von Kristoffer Leitgeb, 30.01.2016
Ein vor Kraft strotzendes Comeback als rockiger Höhepunkt des zweiten Lebens.
Ärzte sind voll cool! So etwas muss man sagen, einfach nur für den Fall, dass man mal im OP landet und einer von denen mit dem Skalpell an und in einem herumfuhrwerken darf. Da braucht es entsprechende Vorsichtsmaßnahmen, also nochmal: Die im weißen Kittel, die haben's drauf. Gut, wenn sie zur Visite heranschreiten oft nicht mehr so und Krankenhausrechnungen relativieren auch einiges und natürlich gibt's diese Doktoren, bei denen man lieber nochmal nach dem Diplom fragt, bevor man sein OK zur Behandlung gibt, und eigentlich will man ihnen auch dann nicht trauen und freundlich sind auch nicht viele. Scheiße, so wird das nichts beim nächsten offenen Bruch, ich bin geliefert...
Aber DIE Ärzte, die sind cool. So etwas muss man sagen, einfach weil die genug Geld für ordentliche Anwälte haben. Allerdings auch wegen der Musik. Wenn man nämlich auf MusicManiac bisher den Eindruck haben konnte, die beste Band der Welt würde nicht ausreichend gewürdigt, dann lag das bestenfalls an den reviewten Alben. Das hat jetzt ein Ende, die Bestien sind erwacht!
Zwei Jahrzehnte später sind sie auch schon wieder relativ eingeschlafen, aber damals war ja eine andere Zeit. Eine härtere vor allem, soviel lässt zwar weniger der Fünf-Sekunden-Kracher Inntro, dann aber doch eher Schrei Nach Liebe erahnen. Dieser zum Evergreen gewordene Rockerguss, wir alle kennen ihn, die allermeisten finden auch ausreichend Gefallen daran. Das hat Gründe, namentlich einen zündenden Riff mit artverwandtem, am Metal andockendem Solo, das textliche Genie, das in der Anti-Nazi-Hymne zum Ausdruck kommt, und natürlich der latente Energieüberschuss, den die jahrelange Pause offensichtlich verursacht hat. Daraus wird auch dank idealer Produktion und überraschend gut harmonierendem Streicherauftritt sehr viel, nämlich ein rechtmäßiger Klassiker.
Solcherlei hatte die Band eigentlich sowieso fast immer auf Lager, nur mit dem Albumformat konnten sie sich nie so wirklich anfreunden. Zumindest kann man kaum davon reden, dass allem, was nach
dem 93er-Jahr kam, das Überschreiten der Stundengrenze gut getan hätte. "Die Bestie In Menschengestalt" geht mit künstlerischem Müll aber weit sparsamer um als spätere LPs. Trotzdem ist man, wie
könnte es auch anders sein, nicht immer ganz vom Songkonzept überzeugt. Lückenfüller gibt es, vor allem die etwas biedere Abschiedsnummer Für Uns trifft dieses Schicksal. Aus Belas in
ziemlich sonnigen Up-Tempo-Rock getunktem Schmachten wird in puncto Atmosphäre gar wenig, auch weil man von einer emotionalen Performance meilenweit entfernt ist. Bei Dos Corazones lässt
sich das nicht behaupten, allerdings nur, weil man keine Ahnung hat, worum's in Rods erstem Gesangsauftritt eigentlich geht. Spanisch müsste man halt können. In Anbetracht seiner oft bedenklichen
lyrischen Anwandlungen späterer Auftritte kann man darüber aber vielleicht sogar froh sein, denn musikalisch kann der Song mit seinen stolz präsentierten Metal-Riffs doch ein bisschen was, auch
weil der lockere Refrain einen starken Kontrast abgibt.
Wirklich weghören sollte man eigentlich nur beim Omaboy. Nennen wir es mal Ballade, das Ding. Also: Die Ballade enthält einige dieser bedenklichen Zeilen, für die man Bela B. über die
Jahre zu hassen gelernt hat - auch wenn er das immer wieder an anderer Stelle mit starken Auftritten abwendet. Es gibt keinen Grund, über dessen Vorliebe für greise Damen Bescheid wissen zu
wollen, eigentlich würde man diesem Wissen doch gerne entkommen. Die Akustikgitarre und Blues-Riffs im Hintergrund machen das nur noch schwieriger.
Weg damit und sofort her mit der nötigen Rehabilitation des Drummers. Mit Dem Schwert Nach Polen, Warum René? reicht da ganz sicher. Genialer Humor paart sich mit der großartigen Mischung aus folkigen Strophen und starkem Pseudo-Metal, dazu kommt die vielleicht beste Vorstellung von Bela als Sänger. Zwischen die stark gesungenen ruhigen Strophen und den späteren stimmlichen Kraftakt drängt sich dazu noch wohlklingende weibliche Unterstützung und schon hat man ein Karriere-Highlight. Ähnlich, nur noch ein bisschen 'highlightiger' gerät Kopfüber In Die Hölle, das sich überhaupt gleich zum besten Ärzte-Song aller Zeiten aufschwingt. Das ist perfekter Punk, ideal akzentuiert mit den großartigen Akkorden an der Akustischen und befeuert von den schlagkräftigsten, weil hoffentlich ernst gemeinten, Zeilen der Band:
"Revolution - wir wollten weg von der Masse
Kopfüber in die Hölle und zurück
Heute stehst du für alles, was ich hasse
Da ist keine Sehnsucht mehr in deinem Blick
Du sagst: 'Man tut halt, was man kann.'
Und Dir geht's gut, du kotzt mich an"
Drei absolute Top-Songs auf einmal, das hat schon was. Dieser Satz steht allerdings nicht umsonst da, mehr von der Sorte gibt es nämlich ehrlich gesagt nicht mehr. Der Ofen ist zwar noch lange nicht aus, die konstante Stärke des Rests hat aber zumindest ein bisschen etwas von Sparflamme. Macht nichts, Schopenhauer geht auch so. Inmitten poppiger Riffs und einem lockeren Allerweltstrack schüttelt die Band nämlich mit einem schlicht genialen 'Niveau-Anfall' eine Reihe namhafter Philosophen aus dem Ärmel, verarbeitet sie zu einer eigentlich undefinierbaren Rhythmus- und Stimmdemonstration. Dabei tritt auch einer der großen Vorzüge des Albums zu Tage, nämlich die offensichtliche Fähigkeit der Band, kleine Ideen zu kleinen Happen zu formen, sie nur ja nicht totzuspielen. Deswegen nimmt man die Fanta 4-Parodie FaFaFa genauso gerne mit wie Belas Deutschrockgirl, das zur punkigen Abrechnung mit dem vielleicht gar nicht so ungeliebten Genre wird. Beide sind in weniger als zwei Minuten abgehandelt, ohne dabei irgendwie unfertig zu wirken. Bei Gehirn-Stürm darf es auch länger dauern, Bela klingt nämlich im merkwürdigen Dancehall-Gewand besser, als man erwarten sollte.
Irgendwie fehlt bei all dem bisher der Allerschürfste, natürlich Farin Urlaub. Der macht sich die längste Zeit vor allem durch souveräne Auftritte am Instrument bemerkbar, beweist allerdings auch mit den Tango-, Ska- und Klezmer-Klängen von Die Allerschürfste wieder einmal, wie gut seine Experimente ausgehen können, genauso wie er mit dem punkigen Quark ordentliche Politkritik anbringt, allein weil Edmund Stoiber in einem Song über inhaltsleere Politikerkommentare ein absolutes Muss ist.
Was lernen wir daraus? Nichts eigentlich, aber immerhin ist die Qualität der großen Comeback-LP der Ärzte hiermit hinreichend belegt. "Die Bestie In Menschengestalt" bietet fast alles, wofür man die Band immer schon mögen konnte, nur insgesamt weit eher im Rock und Punk verwurzelt als alles, was nachher kam - natürlich auch "Planet Punk" -, und weit besser in die Praxis umgesetzt als so ziemlich alles, was vorher kam. Kleine Dellen muss man zwar in Kauf nehmen, doch in puncto qualitativer Konstanz steht das Album allein an der Spitze der Die Ärzte-Diskographie. Aber was sagt uns das jetzt eigentlich über die anderen Ärzte, diese elendigen Kurpfuscher?
Anspiel-Tipps: