Die Ärzte - auch

 

auch

 

Die Ärzte

Veröffentlichungsdatum: 13.04.2012

 

Rating: 2.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.09.2016


Ist das noch irgendwas?

 

Wir alle kennen sie, diese Tage, an denen wenig bis gar nichts läuft. Auf allen Ebenen, welche auch immer man jetzt speziell in den Fokus rücken will. Vielleicht häufen sich diese Tage im Alter ein wenig, andererseits gibt es genug Gegenbeispiele. Richard Lugner hätt es immerhin noch fast zum Bundespräsidenten gebracht, obwohl er doch nicht mehr der Jüngste ist. Und ein anderer, der ähnlich viele Lebensstunden verbraucht hat, wird's vielleicht gar wirklich noch. Es geht also noch einiges, wenn man nur will. Möglicherweise ist gerade das das Problem mancher Musiker, wenn sich plötzlich diese Tage, an denen wenig bis gar nichts läuft, häufen wie sonst nur die Termiten im Holz. Das Unheil nimmt so seinen Lauf und ganze Jahre vergehen, ohne dass von so etwas wie Inspiration wirklich die Rede sein könnte. Die Ärzte haben für "auch" fünf Jahre gebraucht. Es dürften verdammt viele verlorene Tage gewesen sein.

 

Was besonders mürbe klingt, weil bereits der Vorgänger "Jazz Ist Anders" eigentlich zermürbend war. Doch der sehr unjazzige Auftritt hatte seine Momente und immerhin auch eine reichhaltige Palette an Soundwechseln im Angebot. Letzteres ist ja eigentlich einer der Rettungsanker selbst für Ärzte-LPs, die sonst wenig tun, um ihr Dasein zu rechtfertigen. Und so könnte man auch im neuen Jahrzehnt vorsichtshalber dort ansetzen, um den 16 Songs nicht gleich Unrecht zu tun. Doch diesmal lässt das Trio infernale endgültig fast jeden Charme vermissen, jede Idee ist weit weg, kein Witz griffbereit. Das Album ist ergo ein Haufen kaum beschreibbarer Fadesse. "auch" tönt gleichermaßen zahm, wie es nach einem Auftritt mit Brechstange klingt. Ist Das Noch Punkrock? lautet die einleitende Frage und abgesehen von der weisen Entscheidung, sich billiger Kritik gleich einmal offensiv selbst zu entledigen, erscheinen einem die so hoffnungerweckend betitelten drei Minuten bieder genug, um beinahe an einen externen Songwriter zu denken. Kann Farin Urlaub so etwas schreiben?

 

Nun ja, er kann. Er konnte es auch früher, wir wollen die Fauxpas der längst vergangenen Dekaden nicht aus dem Auge verlieren. Aber allzu selten war die Band an einem Punkt, wo sie sich eingestehen musste, dass ein solcher Pop-Rock-Opener mit leichtem Garage-Anstrich mit zum besten zählt, was die Tracklist hergibt. Die trocken ausgespuckten Riffs überdauern trotz eines fantasielosen, lauen Refrains Durchgänge, bei denen andere Songs schon längst die Segel streichen mussten. Es krankt an allen Fronten. Die musikalische Lethargie, die aus banalen, mit Synths vermeintlich verstärkten Rockern wie Bettmagnet oder Fiasko spricht, überträgt sich in ungeahnter Schärfe auf die textliche Ebene, die ehedem zumindest noch bei Farin ein Garant für den ein oder anderen Lacher war. Schon die Themen - Fernsehsucht und Aufriss-Nervosität, wirklich? - ermangeln allem, was Interesse wecken und Esprit vermitteln könnte. In einem Wort klingt fast alles lahm. Hier hört man ein Dreigespann, dem das Gefühl für Ironie komplett verloren gegangen ist, dem auch jegliche Energie ausgesaugt worden sein dürfte. Zu keinem Zeitpunkt rechtfertigt irgendetwas die Länge der LP. Wenn man über sich selbst befindet "Wir kümmern uns um den Rock", das gleichzeitig mit grässlicher Synth-Hook unterlegt und drumherum auf Sparflamme Gitarren sprechen lässt, dann kann niemand erwarten, dass das ähnlich lang dauern darf wie der Grotesksong. TCR darf das einfach nicht, auch wenn man dem Track immerhin ein Finale verliehen hat, das mit erfrischendem Genre-Hopping punktet und so kurz das in Erinnerung ruft, was früher eine ganze Stunde beleben konnte.

 

Diesmal will man eigentlich nicht mal auf die Uhr schauen, es könnte noch zu lange dauern, als dass wirkliche Erleichterung zu erwarten wäre. Für dieses Fazit muss aber gar nicht alles schrecklich sein. Das ist nicht der Fall. Aber Das Darfst Du oder Freundschaft Ist Kunst sind so Songs, die in ihrer uninteressanten, ungepfefferten Manier der Sargnagel für eine LP sein können, wenn sie im Rudel auftreten. Bela B. wirkt gesanglich mitunter so desinteressiert, dass man ein bisschen Zweifel daran hat, ob ihm die Aufnahmen wirklich noch irgendetwas gegeben haben. Und dann sind das noch dazu so uniforme, kantenlose Stückerl. Es gibt Bands, die können sich das leisten, diese hier kann es nicht. Ohne ihm zunahetreten zu wollen, muss man auch anmerken, sie kann sich auch Rod nicht mehr wirklich leisten. Es ist ihm nicht anzulasten, dass er kaum singen kann, darin unterscheidet er sich wenig von seinen Kollegen. Doch Tamagotchi, Angekumpelt und Die Hard sind so bedenklich und fast schon schmerzhaft schlecht getextet, dass man keinen Zugang mehr dazu findet, wie diese Zeilen entstanden sein könnten:

 

"Tamagotchi, Tamagotchi
ich fühl mich desolater
meld dich doch bei deinem Vater

Tamagotchi, Tamagotchi
wir müssen echt mal wieder speaken
du bist doch mein kleines Küken"

 

Wer sowas textet, ich mein, da hast nicht mehr alle beieinander normalerweise. Kein Poesiealbum der Welt gäbe solchen Schrott her, selbst wenn es einer in Hello Kitty verliebten Achtjährigen gehören würde. All das wäre ja noch verständlich, wäre darin dann wenigstens noch der Witz verborgen, der mich und viele andere vor Mit Dem Schwert Nach Polen, Warum Rene? niederknien hat lassen. Aber diese Minuten gleichen einem Kratzen an einer Tafel, es sind Produkte eines humoristischen Vakuums, in denen nichts mehr als die katastrophale Machart des Ganzen übrigbleibt. Vielleicht kann man das auch netter sagen, aber ich weiß nicht warum, die Songs werden ja nicht weniger schlecht deswegen.

 

Es kommt ihnen auch kein wirklicher Haupttreffer aus, kein erhellendes Licht am Ende des düsteren Tunnels verlorener und beinahe schon unwirklich scheinender Güte von anno dazumal. Nur sporadisch reicht man in die Nähe dessen, der Dank dafür gebührt - wie könnte es anders sein? - Herrn Urlaub. Cpt. Metal schmeißt einem eine gesunde Härte und hochgefahrenes Tempo entgegen, erweckt damit totgeglaubte Energie in den gealterten, ehemaligen Punkern. Natürlich mutet die ohnehin nicht ganz ernst gemeinte Pop-Kritik einer Band, die selbst schon so weit in dem Genre steckt, ein wenig fragwürdig an, die Pseudo-Metal-Akustik mitsamt des obligatorischen, glorreichen Solos überstrahlt aber zusammen mit dem Urlaubergesang jegliche Unebenheiten solcher Art. Was nicht heißt, man wäre dem Song verfallen, aber es ist ein saftiger grüner Apfel an einem Baum, der sonst nur verfaultes Obst hergeben will. Zu diesem einen gesellen sich mit M&F und Waldspaziergang Mit Folgen immerhin noch zwei, die beweisen, dass glatter Pop auch bei den drei Deutschen dem Humor und der Ansehnlichkeit der Soundunterlage nicht unbedingt einen Strich durch die Rechnung machen muss. Und vor allem in den Zeilen, die die schräge Hook des Waldspaziergangs überlagern, ist man sogar gewillt, eine intelligente, wenn auch etwas gar mehrdeutige Botschaft zu erkennen. Ein Einzelfall.

 

Schlussendlich muss man genau das als Urquell des Ärzte-Abstiegs erkennen. Lyrisch tun sich zwischen damals und heute Welten auf, Abgründe unüberwindlicher Natur erstrecken sich zwischen Tamagotchi hier und Meine Ex(plodierte Freundin) da. Fast könnte man der Versuchung erliegen, alles darauf zu schieben, dass die eigentlichen Ärzte von Aliens entführt wurden und jetzt nur mehr Imitate herumdudeln. Wenn es das ist, dann sollen die Aliens wenigstens aufhören, solche Alben zu machen. Denn "auch" kann einfach gar nichts. Ein Erzeugnis, so fundamental unnötig, dass man schwer dahinterkommt, warum es in dieser Form - mit zeiDverschwÄndung als Leadsingle!!! - überhaupt veröffentlicht wurde. Kaum einmal lässt einen irgendwas darauf schließen, dass die LP vielleicht doch einen Release verdient hätte. Der Gedanke kommt einem auf alle Fälle nicht oft genug. Was bleibt? Ein akustischer Beweis für die Existenz von inspirationslosen Tagen in Hülle und Fülle.

 


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