von Kristoffer Leitgeb, 24.10.2015
Auf dass der Rock erstrahle in seiner langweiligsten Form.
Meine Damen und Herren, liebe Zuseher, ich begrüße sie heute recht herzlich direkt aus dem kühlen Düsseldorf und dort aus einem Seniorenheim im Norden der Stadt! Während hier hinter mir bereits fleißig zu Mittag gegessen wird, sehen ein Stück abseits im Veranstaltungsraum gerade die Vorbereitungen für die alljährliche Geburtstagsshow der Rocker Die Toten Hosen ihrem Ende entgegen. Zu diesem feierlichen Anlass haben wir die mittlerweile gemeinsam hier lebenden Deutschen zu einem Interview gebeten, um sie über Vergangenheit, Zukunft und vor allem die erfolgreiche Gegenwart der gealterten Band zu befragen. Davor aber noch ein kurzer Blick zurück auf die bisher letzte Veröffentlichung der ehemaligen Punker, "Ballast Der Republik", die sie in nostalgische Sphären getrieben hat. Während die aggressiven Tage lange vorbei sind, ist die Band rund um Sänger Campino erfolgreicher denn je und zelebriert dabei gekonnt das biedere Mittelmaß in musikalischer Form.
Dieses Erfolgsrezept scheint aber, zur Verteidigung der Hosen, schön langsam in den Rock imprägniert zu sein, sodass man es dort nicht mehr wegbekommt. Wer in die Charts will, schaut tunlichst, dass außer ein paar gemächlichen Riffs nichts da ist, was nicht bombastischer Stadion-Refrain genannt werden darf. Auch keine Botschaft, die könnte ja ablenken. Es ist zumindest eine Theorie, die relativ nahe liegt, ansonsten findet sich nämlich keine Daseinsberechtigung für verschwendete Minuten wie die von Tage Wie Diese. Vielleicht ist sie ja wirklich die richtige Antwort auf eine Zeit voller hirnweicher Ängste und Bedrohungen, diese schwachbrüstige, vor hemmungslos positivem Pathos triefende Hymne. Eher wirkt es aber so, als wäre der größte Hit der Band nicht mehr als eine weichgespülte, ausgehöhlte Imitation eines Rock-Songs, der sich abgesehen von seinem elendiglich aufgebauschten Refrain vor allem dadurch auszeichnet, dass er sich einer unwirklich verklärenden Romantik hingibt, die nicht einmal mehr Schiller toleriert hätte. Aber so ist das, die Leute brauchen was für die eigenen 'Feel Good'-Synapsen und die hedonistische Lebensweise, sonst könnte irgendwann das Gewissen anklopfen.
Campino ist sich mit seinen Kollegen anscheinend aber nicht so ganz sicher, ob er das Gewissen jetzt ruhigstellen oder doch mit Schuldgefühlen füttern will. Während hier und dort so etwas wie Wut oder gar anklagende Worte durchklingen, erscheint man an anderer Stelle wieder unerwartet harmoniesüchtig. Denn die Trips in die Vergangenheit schlagen fast durchwegs einen versöhnlichen Ton an, der selbst den Streichelweichsten unter uns kaum einfallen würde. Die musikalische Selbstfindung wird in Traurig Einen Sommer Lang zum melancholischen Name-Dropping großer Rocker, deren Tod irgendwann mal beweint werden musste. Altes Fieber markiert einen lauwarmen Blick auf die eigene Historie, Das Ist Der Moment dagegen eine kitschige Ode an Sohn und Fans. Was könnte der Sound der Band da tun, als sich munter anstecken lassen von all diesem defensiven Herumgeiere inmitten merklich ehrlicher, aber fast durchwegs ungriffiger Zeilen? Außer halbgarem Mid-Tempo-Gedudel bleibt oft nichts über und das, obwohl sich das Quartett in Wahrheit variantenreicher denn je gibt. Nuancierter und präziser geht man zu Werke, das zeigt die stark abgestimmte Arbeit an Gitarre und Drums von Altes Fieber genauso, wie einige potenziell interessante Beats und Balladen-Arrangements das Mehr an Abwechslung dokumentieren. Oder imitieren sie es doch nur? Wenn nämlich Campinos oft unerwartet kraftlose Darbietungen am Mikro und die geschliffenen Riffs eines nicht transportieren, dann Kurzweiligkeit und Ideenreichtum. Nein, der Rock, den die Toten Hosen praktizieren, krankt an unglaublicher Berechenbarkeit und letztlich engen Grenzen, in denen er sich eigentlich herumtreibt.
Natürlich versucht man aber vom ersten Ton an, den Mantel der Musik über diesen Umstand zu breiten. Nicht umsonst beginnt man mit dem Cembalo- und Streicherintro Drei Kreuze (Dass Wir Hier Sind) gänzlich untypisch, tastet sich erst langsam an den klassischen Sound heran. Und natürlich mischen sich unter die vielen halbgaren Momente auch die Nummern, die tatsächlich auf positive Art Erinnerungen an das frühere Dasein darstellen. Ballast Der Republik bemüht sich redlich darum, wechselt die Riffwände des Refrains mit aggressiven Strophen, in denen sich akustische Akkorde und Claps mit kurzen Härteausbrüchen ein dynamisches Stelldichein geben. Wird man noch angriffiger, erinnert die Show auch gleich wieder an die gute Arbeit von "In Aller Stille". Auf die Idee kommen sie blöderweise nur einmal wirklich, nämlich mit dem äußerst unromantischen Zwei Drittel Liebe. Dort sitzt die knackige Gitarrenarbeit dann wieder so, wie man es gerne hat. Mit dem nötigen Punch dahinter und auch einem Frontmann, der sich plötzlich wiedergefunden hat, hört sich die Sache mit dem Rock dann gleich wieder gar nicht so schlecht an.
Abseits davon gibt man sich mit weniger Nachdruck zufrieden, macht aber zumindest mit den dezent orientalisch angehauchten Rhythmen von Reiß Dich Los, dem entspannt-lockeren Pop-Rock von Ein Guter Tag Zum Fliegen oder aber dem stampfenden Beat und der markanten Klavier-Melodie der Flüchtlingshymne Europa noch so manches richtig.
Wie weit man damit von großartiger Arbeit entfernt ist, ist aber trotz allem nicht zu leugnen. Selbst in den besten Momenten ist die x-te LP der Toten Hosen nur dezent dazu in der Lage, Wiedergutmachung für die viel zu häufige Zurschaustellung der eigenen Müdigkeit zu betreiben. "Ballast Der Republik" ist ein Konglomerat guter Vorsätze und Absichten, lauwarmer Umsetzung und der Siegessicherheit derer, die wissen, dass das Lauwarme allzu oft großen Erfolg garantiert. Vielleicht kann man es in einem Wort auch einfach Abgeklärtheit nennen, mit der sich die Deutschen hier durcharbeiten durch die Tracklist. Es ist aber ganz sicher nicht die gute Art, die mit der Routine Experimentierfreude und Unabhängigkeit mit sich bringt, sondern eher die, die Routine in gekonnte Fehleinschätzung umwandelt, sodass selbst die magerste Ausbeute glatt wie ein Klassiker wirkt. Schaut man die Verkaufszahlen an, bleibt fast zu befürchten, dass diese LP bald einmal als solcher gelten wird. Und jetzt zum Interview...