Dead Kennedys - Plastic Surgery Disasters

 

Plastic Surgery Disasters

 

Dead Kennedys

Veröffentlichungsdatum: ??.11.1982

 

Rating: 8 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 20.01.2017


Unmanipuliert und unerbittlich. Punk und zynische Weltabrechnung leben mehr denn je auf.

 

Aus der Ferne schwer zu sagen, wie es danach weiterging, aber zumindest die Zeit als Leader der Dead Kennedys dürfte für Jello Biafra irgendwie nicht bergauf geführt haben. Also jetzt weder karrieremäßig, noch in Bezug auf seine Stimmung. Was mit zynischem Humor und einer Handvoll politischer Wut begonnen hat, ist bis 1986 mutiert zu schmerzendem Verdruss und eigentlich fast nur mehr Wut. Zumindest suggeriert das die Musik. Nie wieder war man so ausgelassen und beinahe fröhlich wie auf dem Klassiker "Fresh Fruit For Rotting Vegetables". Es hat nicht lang gedauert und plötzlich war das noch roher, noch schneller und unweigerlich ein bisschen abschreckend. Und weil die Dead Kennedys nie einen Albumtitel ohne große Hintergedanken gewählt haben, heißt dann eines davon plötzlich "Plastic Surgery Disasters". Nur eines stimmt daran nicht, Desaster ist keines in Sicht.

 

Denn in einem sehr engen Duell kann der Follow-Up sogar seinen Vorgänger mit dem großen Namen überstrahlen. Geht vor allem, weil sich die gleiche Scharfzüngigkeit breit macht und Biafra ähnlich wenig Skrupel hat, mit seinem überschwappenden Zynismus alles und jeden, der es sich redlich verdient, genüsslich zu karikieren und zu attackieren, gleichzeitig aber die wenigen Momente ziemlichen Schwachsinns diesmal komplett ausbleiben. Zwischen Government Flu am einen Ende und Moon Over Marin am anderen steckt manch finsterer Humor, manch noch finsterer ernste Gedanke, aber netterweise kein zweites Stealing People's Mail. Ohne so etwas lebt es sich leichter. Und so reagiert trotz eines nicht zu überhörenden Augenzwinkerns weiterhin die Prämisse, die Schattenseiten unserer Gesellschaft zu sezieren, seien es geldgierige Wissenschaftler, Protestexzesse oder überbordende Überwachung. Biafras unverkennbares Talent für die Kombination von Humor, unheilvoller Atmosphäre und realen Fehlentwicklungen lässt fast alles davon gelingen, einfach weil der Vorrat denkwürdiger Zeilen mitunter einfach endlos wirkt:

 

"Told you're depressed so of course you see the psychiatrist
Right when you hit your neuroses' roots he confuses you
He fucks your head up worse, gotcha feeling helpless
You're comin' back for more
Again and again
Gonna rip you off
Rip you off"

 

Dem gegenüber steht ein musikalisches Gewand, das oberflächlich uniformer klingt als das mitunter an den Surf Rock erinnernde Debüt, in Wahrheit aber nur subtiler und vielschichtiger angelegt ist. Es ist harter Punk, unerbittlich meistens, aber strukturell raffinierter, als man es von einem Genre gewohnt ist, dessen Vorzeigeproponenten oft albumumspannend auf Veränderungen verzichten. Jetzt ist "Plastic Surgery Disasters" genauso kein Füllhorn an Stilbrüchen, daran ändert auch der comichafte Spoken Word-Beginn im Opener Government Flu wenig. Doch das lang schwelende, mit dezenten Jazz-Avancen spielende Intro von Riot, der Rockabilly-Sound von Halloween oder die dominante, gemächliche Rhythm Section von I Am The Owl stehen im starken Kontrast zum absoluten High-Speed von Buzzbomb oder Winnebago Warrior. Letzteres gestaltet sich übrigens für die Band doch schwieriger, weil einerseits Biafras ohnehin schwieriger Gesang noch etwas mehr seiner Verständlichkeit beraubt wird, andererseits in den Momenten, in denen das Tempo hochgeschraubt wird, die thematische Tiefe merklich zu leiden scheint.

 

Auch deswegen dürften die Kalifornier doch sehr gerne auf anderes setzen. Nicht, dass das oben zitierte Trust Your Mechanic mit seinen schnellen Marching Drums schleppend daher käme, doch die schnellen Stop-and-Go-Strophen wären weit weniger wert, würde man nicht mit radikalen Brüchen die ruhigen Aushilfsrefrains einstreuen, die von den gequälten, schwindlig hohen Gitarrenzupfern und Biafras ausdrucksstarker Performance leben. I Am The Owl bleibt dagegen über die gesamte Laufzeit einem starken Mid-Tempo-Rhythmus treu, lässt darin genug Platz für den einen oder anderen Miniausritt an den sechs Saiten und altbekannte Stimmakrobatik. Abgesehen von der etwas beängstigenden Vision einer Dauerbeobachtung durch andere Menschen, könnte man das dann fast als kleinen Entspannungsmoment bezeichnen im ansonsten rasch überdreht daherkommenden Albumalltag. Wobei überdreht ein zu negativer Begriff ist, um die geballte Energie und die teils schwindelerregende Geschwindigkeit der LP adäquat zu umreißen. Top-Opener Government Flu erweckt nicht den Eindruck, als hätte die hohe Drehzahl irgendwem im Studio geschadet. Im Gegenteil, erst da werden die musikalischen Fertigkeiten voll ausgetestet. Kleiner Spoiler: Sie bestehen locker.

 

Wenig überraschend findet man sich im Riffgewitter und inmitten frenetischen Getrommels trotzdem nicht immer ganz zurecht. Wofür aber das kalifornische Quartett weniger kann, auch wenn Biafra sich nie wirklich dafür erwärmen konnte, seinen vielen Zeilen ein bisschen mehr Raum zu gönnen. Dementsprechend geht ohne sehr gutes Ohr oder nachhelfende Recherche mehr unter, als sollte und dürfte. Und dann leiden ausgerechnet solche Perlen wie Bleed For Me darunter, die einem mit schrillem Ein-Satz-Refrain etwas unsauber vorkommen, abseits dessen aber ein großartiges Plädoyer gegen Folter und verdeckten Imperialismus offenbaren.
Gleichzeitig muss man sagen, es braucht jetzt nicht jede Zeile, um die Dead Kennedys schätzen zu können. Mitnichten! Die Kalifornier bringen eigentlich genug Qualitäten mit, dass für jeden, der nicht in den musikalischen Unwelten des Schlagers, des Techno oder der schnöden, wohlklingenden Schönheit gefangen ist, etwas zu finden sein sollte. Auch und gerade für "Plastic Surgery Disasters" muss das gelten, denn dank eines fokussierteren und weniger verspielten - Biafra würde diesen Begriff in einer Beschreibung von DK-Alben ziemlich sicher verabscheuen - Auftritts wurden kleinere Schwachstellen gekonnt ausgebügelt. Als Makel haftet dem Ganzen dann nur an, dass von einem Song, der Holiday In Cambodia ernsthaft Konkurrenz machen könnte, wirklich nicht die geringste Spur ist. Man darf allerdings auch nicht zu viel verlangen.

 


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