von Mathias Haden, 26.05.2017
Das Präludium eines außerirdischen Erfolgslaufes: Ein Schauspieler findet sich selbst.
Eine beliebte Praktik in der Kunstanalyse ist das retrospektive Herausheben eines bestimmten Werkes, oder auch eines einschneidenden Geschehnisses, um einen künstlerischen Wendepunkt zu skizzieren, der für die weitere Entwicklung eines Künstlers maßgeblich verantwortlich zeichnen durfte. Die Beatles waren (angeblich) ab dem Zeitpunkt die Allergrößten, an dem sie das Touren hinter sich ließen und alle Energie in die Studioarbeit investierten, Hitchcock war nach seinem Umzug nach Hollywood nicht mehr zu bremsen und Donald Trump wird ab dem Zeitpunkt der beste US-Präsident seit Reagan sein, an dem er die Vereinigten Staaten tatsächlich wieder 'great' gemacht hat (es kann sich nach neuesten Expertenschätzungen nur mehr um Wochen handeln). Über ein Jahr ist es bereits wieder her, dass hier zum letzten Mal Worte über den vielleicht wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts gesucht und gefunden wurden. Es waren pietätvolle, denn nur wenige Tage davor hatte sich David Bowie mit einem letzten Präsent (siehe Blackstar) von unserem irdischen Paradies verabschiedet. Heute, nach einer an einer angepasst ausgearteten Schweigeminute, widme ich mich jener LP, die im Kosmos Bowie den großen Turnaround einleiten, das Chamäleon des Pop in die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen katapultieren sollte.
Das selbstbetitelte, heute als Space Oddity bekannte, hippyeske Zweitwerk und vor allem das Hard Rock-infizierte The Man Who Sold The World waren bereits starke Alben und bemerkenswerte Ausrufezeichen, da möge man mich nicht falsch verstehen. Der erste Longplayer mit Anspruch auf Elitestatus muss aber zweifelsfrei Hunky Dory sein. Das liegt allein schon daran, dass Bowie hier all das zu vereinen gedenkt, was in den vorangegangenen Jahren gut geklappt hat. Die Band, der die letzte LP ihren erdigen, aber durchschlagskräftigen Sound verdankte, ist wieder am Start - und kurz davor, als fiktives Sci-Glam-Rockensemble The Spiders from Mars Geschichte zu schreiben. Besonders Mick Ronson an der Gitarre steht nach wie vor als einer der größten Glücksgriffe, daneben musizieren Trevor Bolder primär am Bass, Mick Woodmansey an den Drums und der zukünftige Yes-Progster Rick Wakeman am Klavier. Von den angriffigen Power-Chords des Vorjahres ist dennoch wenig geblieben, die Ode an die Vorbilder von The Velvet Underground, Queen Bitch, zeugt hier ein einziges Mal von der ungestümen Wucht der Gruppe. Stattdessen fährt Bowie hier ein charmierend eingängiges Programm, das sich zwischen hymnenhaftem Pop, Folk-Rock-Ästhetik und Glam-Attitüde einpendelt und dabei wie auf besagtem Queen Bitch gerne epigonenhaft die eigenen Lehrmeister entlehnt.
Überraschend ist trotzdem, wie eigenständig und zielstrebig der Protagonist seine Kreise zieht, Hommage und Hang zur Poesie ineinanderfließen lässt. Während er mit Andy Warhol und Song For Bob Dylan weiteren Helden gedenkt, einerseits in artifiziell glimmernden, verkrachten Flamenco-Rhythmen, andererseits zu schwelenden Gitarren ganz in Manier des Besungenen zur narrativen Klasse von Space Oddity zurückfindet, sucht er auf anderen Stücken den langsam erwachten Troubadour und exzellenten Songwriter. Selbst der schwächste Song der LP, das spärlich begleitete Eight Line Poem, das seinem Namen alle Ehre macht, transzendiert in angenehm surrealen Sphären, geht in seiner Funktion, vor dem absoluten Highlight den Fuß vom Gas zu nehmen, aber am besten auf. Dieses heißt übrigens Life On Mars? und dürfte reelle Chancen haben, der beste Song aus der Feder David Bowies zu sein. Mit einer herrlich sensiblen Klaviersequenz eröffnet das Meisterstück, ehe die Stimme des Sängers von einer magischen Melodie davongetragen wird. In weiterer Folge zeichnet Bowie mit reicher Bildsprache ein abstraktes Bild der Gesellschaft und schafft schließlich ein außerirdisches Sci-Fi-Pop-Epos auf lediglich vier Minuten, dessen Größe nur von pompösen Streichern und dem kurz aufwallenden, an Strauss' "Also sprach Zarathustra" erinnernden Trommelschlag untermauert wird. So ganz nebenbei gibt es noch einen der eigenwilligsten Hit-Refrains der Pop-Geschichte, wird die Welt für die Ankunft von Ziggy Stardust vorbereitet:
"Sailors fighting in the dancehall
Oh, man! Look at those cavemen go
It's the freakiest show
Take a look at the
Lawman beating up the wrong guy
Oh, man! Wonder if he'll ever know
Who's in the best-selling show
Is there life on Mars?"
Auch sonst ist hier alles so, wie es auf einem Meisterwerk sein sollte. Wundervolle Vocals (The Bewlay Brothers), herzzerreißende Melodien wie am einzigen, beschwingten Cover Fill Your Heart, majestätischer Pop in Reinform (Changes; Kooks) und genug Raum für introspektive Ausflüge auf düsterem Terrain. Während Oh! You Pretty Things sich den Spaß erlaubt, seinen an Nietzsche angelehnten Diskurs zwischen schunkelnden Hooks und einer gut aufgelegten Klaviermelodie zu verbergen ("Let me make it plain / You gotta make way for the Homo Superior"), offeriert das balladeske Quicksand einen direkten Blick in die Abgründe menschlicher Psyche, referenziert Himmler und Churchill, um schließlich im Treibsand der eigenen Gedanken zu versinken - natürlich nicht ohne eine finalen Ratschlag parat zu haben:
"Don't believe in yourself
Don't deceive with belief
Knowledge comes with death's release"
Diesen Worten braucht man eigentlich nichts mehr hinzuzufügen oder? Egal, wie gut David Bowie in seinem Leben auch jenseits der Leinwand schauspielern konnte, seine Weisheiten auf Hunky Dory werden in ihrer überzeugenden Natur immer einen Stellenwert haben, der nur ihrem unfassbar nahbaren musikalischen Appeal gleichkommt. Auf elf Stücken vereint der Ausnahmekünstler Pop, Folk, Rock, Poesie und alles andere bislang Gelernte und Adaptierte, nimmt aber auch den glitzernden Sci-Fi vorweg, der ihn kurze Zeit später zum Weltstar machen sollte. Ein Mann auf intergalaktischer Mission eben. Kurz vor dem Abheben, mit einem ersten Meisterwerk bewaffnet. 3...2...1... We have ignition.