Runter Mit Den Spendierhosen, Unsichtbarer!
Veröffentlichungsdatum: 20.10.2000
Rating: 5.5 / 10
von Kristoffer Leitgeb, 11.04.2019
Ein langer, mühseliger Kampf um den Witz und damit gegen die blasse Harmlosigkeit.
Ich wage mich zu behaupten, dass es eine Fehleinschätzung ist, dass Leute keine Wiederholungen mögen. Tatsächlich schauen sich viele von ihnen Filme mehrmals im Kino an, geben sich den x-ten Rerun geliebter Sitcoms, wählen immer mal wieder sehr ähnlich gepolte, jenseitige Gestalten in politische Machtpositionen und halten oft auch ihren Lieblingsmusikern über viele Jahre die Treue, obwohl oder gerade eben weil sich nicht viel verändert. Warum auch nicht? Beständigkeit hat ihre guten Seiten, vor allem wenn sie einem qualitativ Hochwertiges erhält oder in regelmäßigen Abständen wiederbringt. Insofern sei es auch mir erlaubt, in längst vergangener Zeit geschriebene Reviews inhaltlich aufzuwärmen, um wieder einmal mehr recht als schlecht ein Ärzte-Album auf seine Essenz herunterzubrechen. Denn die Essenz, sie ist eigentlich immer ein und dieselbe, zumindest seitdem das Trio infernal in seiner bis heute erhaltenen Form zusammengefunden hat. So bricht auch das neue Jahrtausend bei den Deutschen an, wie das alte geendet hat, nur schwächer als davor. Business as usual für die Besten der Besten der Besten unter allen Bands der Welt.
"Runter Mit Den Spendierhosen, Unsichtbarer!" hält sich folglich nicht mit der Neuerfindung des Rades auf, sondern tut vom ersten Song an sehr viel dafür, dass man in den Ärzten vor allem die Ärzte erkennt. Das ist nett, weil Bela, Farin und Rod soweit sehr gern gehört sind, insofern schmerzt es nicht, wenn eine Albumeröffnung so klingt wie Wie Es Geht, auch wenn man trotz starker klanglicher Umsetzung eher überraschungsfreien Pop-Punks ein bisschen auf das wartet, was den Track aus der beachtlichen Masse an Ärzte-Liedern irgendwie hervorheben könnte. Abgesehen vielleicht davon, dass an der Gitarre passabel gearbeitet wird, sogar die bitter notwendigen Tempowechsel mit souveräner Prägnanz runtergespult werden, ist es ziemlich sicher nichts. Die Leadsingle, sie führt also eigentlich ins Nirgendwo. Ein ziemlich gut klingendes ist es zwar, allerdings auch nicht mehr. Und das ist besorgniserregend, weil die Band mit hoher Wahrscheinlichkeit auf jedem Album humoristisch daneben gehaut hat, allerdings die Zurschaustellungen ziemlicher textlicher Fadesse in den 90ern selten waren.
Nun bietet die Leadsingle genau das und ob man es nun gern hört oder nicht, die übrigen Songs folgen in überwiegender Zahl diesem Vorbild. Der Unsichtbare, er besitzt auch einen schwer zu erkennenden Humor, was weiter nicht verwundert, wenn wieder einmal Rod versuchen muss, irgendetwas Herzeigbares aus sich herauszuholen und fader Pop-Rock wie Kann Es Sein? und der wenigstens deutlich kantigere und besser klingende, aber trotzdem inhaltsleere härtere Rock von Mondo Bondage dabei herauskommen. Das gehört mittlerweile einfach dazu, dass Tracks mit Rod am Mikro einfach verzichtbar sind, gleichzeitig dort aber musikalische Kompetenz zum Vorschein kommt, die sich rundherum nicht immer diagnostizieren lässt. Schwerer wiegt allerdings so oder so, dass sich auch das Fazit zur Arbeit von Farin und Bela öfter als auf den Vorgängern zu einem unbeeindruckten Naja komprimieren lässt. Die schon neunte LP der Band ist natürlich keine musikalisch homogene Masse, doch die klanglichen Überraschungen sind eine Seltenheit geworden, ein trockener, aber mäßig dynamischer und kaum einmal mit Besonderheiten aufwartender Rock dominiert das Gros der Tracklist. Entsprechend entgeht man locker den schlimmsten musikalischen Verbrechen früherer Tage und schafft es, sich auf der Ebene ziemlich schadlos zu halten. Gleichzeitig plätschern zu viele Minuten akzentarm dahin, sodass Der Optimist, Gib Mir Zeit oder das in Richtung müden New-Wave-Pop wegbrechende Rock 'n' Roll Übermensch an einem vorbeiziehen, ohne dass man viel von ihnen mitbekäme. Das ist insofern neu, als dass man noch ein halbes Jahrzehnt davor sicher sein konnte, ein Album der Ärzte wird ein erratisches Gezerre zwischen humoristischer Grenzgenialität und unerträglichen Geschmacksverirrungen sein, nur dass ersteres öfter zu hören war.
Hier bekommt man beides nicht wirklich. Was nicht bedeuten soll, man würde mit leeren Händen dastehen. Wir alle wissen, auf wen man sich zu verlassen hat, wenn es darum geht, einem solchen Album Höhepunkte beizusteuern. Schwächen zum Trotz, erledigt Farin den Job auch hier. So geradlinig es musikalisch ist, so großartig ist nämlich ein Song wie Ein Sommer Nur Für Mich textlich als philosophischer Exkurs mit der schwierigsten aller Fragen: "Scheint denn die Sonne auch für Nazis?" Während ihm damit ein genialer Refrain gelingt, der mehr ins Ohr geht als ein Dutzend andere Songs auf dem Album es zusammen könnten, ist natürlich auch mit einem stilistischen Ausflug seinerseits zu rechnen. Onprangering heißt er, zelebriert Low-Key-Monotonie mit leicht karibischem Charme auf rhythmischer Front, setzt voll auf vielfältige Percussion, deren Rampenlicht nur dann dezimiert wird, wenn ein paar bluesinfizierte Gitarrenakkorde zum Solo werden. Dazwischen und damit auf textlicher Ebene spielt allerdings die wirkliche Musik, die anno 2019 und damit in Zeiten sicherer moralinsaurer Shitstorms bei jeder zweiten dämlichen Werbung umso genialer klingt:
"Und das prangere ich an, das find ich wirklich unerhört
Ich bin entsetzt, ich bin empört, weil irgendjemand mich zerstört
Und das prangere ich an
Und das prangere ich an, das find ich überhaupt nicht gut
Lepra, Tripper und Skorbut - ich bin dagegen, absolut
Und das prangere ich an"
Man nehme zusätzlich noch das Up-Tempo-Westerndrama N 48.3 mit, das sich den Leiden eines notgeilen Frauenjägers auf der erfolglosen Suche nach dem Glück annimmt, dazu eine erneute Weltverbessererparodie mit dem unheilschwangeren Vegetarier-Epos Baby und es schaut zumindest einmal die Bilanz eines Bandmitglieds ganz ordentlich aus.
Bela dagegen prolongiert auf schwierigerem Niveau das, was er auch die Jahre davor anzubieten hatte: Höhen und Tiefen. Seine elendiglich leblose Liebesschnulze Dir ist der klare Tiefpunkt der LP, auch wegen der Absenz jeglicher musikalischen Anziehungskraft. Selbige hätte eigentlich Rock Rendezvous, genauso wie auch die eine oder andere starke Zeile, was nichts daran ändert, dass der lockere Rocker daran scheitert, dass die Ergüsse zur Sehnsucht nach bandinternen Liebesspielen gleichzeitig uninteressant infantil und ziemlich widerlich sind. Wer einen Lichtblick will, muss da tatsächlich auf Rod warten, seinen humoristischen Höhepunkt dort findet, wo er im finalen Refrain die von Farin und Bela gesungene Zeile "Denn es fliegt ruck-zuck aus der Band, wer nicht mit Vorgesetzten pennt" mit den glorreichen Worten "Na wenn das so is, ruf ich sofort die Hosen an!" unterbricht.
Was Bela allerdings wirklich einigermaßen herausreißt, ist einerseits der textlich unterwältigende, musikalische aber skurrilerweise verdammt gut anklingende New-Wave-Rock von Leichenhalle, andererseits natürlich der Song mit dem legendären Video, Manchmal Haben Frauen.... Nicht nur, dass er sich da vor der Linse zusammenschlagen lässt, auch die Musik dazu gefällt, weil das musikalische Understatement an der Rockfront perfekt ausgenutzt wird, um es durch wohlplatzierte Streicherpassagen zu ersetzen. In der Rückschau bleibt es einer der wenigen Momente - irgendwo dort, wo auch Die Banane zu finden ist -, in denen er eines seiner melodisch simplen Lieder mit einem wirklich starken Arrangement glänzen lässt.
Klingt doch schon wieder ganz gut, oder? Nix da, "Runter Mit Den Spendierhosen, Unsichtbarer!" ist zwar einerseits ein typisches Ärzte-Album, andererseits gehört es in der Kategorie aber ziemlich sicher nicht zu den stärksten seiner Art. Dafür mangelt es zu sehr an überraschenden Ideen, an Dynamik, an lyrischem und musikalischem Witz, letztlich auch schlicht und einfach an Energie. Ein bisschen zäh ist die LP dementsprechend geraten, was sicherlich auch daran liegt, dass das Trio immer noch unbedingt die Stundenmarke anvisieren muss, anstatt einmal die Tracklist ein bisschen auszumisten. Ohne ein derart zurechtgestutztes Album sind die Pausen zwischen den in ihrer Zahl überschaubaren Treffern zu lang, als dass man nicht ein bisschen gelangweilt wäre. Und nicht nur das, auch die Rettungsanker sind trotz hohem Unterhaltungswert nicht mehr die legendären Minuten, die es noch auf "Planet Punk" gegeben hat. Ein bisschen lauwarm eben, die ganze Sache, allerdings gerade nicht genug, um wirklich enttäuscht zu sein.