von Mathias Haden, 28.02.2014
Auf Experiment 'LP #7' bleiben die vier Amis zu routiniert, um zu scheitern.
Es gab mal eine Zeit, da ließ sich der ohnehin alberne Begriff 'Indie' noch wirklich von 'Independent' ableiten. Auf winzigen Labels eiferten junge Bands ihren Helden der 80er hinterher, spielten in winzigen Clubs vor 50 Leuten und waren für die breiten Massen kaum wahrnehmbar. Nachdem aber Anfang des frischen Jahrtausends jede zweite Gruppe, die musikalisch was am Kasten hatte, in diese Schublade gesteckt wurde, avancierte der Terminus schlagartig zum Modebegriff. Und (aller-)spätestens seit dem 'Best Album of the Year'-Grammy-Award für Arcade Fires' The Suburbs ist 'Indie' paradoxerweise mehr Mainstream als alles andere.
Bei den Grammys waren übrigens auch Death Cab for Cutie einige Male nominiert, bis heute konnten Ben Gibbard und Co. aber keine Trophäe einheimsen. Auch der mittlerweile siebte Longplayer Codes And Keys scheiterte an Bon Iver im Kampf um das 'Best Alternative Album'.
Nach dem Erfolgslauf den die Band ab ihrem dritten Album, The Photo Album, hingelegt hatte, und der sich ab dem fünften Werk Plans auch kommerziell sehen lassen konnte, stand sie Anfang des Jahrzehnts in einer Sackgasse und wollte ihren doch recht typischen Sound erweitern. Bereits am Vorgänger Narrow Stairs zeigte man sich experimentierfreudig, doch nun sollten radikalere Maßnahmen gesetzt werden. Beeinflusst von Brian Enos Album Another Green Word, zogen die Amis kreuz und quer von Studio zu Studio um ein kreatives und anspruchsvolles Gesamtwerk zusammenzubekommen.
Das Resultat ist tatsächlich anders als alles, was die Gruppe bis jetzt veröffentlicht hat. Dafür verantwortlich ist in erster Linie auch der inflationäre Einsatz von Elektronik. Die Gitarren rutschen - das kennen wir ja noch von Plans - wieder ziemlich in den Hintergrund, dafür dominieren Keyboards. Leider fehlen auf dem neuen Werk die hübschen Melodien, die dem ebengenannten zu einem gewissen Charme verholfen hatten.
Trotzdem funktioniert das siebte Album ganz gut, bietet neben einigen interessanten Experimenten auch eine erfrischend positive Grundstimmung.
Leadsingle You Are A Tourist kann zwar nicht mit den stärksten Veröffentlichungen konkurrieren, bietet mit den erwärmenden Zeilen "When there's a burning in your heart / And you think it'll burst apart / Oh, there's nothing to fear" aber eine gelungene Darstellung eines Albums, das ziemlich fröhlich daherkommt. Trotzdem fehlt die unmittelbare Wärme die Ben Gibbards Stimme und seine Begleiter mit jedem Album versprühen konnten. So melancholisch die Instrumentationen waren, so traurig die Texte: Gibbards emotionaler Gesang spendete immer Trost und Geborgenheit. Davon ist hier leider nicht viel zu sehen, denn obwohl einige Tracks wirklich anspruchsvoll sind, durch die dicke Produktion dringen die Gefühle nicht sonderlich gut durch.
Der Titeltrack gewinnt zwar durch ein Orchester an Vielfältigkeit, kommt aber, auch dank der deplatziert wirkenden Streicher, nie wirklich aus seiner Passivität. Apropos passiv: Davon kann der längste Track auf der LP, die Ballade Unobstructed Views, ein Liedchen singen. Vom Klavier getragen, wirkt der die ersten zwei, drei Minuten wirklich interessant, wartet man doch auf einen kleinen Ausbruch wie beim ebenfalls langen Transatlanticism acht Jahre zuvor. Nur: er kommt einfach nicht, und so schlürft er spannungsfrei dahin. So verhält es sich leider mit einigen guten Ideen hier. Vielversprechender Beginn, nur um danach ohne große Höhepunkte seine Minuten runterzuspulen.
Löbliche Ausnahmen gibt es natürlich trotzdem: Neben der ansprechenden Leadsingle sind es besonders das angenehm beschwingte Monday Morning oder das schöne Underneath The Sycamore, die an bessere Zeiten erinnern. Besonders letzterer schafft die bemerkenswerte Leistung, trotz zahlreichen Refrains ("We are the same We are both safe / Underneath the sycamore") nicht zu nerven. Dazu reihen sich noch der zauberhafte, mit Streichern versehene Closer Stay Young, Go Dancing und das eingängige Some Boys mit seinem cleveren Text.
Ach ja, das Songwriting. Bis jetzt war Ben Gibbard ja eigentlich als brillanter Lyriker bekannt, dieses Talent lässt er diesmal leider seltener aufblitzen als zuvor. Auch dominiert und trägt seine Stimme die Songs nicht so wie man das eigentlich gewohnt war. Dafür spielen seine Kumpels mit, besonders Gitarrist und Produzent Chris Walla macht seinen Job (besonders hinter dem Mischpult) ordentlich.
Mittlerweile fast 15 Jahre im Geschäft, gelingt es Death Cab for Cutie auch beim siebten Anlauf nicht, ein schlechtes Album zu fabrizieren. Vieles hier wirkt unausgegoren, bei Zeiten auch etwas desinteressiert, aber selten wirklich schwächer als durchschnittlich. Auch die verkorksteren Bemühungen gehen nie dorthin, wo es weh tut. Dazu scheint die Band mittlerweile zu routiniert, auch wenn man sich ab und zu doch wünscht, Chris Walla und die anderen würden im nächsten Moment wieder zu dem Gitarrenpop zurückkehren, der sie einst zu den führenden Acts der 'Indie-Szene' (ja, genau die) gemacht hat. Man muss dieses Experiment wahrlich nicht gutheißen, man sollte ihm aber zumindest die Chance geben, sich zu entfalten.