von Mathias Haden, 15.05.2014
Am zweiten Longplayer trauen sich die Berliner nur allzu selten aus den eigenen Schatten.
Viele Jahre bevor uns die drei Hobbymediziner Bela B, Rod Gonzalez und Farin Urlaub mit Hit um Hit bombardierten, zumindest mir aufgrund ihrer Omnipräsenz auch des Öfteren schwer auf die Nerven fielen, aber immer wieder für kurzweilige und humorvolle Minuten gut waren, befand sich die selbsternannte beste Band der Welt schon auf der großen Mission, den Deutschen ein bisschen Witz einzuimpfen. Wir befinden uns im Jahr 1985, nicht lange nach dem Release des gelungenen Debüts Debil. Nun ja, zumindest der infantile Humor späterer Veröffentlichungen war noch nicht so ausgeprägt und die Rekrutierung von Rod noch in weiter Ferne. Der Dritte mit im Bunde und am Bass hieß Hans Runge, Freunde dürfen ihn 'Sahnie' nennen.
Die zweite LP der Berliner Kultrocker bildet irgendwie das schwarze Schaf in der Diskographie. Da findet sich kein bekannter Song wie Westerland oder Geschwisterliebe der Achtziger-Alben. Und was ist schon ein Ärzte-Album ohne Knüller, ohne Ohrwurm, ohne Kontroverse.
Im Gegensatz zum Debüt, das in Windeseile eingespielt und selbst produziert wurde, bedient sich die Band bei gängigen Produktionstechniken (plus Produzenten) und erweitert ihren Sound um einige New Wave-Facetten. Dies äußert sich auch in dem Umstand, dass Bela B. nur auf einem Track (dem wilden Käfer) selbst am Schlagzeug sitzt, der Rest wurde programmiert. Leider wirkt sich das alles nur selten positiv auf die Musik aus. Der Industrial-Rock vom schwachsinnigen Rennen nicht laufen! oder der unsägliche Quatsch im banalen Alles ("Ich will alles, du hast mich verrückt gemacht / Ich will alles, und ich will es heute Nacht / Ich will alles, ich will alles von dir / Ich will alles – gib es mir"), sind nicht nur schwache Songs, mit der unguten 80er-Produktion purzeln sie gleich noch eine Etage tiefer.
Ausnahmen bestätigen Gott sei Dank wie meistens die Regel. Die positivste Kreation scheint der Ärzte-Konzerte-Dauerbrenner Buddy Holly's Brille, das mit hübscher Melodie und witzigem Text zwar alles andere als Punk darstellt, dennoch die beste Komposition der LP bildet. Weitere Lichtblicke sind Opener Du willst mich küssen, dem wohl bekanntesten (aber vergleichsweise immer noch ziemlich unpopulären) Track, der mit seinem starken Bassrhythmus (angeblich nicht von 'Sahnie') punktet oder die obligatorische 'Bela B widmet sich seinem besten Freund Graf Dracula'-Adaption, diesmal in recht gelungener Manier, mit Dein Vampyr. Ach ja, und bitte nicht vergessen, Ich weiß nicht (ob es Liebe ist). Nicht gerade der beste Song, den die drei Spitzbuben ausgearbeitet haben, über Zeilen wie:
"Ich weiß nicht, ob es Liebe ist
Wenn man alle Frauen nur an einer misst
Wenn man an eine denkt und eine andere küsst
Ich weiß nicht, ob das Liebe ist
Ich weiß nicht, ob es Liebe ist, ich weiß nicht, ob es Liebe ist
Wenn man beim Pinkeln ständig nebens Becken pisst"
muss man jedoch einfach mal beherzt schmunzeln können.
Das war es aber dann schon mit den verhaltenen Lobpreisungen. Abseits der gelungenen und okayen Zusammenstellungen gibt es nämlich noch die letzte Kategorie, die sich auf Im Schatten der Ärzte eingenistet hat: die Totalversager. Was haben wir denn hier anzubieten? Das dusselige Die Antwort bist du, das neben nichtssagendem Text auch musikalisch wenig vorweisen kann und das oben bereits erwähnte Alles, das man bereits nach wenigen Sekunden genervt skippen will. Getoppt werden diese beiden Armutszeugnisse nur einmal, dafür mit eindrucksvollem Vorsprung. Dann nämlich, wenn sich everybody's darling 'Sahnie' hinters Mikro schwingt, ja, dann ist Schluss mit lustig. Den miesen Text (dem einzigen Input vom sahnigen Helfer) kann man, wie viele andere im opulenten Repertoire, gerade noch verschmerzen, das grottige Schlagzeug ebenso, aber in Kombination mit dem unbeholfen Trällern vom dritten Mann ist das für die Gehörgange giftiger als ein Fliegenpilz in Quecksilbersauce. Und wenn dann das Fade-Out einsetzt und die Verspannungen beginnen, sich langsam zu lösen, dann - nun dann - kommt direkt im Anschluss das halbminütige Wie ein Kind (Reprise). Oh weh...
Mit ihrer zweiten LP festigten die Ärzte ihre Position als ernst zu nehmender und wesentlich humorvollerer, sympathischerer sowieso, Gegenspieler zu den Toten Hosen. Und auch wenn die Dynamik des Debüts kurzfristig wieder abhanden gekommen scheint, blitzt auch auf diesem, möglicherweise (fühl dich ruhig angesprochen, auch!) schwächstem Longplayer der Band das Talent des Trios auf. Glücklicherweise konnte man sich kurz darauf des wenig produktiven Hans Runge entledigen und einer positiven Zukunft entgegenblicken. Nein, ein kreativer Erguss ist Im Schatten der Ärzte wahrlich nicht geworden, aber ein wichtiger Zwischenschritt in der Entwicklung von Farin und Bela. Somit gilt das Übliche: Ein Must-Have für Fans, Punk-Fetischisten und New-Wave-Miesepeter sollten allerdings die Finger davon lassen.