von Kristoffer Leitgeb, 08.10.2016
Da muss einer noch lernen, nüchtern zu sein.
Es scheint mir schon beinahe ein gesellschaftlicher Konsens zu sein, dass Leute unter Drogeneinfluss - in good ol' Austria hauptsächlich der Alkohol - unterhaltsamer sind als nüchterne. Ich widerspreche dem vehement. Mit Sicherheit wäre ich im Rausch genauso langweilig, wie ich es auch im Rohzustand bin. Angeblich bin ich aber wiederum nicht so repräsentativ für den Rest der Menschheit, vielleicht reden wir da also von der berühmt-berüchtigten Regelbestätigung durch eine Ausnahme. Und es dürfte genügend Gegenbeispiele geben. Bei Helmut Qualtinger ist zumindest fraglich, wie er sich ohne Alkohol getan hätte, bei AC/DC wär wohl ohne Gerstensaft auch weit weniger gegangen und die zweite Hälfte der 60er war überhaupt so voller Drogen, dass man mit Aufzählungen besser von der anderen Seite anfängt. Der alte Eminem hätte sich da wohl ziemlich gut eingefügt. Doch es ward Zeit aufzuhören. Marshall also erstmals clean und, tja, von Unterhaltung wenig zu spüren.
Wobei eh keiner unbedingt erwartet, dass alles lustig-locker ist. "Encore" war ohnehin viel zu oft "lustig", respektive unterbelichtet. Es wäre also Zeit für ernste Töne, allein die Umstände des Comebacks - Proofs Tod und Eminems Drogenüberdosis - legen das nahe und verlangen eigentlich sogar danach. Doch trotz oder gerade wegen der ungewohnten geistigen Klarheit scheint die Arbeit im Studio etwas planlos verlaufen zu sein. Die meiste Zeit schwimmt der Rapper in einer schwer auf einen gemeinsamen Nenner zu bringenden Suppe aus infantilem Humor, fast schon nostalgischen Horrorcore-Annäherungen und dann doch endlich der ehrlichen Ernsthaftigkeit, die für viele seiner wertvollsten Minuten verantwortlich zeichnet. In diesem ständigen Hin und Her findet er sich wiederum kaum zurecht, insbesondere die erste Hälfte verkümmert abseits der starken Eröffnung rund um die Auferstehung seiner Mordfantasien in 3 a.m. zu einer äußerst zähen und, viel schlimmer, äußerst humorlosen Affäre. Das überzeugende Dr. West Intro eröffnet mit Ems Rückfall-Albtraum nur ein kurzes Aufflammen von angriffiger Frische. Dr. Dres theatralisch-abgehackter Keyboard-Loop unterlegt einen gesunden Gewaltausbruch, zwar leider durch den unsympathischen Akzent abgeschwächt, aber spätestens mit dem "Silence Of The Lambs"-Seitenhieb auf der richtigen Spur, um an bessere Zeiten zu erinnern.
Danach passiert erst einmal viel, über das man den Mantel des Schweigens breiten wollen würde. Was nicht allein die Schuld des Mannes am Mikro ist. Der textet zwar manchmal zum Kopfschütteln, öfter noch zum desinteressierten Weghören, wird aber auch nur bedingt unterstützt. Die erneuerte Kooperation mit Dr. Dre ist zwar auf dem Papier Gold wert, doch dessen Produktion bietet wenig Gelegenheit für Kurzweile. "Relapse" ist geprägt von einem großen Haufen abgehackter, harter und vor allem monotoner Beats, die Eminems Rapstil mitunter sogar eher entgegenarbeiten, als dass sie seinem Flow helfen würden. Dre findet wenig, das die lethargischen Rhythmen von My Mom, Medicine Ball oder We Made You wirklich beleben könnte. Eingeschobene Keys, Bläser-Loops oder noch so schrille Synths in Insane erreichen einen klinisch, leblos, frei von jeder Atmosphäre oder Aussage. Und so wirkungslos sie in dieser Hinsicht sind, nerven können sie einen noch ganz ordentlich. Die Idee, Eminems Rapmuskeln mit diesen für Freestyle-Raps prädestinierten Beats wieder aufzuwärmen, mag nett gemeint sein, doch weil dieser wiederum selten zur Höchstform aufläuft und in Wahrheit weniger zu sagen hat, als man erwartet hätte, fördern sie nur die monotone Langeweile, die sich mit den zunehmend anstrengenden verbalen Ausritten paart. We Made You soll stellvertretend dastehen als komplett unspektakuläre Darbietung, zahm und doch dank der aufdringlichen Soundcollage mühsam genug, um unrühmlich zu verenden. Die Hitsingle trifft das umso mehr, weil sie Mikrowellenware ist. We Made You ist die uninspiriertere Version von Just Lose It, während Just Lose It selbst die uninspiriertere Version von Without Me war, der wiederum die von The Real Slim Shady und der schließlich die von My Name Is. Beim fünften Mal ist es dann einfach nicht mehr humorvoll, geschweige denn interessant.
Während, wie das zumindest smooth gestaltete Hello beweist, sicher nicht alles schlecht sein muss, fehlt es lange an Tracks, die über irgendeine wirklich erwähnenswerte Qualität verfügen. Perfekt illustriert dadurch, dass Bagpipes From Baghad das Flaggschiff der humorvollen Momente sein muss. Der ist etwas abgeschmackt, spätestens ab dem Moment, wo klar wird, dass er einmal mehr Mariah Carey gewidmet ist, was in Form von "Locked in Mariah's wine cellar" mit der ersten Zeile passiert. Doch Eminem klingt locker, freimütig und weiß mit dem frischesten Beat und einem Pungi-Loop - tatsächlich wahrscheinlich die originellste Idee der LP - ordentliches musikalisches Backing hinter sich.
Trotzdem wirken die zum Schocken geschaffenen Gewalt- und Sexismusexzesse ähnlich falsch wie das unwürdige Medicine Ball oder die einschläfernde Nullsummenübung Must Be The
Ganja. Was einen möglicherweise umso empfänglicher macht für einen aus dem Nichts kommenden, starken Abschluss. Er beginnt gleich auf höchstem Niveau, mit Déjà Vu und also der
Nacherzählung seines Wegs hin zur Überdosis. Dessen Umsetzung ist allein schon deswegen ein Triumph, weil die trockene Produktion der LP mit der Rückkehr der Rock-Anleihen der "Eminem Show" verdammt gut harmoniert. Nicht minder von Bedeutung sind die Lyrics, die in ihrer blanken Ehrlichkeit ironischerweise
brutaler wirken als jede noch so reißerische Zeile davor:
"Mommy, something is wrong with Dad I think
He's acting weird again
He's really beginning to scare me
Won't shave his beard again
And he pretends he doesn't hear me
And all he does is eat Doritos and Cheetos
And he just fell asleep in his car eating
3 Musketeers in the rear seat"
Kaum ein besserer Song ist ihm je gelungen, auch hier kommt nichts mehr da heran. Trotzdem legt er mit der, unweigerlich kitschig wirkenden, Motivationsballade Beautiful und dem brachialen Closer Underground stark nach. Ganz zufrieden kann da niemand sein. Einerseits vor allem, weil dem zügellosen Rap im Finale neben einem drückenden Beat und aggressiven Synth-Dissonanzen auch noch das katastrophal unnötige Comeback von Ken Kaniff anhängen muss. Das ist so unrühmlich, dass man die Gedenkengänge hinter der Entstehung schwer erfassen kann. Beautiful entgeht so etwas, allerdings wird es nie den Tag geben, an dem die mit manipulierter Stimme gesungenen Refrains eines Marshall Mathers einem Song helfen können. Auch hier nicht und spätestens beim dritten Male driftet der Song langsam doch in die Richtung des Sichselbstüberlebens ab.
Man wartet auch nicht so wirklich auf den Mann, der einem unbedingt Mut machen will. Eminem wird seine starke Seite nie dort finden, wo er anderen erklärt, dass sie doch beautiful wären. Wenn einem "Relapse" aber etwas noch viel klarer zeigt, dann wäre das, dass man den erfolgreichsten Rapper der 00er-Jahre auch nicht mehr so wirklich auf den Pfaden der skandalgeilen Infantilität hören will, solange er nüchtern ist. Umso weniger, wenn weder aus den Texten noch aus der Musik sonderlich viel Inspiration spricht. Eher stolpert sich Eminem rappend durch diese Beats, die so nicht und nicht auf ihn zugeschnitten sind. Dass selbst dann noch so manches überlebt, sogar ein Volltreffer dabei ist, spricht wiederum nicht gegen ihn. Und es zeigt, wie es auch aussehen könnte, wenn erst einmal klar wird, wie der drogenfreie Rapper denn zu arbeiten hat. Sonderlich viel Erfahrung hatte er damit anno 2009 ja wirklich nicht.