Egschiglen - Gereg

 

Gereg

 

Egschiglen

Veröffentlichungsdatum: 15.10.2007

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 02.12.2017


Hohe Instrumentalkunst, endlose Weiten und doch eine Frage der Ausdauer.

 

Die folgende Feststellung ist zwar mit großer Sicherheit für alle amerikanischen Patrioten, Sowjet-Nostalgiker, Romanisten und Anhänger des britischen Empire eine herbe Enttäuschung, vielleicht gar Kränkung, aber es gilt bis heute und wohl noch lange: Das mongolische Khanat war das größte aller großen Großreiche, die die Welt beherrscht und irgendwann wieder verlassen haben. Dschingis und Kublai sei Dank, die haben als Khans ordentlich was weitergebracht. Und sie haben damit die Mongolei in der Weltgeschichte politisch und kulturell verankert. Heute ist das gängige Wissen über das berühmteste Nomadenvolk des Planeten - wiederum eine Kränkung für alle Tuareg-Aficionados - trotz dieser Jahrhunderte alten Erfolgsstory eher mau. Umso mehr, da das mit den Traditionen in diesem Land, das zwischen China und Russland feststeckt, nur mehr halb so ernst genommen wird wie anno dazumal, was dazu führt, dass das Nationaltheater eher dem österreichischen Parlament ähnelt als dem klassischen Yurt und Fußball auf dem Weg ist, das Reiten als Nationalsport abzulösen. Wer die Vergangenheit trotzdem kennen lernen will, der braucht "Gereg."

 

Oder ganz generell einmal Egschiglen. Dass die Band ihren Ursprung am Konservatorium von Ulaanbaatar hat, hilft, dass sich alle Mitglieder in der Kunst der Konservierung in höchstem Maße traditioneller Musik verstehen, ist ohnehin Fundament des ganzen musikalischen Verständnisses der Mongolen. Auf ihrer fünften LP erlebt genau das auch einen absoluten Höhepunkt, immerhin ist die Neuinterpretation folkloristischer Klassiker das Um und Auf. Dementsprechend dominiert die klassisch mongolische Instrumentierung, es werden Morin Khuur, Tobshuur und Joochin gespielt. Jeder weiß natürlich, dass das die zweisaitige Pferdekopfgeige, die genauso zart besaitete Laute und die landesübliche Dulcimer ist, weswegen ich es hier sinnloserweise trotzdem erwähne. Weniger sinnlos ist der Verweis darauf, dass schon der Eröffnung mit der tatsächlich steinalten Reiterhymne Hunnu ein gewisser cineastischer Charme anhaftet, der zu mehr führt als nur einer meisterlichen Nacherzählung alter Weisen. Letzterer sorgt erst einmal nämlich nur für die nötige Melodik und Authentizität, während die interpretative Ader des Gespanns das Tor zur quasi bildgewaltigen Musik öffnet. Die unendlichen Weiten der zentralasiatischen Steppe mitsamt ihrer weniger üppigen Fauna und den jedem Sandstrahler Konkurrenz machenden Stürmen liegt offen vor einem, genauso wie einem das gleichermaßen karge wie mystische Leben unter diesen Bedingungen ein klein wenig näher rückt. Mit anderen Worten, "Gereg" ist exotische Musik in ihrer natürlichsten Form.

 

Nicht aber ohne einen Hauch Dramatik. Für die sorgt allein schon die fast allgegenwärtige Mehrstimmigkeit zwischen der eigenwilligen Melodik von Sängerin Sarangerel Tserevsamba und dem tief röhrenden Obertongesang, den vor allem Amartuwshin Baasandorj beherrscht. Für manche mag insbesondere letzteres gewöhnungsbedürftig sein, denn die gepresste Stimmgewalt widerspricht den westlichen Regeln schönen Gesangs. Dabei ist es aber nicht nur die erdige Stimmfarbe, die diesem Gesang innewohnt, es ist auch der starke Kontrast zur oftmals hellen Instrumentierung durch Geige, Laute und die reichhaltige Percussion, der für schwer zu deutende, dafür umso eindringlichere Minuten sorgt. Balladeske Dramatik wie im Falle von Duuren Zaan verselbstständigt sich auch dadurch und entgeht trotz der Verankerung in mongolischer Tradition ziemlich souverän fader Schubladisierungen. Das Wechselspiels macht's, was nicht zuletzt dadurch verdeutlicht wird, dass die Übergänge vom flehenden Gesang in Jaran Zagaan Aduu hin zu spielerischen Up-Tempo-Songs wie Meeneg oder Chamagaigaa Gelgui Yahav reibungsloser nicht sein könnten.  

 

Spätestens an diesem Aspekt erkennt man aber auch den westlichen Einfluss, den das Auswandern ins Frankenland mit sich gebracht zu haben scheint. Die Produktion erstrahlt im besten Sinne des Wortes, jeder Ton glasklar zu hören und mit dem gebührenden Raum, um nicht unterzugehen. Das allein ist es aber noch nicht ganz, denn insbesondere auf instrumentaler Ebene ergeben sich markante Anleihen zu westlicher Musik. Das eindrucksvolle Instrumental Nutgin Zamd vereint dabei offensichtliche chinesische Einflüsse beim Streichereinsatz mit Rhythmen und trockenem Gezupfe, das ein Faible für Ennio Morricone nahelegt. Eine Spur interpretativer wird es zu Beginn von Uran Hase Baletiin Adagio, dessen Akkorde gewollt oder ungewollt das Intro von Nothing Else Matters in Erinnerung ruft. Den plakativen Höhepunkt erreicht diese Horizonterweiterung ganz zum Schluss mit dem komplett aus dem Nichts auftauchenden Bäu'rin (Hat Die Katz Verlor'n). Ein Highlight für sich ist es auf alle Fälle, wenn fünf Mongolen ein bayrisches Volkslied einspielen und zwischen gebrochenem Dialekt plötzlich der Obertongesang die Maultrommel ersetzt.

 

Dass es ein wenig die aufgebaute Atmosphäre zerstört, nimmt man dann eigentlich gerne in Kauf, weil die zweite Hälfte ohnehin trotz virtuoser Arbeit an den Nerven zehrt. Man hätte problemlos die 50-Minuten-Marke unterschreiten können, ohne große Verluste hinnehmen zu müssen, allein schon wegen des ohnehin blutleeren Dahinplätscherns von Huurhun Haliun, das die anfängliche Souveränität abrupt verschwinden lässt. Es kommt mithin auch der Zeitpunkt, an dem man eingestehen muss, dass gerade die aktiveren Minuten nicht mehr die vereinnahmende Qualität haben, wie das noch bei Hunnu oder Meeneg der Fall ist, man stattdessen zunehmend auf die instrumentalen Fertigkeiten der Band als Ersatz für Atmosphäre und Ausdrucksstärke zählen muss.

Das ist für sich genommen schade, deutet auch ein wenig darauf hin, dass die Qualität von "Gereg" nicht zuletzt im traditionsbewussten und damit für österreichische Ohren untypischen Sound begründet liegt. Wie es so oft ist bei starken Alben, insbesondere aus den entlegeneren Gegenden der Erde, wird man beim Zuhören in die Ferne entführt, nur um bis zum Ende draufzukommen, dass auch dort die Kreativität ihre Grenzen kennt. Mit der technischen Fertigkeit ist das nicht ganz so, das beweisen die vier Herren und die spätberufene Dame im Bunde ziemlich eindrucksvoll. Die sorgt aber, für sich genommen, für kein Nutgin Zamd, auch wenn da die Instrumente die alleinige Hauptrolle haben. Der dabei spürbare emotionale Gehalt ist an anderer Stelle nicht immer zu hören, weswegen Egschiglen ein Muss für jeden Advokaten musikalischer Horizonterweiterung sind, nur mit dem Albumformat haben sie es nicht ganz so.

 

Anspiel-Tipps:

Hunnu

- Meeneg

- Nutgin Zamd


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