosphärisch wirkende Setting über sechs Minuten abnützt, stimmt zwar einerseits, andererseits scheint es ein dem Thema angemessener Zugang zu sein, auf ein trockenes musikalisches Gerüst zu setzen und das nicht der Hörbarkeit wegen unnötig abwechslungsreich zu gestalten.

 

Ob nun "Revival" im Ganzen als unnötig abwechslungreich durchgeht, ist trotz Fehlen jeglicher inhaltlicher Einheit ein bisschen streitbar. Denn zumindest eines eint so ziemlich alle Songs hier: Sie klingen poliert, kantenlos, energiearm und meistens angestaubt. Weil sich eine solche Zusammenfassung nahtlos in den Kanon der oft vernichtenden Kritiken zu dieser LP einreiht, sei vielleicht darauf hingewiesen, dass Eminem selten wirklich grausam klingt. Also so ganz leuchtet mir nicht ein, woher die unfassbare Zahl an kompletten Verrissen herkommt, die dem Album ein Dasein am Fassboden dessen bescheinigen, was namhafte Hip-Hopper zusammenbasteln. Denn Tatsache ist, es ist eindeutig ziemlich mühsam, das ganze Album durchzuhören, nur liegt das gar nicht so sehr daran, dass alles so grausam klingen würde. Nein, es ist einfach nur ziemlich langweilig und verzichtbar, ohne die nötigen Konturen, die nötigen Themen oder die altbekannte textliche Finesse, um einen zu überzeugen. Eine magere Ausbeute für jemanden, der einmal von beinahe allen angehimmelt wurde, aber auch nur insofern anders als das, was Eminem in den zehn Jahren davor zu bieten hatte, als dass nun endgültig die Frage aufkommt, was er eigentlich noch zu bieten hat, für das es sich zuzuhören lohnt.

 

Anspiel-Tipps:

- Walk On Water

- Untouchable

- Framed


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