von Kristoffer Leitgeb, 22.05.2020
Eine halbe Klassikersammlung, deren spartanisches Antlitz Größeres verhindert.
Hach, die Ärzte. Lang, lang ist's her. Nicht, dass es sie nicht immer noch gäbe. Allerdings existiert das Dreigestirn heute so ziemlich ausschließlich in der für erfolgreiche, lange etablierte Rockbands gewohnten Form, also um mit jeder neuen LP in den Charts ganz vorne zu landen, während sich dann für die Musik selbst nicht mehr so wirklich interessiert wird. Ist auch besser so, in Anbetracht dessen, wo die Deutschen mit "auch" angekommen sind. Ein strikt nostalgischer Blick auf die guten, alten Tage ist jedoch auch nur bedingt möglich, weil die Band in den 80ern, genauso wie eigentlich über ihre ganze Karriere hinweg, eher einen qualitativen Fleckerlteppich hinterlassen hat, bei dem sich Höhen und Tiefen pausenlos abwechseln und man nicht weiß, wohin das Pendel wirklich ausschlägt. Im Gegensatz zur Minimierung dieses Phänomens in den so ertragreichen Comebackzeiten der 90er, sieht man sich beim Debüt noch durchgehend mit diesem ständigen Auf und Ab konfrontiert. So ist "Debil" ein sympathisch amateurhaftes Durcheinander, aber eben auch ein anstrengend amateurhaftes Durcheinander.
Keine Frage, um eine kurze Lobhudelei wird man nicht herumkommen. Denn das Erstwerk der Ärzte hat sich zwar damals tunlichst aus den Charts ferngehalten, so mancher Song hat allerdings mit Recht die Jahrzehnte überdauert. Nicht nur der schamlose Schockmoment Claudia Hat 'Nen Schäferhund, der den Hund zum liebsten Sexspielzeug - zumindest von Claudia - erklärt, auch eines der in der Neuen Deutschen Welle verhaftete Zu Spät, der poppig-punkige lyrische Höhepunkt Paul oder das finale Schlaflied, ein weiterer Baustein zur Indexierung. Im Gegensatz zum ungleich blasseren Nachfolger "Im Schatten Der Ärzte" geizt das Debüt also sicherlich nicht mit erinnerungswürdigen Minuten. Dass die Qualität der Aufnahmen, die spartanische Machart und die jeglichen Verfeinerungen entsagende Soundkulisse gleichzeitig dafür sorgen, dass auch die treffendsten Momente des Albums kein Hörvergnügen so mancher 90er-Perlen hergeben.
Macht erst einmal nichts, weil der Ärzte Theme durchaus dazu geeignet ist, sich auch als knackiges Instrumental ins Ohr zu graben, weil Farins trockene Gitarrenarbeit im Paarlauf mit Sahnies Bass ein paar starke Akkorde, kratzigen Sound und den nötigen Groove ausspuckt. Alsbald hört man aber die kleinen Schwächen inmitten der Stärken. Während die tonlose Gesangsperformance von Paul nur zum Humor der Ode an den Bademeister beiträgt, vertrüge Zu Spät dominantere Stimmen, die sich auch ein bisschen mit unterschiedlichen Tonhöhen vertragen. Die Abstecher in den Wilden Westen mit El Cattivo und Micha gelingen dagegen klanglich stark und sind die Urformen der so vielen erstklassigen Ärzte-Genreparodien, lassen aber textlich und in puncto Abwechslungsreichtum etwas zu wünschen übrig, fühlen sich dadurch auch mit nur um die drei Minuten Länge schon ein bisschen eintönig an. Und Claudia Hat 'Nen Schäferhund? Nun, dem etwas vorzuwerfen, fällt ob der mitsamt Paul ersten, sicher noch ausbaufähigen Zurschaustellung Urlaub'scher Genialität im Textbau etwas schwierig. Es hat aber nicht lange gebraucht, bis das Trio - wobei dann schon ohne Sahnie - mehr Gefühl für ein paar klangliche Nuancen entwickelt hat, die Claudia wohl in die Top 10 der Ärzte-Kompositionen katapultieren hätte können. So bleibt schon hier nur Platz 2 im Duell der Albumhöhepunkte.
Dennoch sprechen wir da von qualitativen Abstrichen, die kaum das Kraut fett machen. Viel eher stört einen da schon, dass man sich wieder und wieder mit Banalitäten und schlichten stilistischen Fehlgriffen abfinden muss, die den Fluss der LP nachhaltig stören. Schon der heimliche Opener Scheißtyp hat nichts auf seiner Seite außer der Energie einer druckvollen Liveversion, die notdürftig verdeckt, wie banal und störrisch der Song eigentlich ist. Bela B. hat damit und auch mit seiner mauen, ersten Exkursion ins Horror-Genre, Frank'n'stein und dem akzentfreien Surf Rock von Mr. Sexpistols ohnehin gewohnt wenig vorzuweisen. Noch dazu ist er an dem jenseitig schnulzigen und textlich unterirdischen NDW-Kitsch von Kamelralley tatkräftig beteiligt, auch wenn die von Sahnie stimmlich in den Abgrund gerissen wird. Abseits von Farin springt also wieder mal wenig heraus, wobei auch der mit Mädchen und Schlaflied zwei Songs zusammengebracht hat, die zwar unter Fans Klassikerstatus genießen, außer fad-süßlichem Deutschrock und einer länglichen, von mühsamen Sounds verunstalteten Persiflage aber nicht so wahnsinnig viel darstellen. Etwaige nostalgische Anflüge ausgenommen.
Und trotzdem überwiegt ultimativ der sympathische Teil des Albums. "Debil" kann wahrscheinlich nicht als stilsicher, schon gar nicht als ausgereift, durchdacht oder sonderlich vielschichtig angesehen werden. Die große Leistung der Ärzte in allerjüngsten Jahren ist es, dennoch eine Handvoll Klassiker in die Tracklist zu mischen, von denen ein paar wirklich den Test der Zeit bestehen. Am ausbaufähigen klanglichen Gesamtbild ändert das zwar nichts, sehr wohl aber am kurzweiligen Spaß, den die LP oft genug zu bieten hat. Denn das bisschen Chaos und die spürbare Naivität sind nicht nur Hemmschuhe, sondern können auch etwas dazu beitragen, dass vor allem die lockeren, mit dem nötigen Drive runtergespielten Songs ihren schrägen Charme bekommen. Der war einer der Trümpfe der Band auch in ihren besten Tagen und hat seinen Ursprung in so manchem hier zu hörenden Angriff auf die Ohren und Lachmuskeln, auch wenn dieser durch musikalische Verirrungen der poppigsten Art nachhaltig gestört wird. Selbst diese Ausfallserscheinungen verhindern ein passables Gesamtpaket nicht. Dass man nämlich auch musikalisch ein bisschen etwas mitnehmen wird können, weiß man ohnehin schon nach einer halben Minute.