von Kristoffer Leitgeb, 19.06.2020
Eine seelenlose Versammlung der Chartbesten, zu der der Hauptact mit am wenigsten beiträgt.
Die Chance, dass man irgendjemandem etwas Neues erzählt, wenn man über die hyperkommerzielle Natur von Ed Sheerans Musik zu referieren beginnt. Die ist soweit jedem bekannt und klar und eventuelle Annahmen, dass das, was er so fabriziert, nicht sorgfältig darauf zugeschnitten wird, zuverlässig überall rauf und runter gespielt und auf die vordersten Chartplätze gebracht zu werden, erscheinen etwas sehr realitätsfern. Die Dramatik dessen ist insofern begrenzt, als dass es schon genug Künstler gegeben hat, die herzlich wenig Lust hatten, riskant oder herausfordernd zu agieren und damit vielleicht den erwartbaren Erfolg aufs Spiel zu setzen, die dabei aber immer noch mehr oder weniger stark geklungen haben. Selbiges gilt ja auch für Sheeran zumindest insofern, als dass sein Debüt bereits nicht als riskanter Schritt definiert werden könnte, aber trotzdem oft genug zu überzeugen wusste. Bleibt man aber zu lange in rigider Form den Trends treu und läuft diesen zwanghaft nach, kann das schon generell nicht gut enden, weil es endlose Fadesse hervorbringt, umso weniger kann es aber, wenn man diese Trends dann auch noch nicht gut umsetzen kann. Sheeran und die schon früh in seiner Karriere zur Schau gestellte Faszination für R&B und Hip-Hop bringen ihn mit seiner vierten LP genau an diesen Punkt.
Wobei es nicht so ist, dass "No. 6 Collaborations Project" nicht ein Autounfall mit Ansage gewesen wäre. Nicht nur, dass schon der Vorgänger ausgestattet war mit gewaltigem Substanzmangel und dem langweiligen Anschein einer Sammlung all dessen, was in den Charts zu hören ist, diese LP hier ist schon ihrer Konzeption nach ein gewaltiger Griff ins Klo. Einer entsprechenden EP nachfolgend, werden hier auf fünfzehn Songs so viele musikalische Mitstreiter versammelt, wie es denn nur irgendmöglich erscheint. Das Staraufgebot ist dabei imposant, illustriert aber auch eines der zentralen Probleme des gesamten Gebildes, nämlich die unspektakuläre Nähe zu allem, was Radios heutzutage so hergeben. Synth Pop hier, R&B da, irgendwo etwas Latin dazwischen, einsam und verlassen Gitarrenriffs und Hip-Hop en masse in allen gängigen Formen. Das ist einerseits schon einmal ziemlich viel für ein Album, dem ein einender roter Faden abseits des schmerzhaft direkten Charttauglichkeitsparadigmas komplett abgeht. Zum anderen gehört auch nichts davon wirklich in einen musikalischen Raum mit Ed Sheeran.
Dementsprechend wenig läuft hier zusammen, ob es nun mit Cardi B., Justin Bieber, Stormzy, Eminem oder Bruno Mars aufgenommen wurde. Leadsingle I Don't Care, der Bieber-Track, ist bereits der Ausbund spannungsbefreiten Fließband-Pops, orientiert sich klanglich an Biebers letzten, bis zu "Purpose" zurückreichenden Veröffentlichungen, lahmt als elektronisches, minimal in Richtung Tropical House gehendes Duett der blassesten Art gewaltig. Der synthetisch-leblose Latin-Pop von South Of The Border ist zwar dank Camila Cabello um eine dunkle stimmliche Note reicher, die man nicht missen möchte, macht damit aber Sheeran umso unbedeutender und bringt irgendwann Cardi B. auf gänzlich uninspirierte, hölzerne Art in einen Song ein, der so schon weit davon weg ist, Atmosphäre aufzubauen, mit ihr aber noch steriler wirkt.
Auf der stilistisch entgegengesetzten Seite stehen das verhalten in Richtung Grime vorstoßende Take Me Back To London oder der kantig ausstaffierte Hip-Hop von Remember The Name. Beide zeigen deutlich, wie komplett deplatziert Ed Sheeran als Rapper ist, wie wenig er dort lyrisch zusammenbringt abgesehen davon, Muskeln spielen zu lassen, die er gar nicht hat, und wie sehr es ihm an wirklichem Flow mangelt. Also stolpert er durch beide Tracks, die durch ihre durchaus knackige Produktion und zumindest handwerklich ordentliche Auftritte von Stormzy und Eminem ordentlich aufgebessert und in passables Terrain gebracht werden. Selbst dieses passable Terrain ist jedoch, genauso wie es auch Cross Me ist, nur eine Verlängerung der Laufzeit, die sich grundsätzlich kaum rechtfertigen lässt, auch wenn man nicht unbedingt weghören will.
Gibt es Lichtblicke? Ja, aber nur unter der Bedingung, dass Sheeran sich tunlichst vom Rappen fernhält und generell dem für ihn offenbar unpackbar verführerischen Hip-Hop weniger nahe kommt. Opener Beautiful People ist dahingehend ein solcher Silberstreif am Horizont. Ein verdammt schmalziger, dessen Text auch nur mäßig über die Poserergüsse seiner Rap-Ausflüge zu stellen ist, dem aber immerhin ein stimmiger gemeinsamer Auftritt von Sheeran und Sänger Khalid geschenkt wird. Ein bisschen viel Melodrama kommt in deren Gesang zwar zur Geltung, doch für einmal spielt der bedächtige, zumindest versucht atmosphärische Synthpop den stimmlichen Stärken Sheerans entgegen. Dass er sie trotz über Gebühr strapazierten Soundeffekten auch ausnutzt, sei ihm hier fairerweise angerechnet. Das zweite Mitarbeitsplus bekommt er für Best Part Of Me, dessen romantische Dankbarkeit zwar zum fröhlichen textlichen Klischeebingo verkommt, gleichzeitig aber ein wirklich gelungenes Duett eines geschmeidig-verletzlich klingenden Sheeran und dem besten Albumgast, Sängerin Yebba, bietet. Dort, wo es plötzlich ums Singen geht, ist der dann wieder ein bisschen eher daheim, was es umso bizarrer macht, dass dem nur so wenig Platz eingeräumt wird. Abseits davon lässt sich lediglich noch 1000 Nights positiv herausheben, was zur Abwechslung mal wirklich eher Sheeran und weniger Meek Mill bzw. A Boogie Wit Da Hoodie als Gästen zuzuschreiben ist. Das geht aber auch nur dann, wenn man erst einmal ausklammert, dass Boi-1da als Produzent mit seinem Beat und der atmosphärisch-minimalistischen Umrahmung dessen die Hauptlast trägt.
Abseits davon gibt's noch weniger Lob zu verteilen. Stattdessen herrscht Fadesse hier wie da, werden banale Synthbrocken wie Feels und selbst eine versucht gefühlvolle Ballade wie Way To Break My Heart dank ihrer inspirationsfreien, leblosen Überproduktion zu Nägeln im Sarg, den sich Sheeran hier bastelt. Der größte davon kommt wohl mittendrin in Form des unerklärlich dämlichen Trap-Pop von Antisocial, das textlich wie klanglich ein kompletter Fehltritt ist und trotz oder gerade wegen der offensichtlichen Intention eines bedeutungsvollen Songs lächerlich wirkt. Dieses Prädikat verdient trotz eindeutig angenehmeren Klangs auch das finale Blow, das zwar mit durchaus passablem, bluesig-kernigem Riff ausgestattet ist, von Sheeran, Chris Stapleton und Bruno Mars allerdings gesanglich zu einer unfreiwilligen Hard-Rock-Parodie verzerrt wird. Hätte sich auch keiner denken können, dass so etwas passiert, wenn man diese drei in einen Song stopft...
Das Album ist nicht weniger angefüllt mit Leuten, die hier wenig verloren haben und zum personellen Beleg für die stilistische Sackgasse verkommen, in die sich Ed Sheeran wieder und wieder begibt. Er selbst schaut dabei selten gut aus, wirkt ähnlich deplatziert wie so mancher Gast, allerdings im Gegensatz zu diesen speziell in den unverhohlenen Hip-Hop-Minuten hauptsächlich wegen seiner limitierten Fähigkeiten als Rapper. Genauso bleibt er aber blass, wenn es darum geht, die gleichermaßen sperrige wie eigenschaftslose Musik gesanglich zu prägen. Aus diesem Dilemma wird er nur dann befreit, wenn man ihm einen fähigen Gesangspartner zur Seite stellt. Da das äußerst selten passiert, sondern stattdessen auf Synthetik, Hip-Hop und Latin gesetzt wird, verkommt "No. 6 Collaborations Project" zu einem veritablen qualitativen Flop. Einer, der absehbar war, wenn man sich die schier endlose Liste der beteiligten Akteure ansieht und dabei noch einen genaueren Blick darauf wirft, wieviele davon einen Credit als Produzent oder Engineer bekommen haben. Dementsprechend zerfahren und richtungslos klingt alles, während es dennoch uninteressant genug gestaltet wurde, um dann auch noch fad und ideenlos zu wirken. Hier wird also auf fast allen zur Verfügung stehenden Ebenen versagt.