von Kristoffer Leitgeb, 09.01.2016
Destruktive Emotionswallungen beseitigen Fokus und Einfallsreichtum, erhalten aber die Durchschlagskraft.
Die Wut ist üblicherweise kein guter Ratgeber. Während pure Emotionen in der Entscheidungsfindung selten eine große Hilfe darstellen, wird es mit denen aggressiverer Bauart gleich ganz schwer. Denn was fast unweigerlich einsetzt, ist kognitive Erblindung, die einen dann eher zum passenden Gleichnis für einen in der Raserei befindlichen Stier als für Rodins Denker macht. Viele sind auch so schon weit genug vom Denker entfernt, da braucht es dann Wut oder Hass nicht wirklich auch noch dazu. Die Dead Kennedys, vor allem Frontmann Jello Biafra, dürften im Jahre 0 nach Tschernobyl etwas wütend oder zumindest desillusioniert gewesen sein, nachdem man ihnen wegen des Artworks von Vorgänger "Frankenchrist" juristisch den Kampf angesagt hatte. Aus der Traum von einer liberalen Gesellschaft oder der Freiheit der Kunst, stattdessen Geldmangel und die Trennung. Und so war die vierte LP nur mehr ein Abgesang auf die kurzzeitigen Punk-Helden, vollgepackt mit allem, was man der Welt nach den fatalen Turbulenzen noch zu sagen hatte.
Naturgemäß sind das nicht unbedingt schöne Grüße, die Biafra und seine Mannen einem entgegenschmeißen. Viel eher ist "Bedtime For Democracy" eine Art Frustbewältigung, die mit Politik und Gesellschaft genauso abrechnet wie mit der in den Augen der Band versauten Punk-Szene der Tage. Vielleicht erfordert das auch musikalisch eine härtere Gangart, auf alle Fälle ist von Post-Punk und lockeren Arrangements weniger denn je zu spüren, stattdessen regieren ultrakurze Songs, so straight-forward, wie es der Begriff nur erlaubt. Horizontsprünge finden sich immer noch, vor allem in den wenigen längeren Momenten, den Sechsminütern Cesspools In Eden und Chickenshit Conformist, die in ausgefeilterem Gewand starke Tempowechsel, Psychedelic- und Jazz-Einflüsse einbauen. Doch bereits das einleitende Cover von Take This Job And Shove It macht sehr deutlich, dass die 21 Tracks vor allem durch höchsten Speed und punkige Einförmigkeit auffallen.
Durchaus begrüßenswert ist das deswegen, weil die knochig klingende Gitarre irgendwo zwischen klassischem Rock 'n' Roll und Joy
Division steckt und die unaufhörlich dahinrollenden Drums den üblichen Sound der Kalifornier auch in den unspektakulärsten Minuten passend in Erinnerung rufen. Weniger begrüßenswert ist
es, weil in den eineinhalbminütigen Power-Chord-Wänden von Melodien zu oft kaum etwas zu merken ist, vor allem aber wegen des, der Entzifferung fast komplett widerstehenden, Genuschels von
Biafra. Inmitten passabler Klangumwelt bleibt kaum eine Möglichkeit, die Texte des Großmauls mit den oft richtigen Ansichten zu beurteilen. So wirklich bemüht hat er sich nie darum, dass man ihn
versteht, doch bei entsprechend hoher Drehzahl bleibt einem bei der sich überschlagenden Stimme manchmal nur der Titel über, der Rest verschwimmt zu einer Masse, die einem ohne Booklet nur einen
Haufen möglicher Zeilen, nicht aber definitiver überlässt.
Das wiederum schadet zumindest zu einem Teil, könnten doch gerade die Texte für den Variantenreichtum sorgen, den man musikalisch nicht gewillt ist zu bieten. So bleiben allerdings Tracks wie
Fleshdunce, Shrink oder Dear Abby auf der Strecke, versanden im Mittelmaß, allein weil sie in ihrer Kürze gar keinen Eindruck machen können, im Negativen wie im
Positiven.
Und es ist natürlich ein Wermutstropfen, im Falle der geglückten Decodierung oder das gesprochenen Wortes zeigt sich nämlich noch immer die spitze und treffsichere Feder von Biafra, der seinen Humor noch eher für kompletten Zynismus eingetauscht hat. Macho Insecurity oder Hop With The Jet Set schießen in die richtige Richtung, treffen und rechtfertigen damit ihre Härteeinlagen auch viel eher. Am offensichtlichsten wird das genaue Ziel der Band im musikalisch wenig wertvollen, inhaltlich aber glänzenden Spoken Word-Track A Commercial, der sich der Bigotterie der diversen pseudo-karitativen Konzerte der Ära annimmt, genauso wie im Intro zu Triumph Of The Swill:
"We came home and found our son lying dead on his bed of a gun shot wound
He had his headphones on and there was an Ozzy record on the turntable
So we called our lawyer"
Trifft beides aufeinander, starke Lyrics und ebensolcher Sound, reicht es überhaupt noch für ein paar Bandklassiker. Where Do Ya Draw The Line schafft es dort nicht ganz hin, auch wenn das gemäßigtere Tempo eine Rückbesinnung auf die Qualitäten des Debüts bedeutet, als solches nahe am Ohrwurm dran ist. Das gelingt Chickenshit Conformist allein wegen seiner Länge weniger, doch die schleichenden Passagen des Songs kontrastieren die explosiven Ausbrüche bestens, untermalen mit gedehnten Bass- und Gitarrentönen Kritik an den Punkern und Rockern der 80er, die phasenweise fragwürdig, meistens aber als akurater Seitenhieb daherkommt. Der Höhepunkt kommt trotzdem ganz zum Schluss, an dem man etwas überraschend feststellt, dass einem der Klang der Riffs auch wegen der abwechslungsreicheren zweiten Hälfte doch noch nicht zum Hals raushängt. Dann schlägt Lie Detector zu und wird mit großartiger Bass-Line zum sarkastischen Gustostückerl, dem auch Biafra mit all seinen stimmlichen Möglichkeiten noch einmal ordentlich Beine macht:
"We have reviewed your yellow form
Congratulations! We find you qualified
You have just the right capacity
For putting up with our nonsense
There's just one thing you've got to prove
We know how you must be dishonest and lazy
If you're so desperate
You actually want to work at this place"
Insgesamt bleibt aber die Erkenntnis, dass unablässige, von Wut befeuerte Gesellschaftskritik Schwierigkeiten mit sich bringt, die die Dead Kennedys ein wenig vom rechten Weg abkommen lassen. Zumindest scheint das Songwriting teilweise in den Wirren der Gerichtsverhandlungen und der Trennung untergegangen zu sein, klingt doch mehr als das halbe Album, als wäre es ein einziger, langer, veränderungsresistenter Song. In hübsche Scheiben geschnitten, ergibt das dann einen Haufen (knapp über-)durchschnittlicher Tracks, die zu sehr an einem vorbeirauschen. Wirklich stark ist man nur mehr phasenweise, allerdings immerhin perfekt verteilt auf die Tracklist, sodass fast immer im rechten Moment eine nötige Erinnerung an die Stärken des Quartetts auftaucht. Dafür, dass "Bedtime For Democracy" fast ausschließlich eine Ansammlung an Last-Minute-Songs ist, macht sich der finale Auftritt also gar nicht so schlecht.