von Kristoffer Leitgeb, 15.04.2017
Des singenden Erdapferls Suche nach dem gemeinsamen Nenner von Romantik und Verdruss.
Der Knollige Neuseeland-Rüsselkäfer ist akut vom Aussterben bedroht. Bestenfalls mäßigen Naturfreunden ist das üblicherweise sehr egal, vor allem weil sie erst in diesem Moment von der Existenz des Knolligen Neuseeland-Rüsselkäfers erfahren haben. Er lebt auch merkwürdigerweise auf Neuseeland und nicht im Wienerwald, daher nicht unbedingt auf unser aller Radar. Mit dem gemeinen Liedermacher ist das schon etwas anderes. Der stirbt auch aus. Singer-Songwriter nennt sich zwar schnell einmal einer, aber diese dem Wanderpredigertum Entstiegenen, die mit ihrer Gitarre auf den Spuren vom jungen Dylan oder Woody Guthrie wandeln, die sind verdammt selten geworden. Weil ihnen aber auch die Botschaft oft so wichtig ist, dass die Musik eher semimelodisches Beiwagerl bleibt. Und dann muss man schon die richtigen Worte finden, um zu enden wie Ludwig Hirsch und nicht wie der Typ vom nächsten Bahnhof. Von Südtirol aus hat auch Dominik Plangger die Bahnhöfe und Straßen der Welt besungen, nur um sich doch zum Studiomusiker zu entwickeln. So ganz dürfte die frühere Domäne aber noch nicht aus ihm draußen sein.
Wobei er musikalisch und gesanglich durchaus Töne trifft und damit für den Job als Straßenmusiker latent überqualifiziert ist. Ergo passt sein Liedgut schon zum LP-Format, allein schon wegen der durchaus ansehnlichen Kompositionen, die entgegen dem Image des textaffinen Akustik-Guitareros gar nicht so einförmig daherkommen. Variantenreichtum will man ihm deswegen zwar noch nicht bescheinigen, schon mit der Klarinette im schwarzhumorigen Der Lehrer - Ludwig Hirsch lässt tatsächlich kurz grüßen - ist aber das Damoklesschwert einer eintönigen Vorstellung kein Thema mehr. So bitterbös humorvoll erlebt man den Italiener leider nur dieses eine Mal, was aber den saufenden Tyrannen, der Schüler und Frau quält, umso wertvoller für das Album macht. Immerhin ist es auch die erste wirklich bissige Kritik am Status Quo, nachdem das eröffnende Als Ich Ein Junge War dem Albumtitel mit der Refrainzeile "Ich beginne alles zu hassen" vehement widerspricht und sich als melancholisches Stück mit Klavierbeteiligung zur idealen Einleitung für die folgenden Tiraden mausert.
Zu sagen hat der Plangger nämlich schon ein bisschen was. Über Gott und die Welt eigentlich. Netterweise weniger über Gott als sein bayrisches Pendant Hans Söllner, dafür mit verdammt vielen säkularen Sorgen. Dass Plangger alsbald wieder"was bewegen" will und damit selbst zum singenden Lehrer mutiert, lässt ihn ganz schnell, schon mit dem Lied Der Ungeliebten, quasi seiner Version von Schrei Nach Liebe, zum personifizierten erhobenen Zeigefinger werden. Latent präpotent mitunter, ein bisserl arrogant fast. Was wiederum weniger Kritik ist, denn die Natürlichkeit all dessen ist spürbar, in der Immigranten-Hymne Mein Freund, Der Afghane genauso wie im länglichen Kriegsmelodram Es Ist An Der Zeit, das dezente Erinnerungen an With God On Our Side wach werden lässt. Plangger macht sich mit fordender Direktheit seine Gedanken über den Lauf der Dinge, strapaziert damit zwar auch den einen oder anderen Nerv, holt sich seine Sympathien aber ganz schnell wieder dort ab, wo er Wut, Unverständnis oder wehmütiger Verzweiflung in seinen Songs freien Lauf lässt und klangliche Unebenheiten durch seinen inhaltlichen Fokus ungerührt übergeht.
Dominik Plangger ist also, wenn man es denn so formulieren darf, musikalisch wie gedanklich ein bodenständiger Typ. Das macht die Sache aber nicht nur besser. Mit seinen wenig prätenziosen Arrangements und den jegliche passende Metrik ignorierenden Texten - hier die schmerzliche Parallele zu Söllner - ist er nämlich so verdammt bodenständig wie ein Erdapferl. Und wir alle haben, da bin ich mir sicher, Erdapferl als Beilage in der ein oder anderen Form sehr, sehr gern. Aber kein Mensch würde sie als Lieblingsessen bezeichnen, selbst die nicht, die im Gegensatz zu Josef Hader doch Beilagenesser sind. Wie zäh die Geschichte durch diesen Mangel an Finessen und unerwarteten Wendungen werden kann, zeigen einem die meisten der romantisierenden Minuten in Planggers Repertoire. Das Dilemma beginnt schon damit, dass man ein Liebeslied Im Alten Stil in einer Zeit, in der das vermeintlich stärkste Gefühl von allen eh an jeder Ecke besungen wird, nur sehr bedingt braucht. Also man bräuchte es wie einen Bissen Brot, wenn es genial geschrieben wäre. Doch Planggers beharren auf das Hochdeutsche und die allzu herkömmliche Wortwahl laden weniger zum Schwelgen ein als nötig. Dieses Schicksal trifft Wieda Dahoam mit der Steel Guitar genauso und trotz erfrischendem Italienisch entkommt auch Piazza Grande den Fängen des Kitschs nur in begrenztem Ausmaß.
Da ist die Überraschung nicht groß, wenn sein Cover von Townes Van Zandts If I Needed You zur stärksten seiner
sentimentalen Darbietungen wird. Das ist nicht nur Planggers starkem Gesang, stimmlichem Understatement sei Dank, geschuldet, sondern vor allem auch dem äußerst gelungenen Streicherarrangement
als Begleitung. An anderer Stelle nützen ihm ähnliche klangliche Spielereien weniger. Weder der Ausflug in Richtung Country mit Wieda Dahoam und Unten Bei Den Dirnen - der Text
hilft nicht... - noch das akkordeongestütze Almlied kommen bestmöglich zur Geltung, wobei gerade letzteres in Kombination mit dem kernigen Tirolerisch Planggers das erfrischendste
Zugeständnis an offensichtliche musikalische Klischees ist.
Trotzdem gilt: Dieser Mann muss angriffig bleiben! Deswegen Ja zu Der Hennengeier, dem erhobensten aller Zeigefinger und dem offensivsten gesellschaftspolitischen Statement, das ihm auskommt. Dass er einem ausdrucksstarken Plädoyer gegen Nationalismus und Deutschtümelei die Militärdrums zur Seite stellt, soll als sein bester Griff in die Instrumentenkiste notiert sein. Dass er den Track kurz und bündig hält, jeden noch dazu mit der aus dem Nichts erklingenden Zeile "Bei vielen sitzt der Arsch viel zu nah an Kopf und Hirn" auf dem falschen Fuß erwischt, ist dazu das lyrische Pendant.
Wie das aber so ist mit der kurzfristigen Genialität, sie ist nicht sonderlich lang. Deswegen regiert rundum der Versuch, die passenden Töne für anklagende politische Statements und rührselige Romantik zu finden. Nicht immer mit durchschlagendem Erfolg, wobei das Gesamtpaket trotz aller Unzulänglichkeiten, die sich auf "Hoffnungsstur" offenbaren, ein konstant stimmiges ist. Im Einzelnen hat man es aber schwer, sich mit Dominik Planggers Authentizität zum Quadrat in jeder Form anzufreunden. Dafür wandelt der Südtiroler beim Textbau zu sehr auf den Spuren der Toten Hosen und musikalisch zu oft auf dem Kitsch-Weg. Verabschiedet er sich davon auch noch, dann ist bald nicht mehr die Rede von lauwarmen Erdapferl. Am End hat ja jeder das Zeug zum 1A-Schnitzerl.