von Kristoffer Leitgeb, 28.02.2021
Menschlicher denn je und dabei unverhohlen nostalgisch, perfektionistisch und überambitioniert.
Alles hat ein Ende, nur Daft Punk haben zwei. Vor wenigen Tagen ist es passiert und das legendäre französische Duo, das seit Mitte der 90er mitbestimmt hatte, wie elektronische Musik zu klingen hat und zu verstehen ist, hat offiziell seine Trennung bekannt gegeben. Der Tenor durch die gesamte Musikwelt hindurch war wehmütig und oft genug ehrfürchtig gegenüber den Leistungen, dem Einfallsreichtum und der außergewöhnlichen handwerklichen Finesse von Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo. Gleichzeitig wurde ob der unerwarteten Nachricht ein bisschen darauf vergessen, dass es ein Ende nach dem Ende war. Daft Punk waren in Wahrheit schon davor nicht mehr so wirklich spürbar da, fielen zuletzt 2016 und schon da nur als Albumgäste bei The Weeknd auf. Will man genuin eigenes und neues Material von ihnen, heißt es überhaupt beinahe schon nostalgisch einige Jahre zurückzublicken auf eine LP, mit der sich das Duo neu erfand und die Pop- und Elektronikwelt einmal mehr und eigentlich so nachhaltig wie davor noch nie beeindruckte: "Random Access Memories".
Das ist in den heutigen popmusikalischen Maßstäben schon eine kleine Ewigkeit von acht Jahren her, dass die Franzosen damit ein herausragend erfolgreiches Studio-Comeback hinlegten, nachdem die letzte LP noch einmal genauso lange davor entstanden war und man dazwischen mit Livematerial und einem Soundtrack vorlieb nehmen musste. Immerhin wurde diese lange Pause aber für eine musikalische Transformation genutzt, die bitter nötig war. "Human After All" war seinem Titel zum Trotz die sterilste und menschenfernste Arbeit der Band und verlor sich in seiner mitunter fast brachialen Monotonie. Die dabei verloren gegangene Fantasie, Abenteuerlust und Liebe zum klanglichen Detail , die davor immer spürbar war, galt es wiederzuentdecken. Mit ihrem vierten Studioalbum gelingt genau das den beiden eindrucksvoll und in Wahrheit noch ambitionierter und vielseitiger denn je. "Random Access Memories" ist aber dann doch auch die Antithese einer Rückkehr zu früheren Arbeiten, markiert es doch einen großen stilistischen Sprung in Richtung organischerem, mehr in Pop und Rock verankertem Liedgut denn je. Folgerichtig ist die primäre Inspirations- und Nostalgiequelle nicht mehr die Musik der 80er, auch wenn selbstverständlich Synthesizer und Vocoder weiterhin allgegenwärtig sind. Dank einer deutlichen Absage an elektronische Beats halten allerdings live eingespielte Drums dauerhaft Einzug und mit ihnen auch eine spürbar dominante Rolle der Gitarre. Insofern findet man sich, wie es das Duo selbst beschreibt, eher schon in den 70ern, in den Zeiten von Disco, Funk und Soft Rock wieder.
Daran ist aus mehreren Gründen wenig bis nichts auszusetzen. Mit diesem stilistischen Schwenk geht nämlich auch eine klangliche Evolution einher, die "Random Access Memories" zu einem der geschmeidigsten Alben macht, die man im vergangenen Jahrzehnt in der Popwelt hören konnte. Perfekter ist der Sound nicht auszubalancieren als hier zwischen kristalliner Klarheit und prominent schillernder Präsenz jedes zum Einsatz kommenden Instruments und Soundeffekts auf der einen Seite, einer zurückhaltenden, beinahe verträumten Harmonie auf der anderen Seite. Nie käme man auf die Idee, die versammelten Songs wie in früheren Jahren aufdringlich oder nervig zu nennen, selbst beim überdeutlichsten, das Gedächtnis attackierenden Popappeal. Get Lucky thront an dieser Front über allem, war deswegen mir von Anfang an auch wegen der unfassbaren Wiederholungsorgie in allen Radios und Fernsehanstalten des Planeten verhasst. Und doch führt inmitten dieses Albums kein Weg daran vorbei, der Anziehungskraft des basslastigen Groove, der funkigen Licks von Nile Rodgers und Pharrell Williams' smooth-hoher Stimme ihre gebührende Ehre zu erweisen und einen Triumph des Disco-Pop zu erkennen. Einen potenziellen zumindest, denn wahrheitsgemäß muss man einfach anmerken, dass dieser Track zumindest ein Drittel seiner Länge verlieren müsste, um ein wirklicher Volltreffer zu sein und nicht beinahe an seiner kaum zu steigernden Repetition zu scheitern.
Der Befund des Albums ist durchwegs ein sehr ähnlicher. Daft Punk kreieren hier eine klangliche Meisterleistung, einen Sound für die Ewigkeit, reizen ihn aber über mehr als 70 Minuten bis zu einem Maß aus, dass es mehr als einmal einfach zu viel ist. Begegnet einem mit dem endlos funkigen und herrlich arrangierten Give Life Back To Music nach einem grässlichen, fast an Glam Metal erinnernden Intro noch ein großartiger Opener, der in knapp viereinhalb Minuten alles tut, was es braucht, und es dabei belässt, wird es alsbald schwierig. Von Finesse und Ambition durchzogene Kompositionen wie Giorgio By Moroder, der Hommage an den italienischen Elektronikpionier, die mit seinem biografischen Monolog Musikgeschichte nacherzählt, faszinieren durch ihre musikalische Wandlungsfähigkeit und die vielen klanglichen Eindrücke, ermüden aber bei neun Minuten Länge unweigerlich irgendwann. In diesem Sinne wirken manche Tracks hier beinahe eher wie Klangstudien als Stücke mit spürbarem Spannungsbogen. Giorgio By Moroder gerät so nach an Moroders Erzählung angepassten Soundeinsätzen und geschmeidigem, aber langatmigem Elektronikarpeggio im vermeintlichen, von dramatischen Streichern eingeleiteten Klimax eher undefiniert außer Kontrolle, wird zu einem gigantischen Prog-Spektakel, unterbrochen durch eine unerwartete Scratch- und Basseinlage. Das ist alles episch, für sich genommen großartig inszeniert, aber irgendwann auch und gerade wegen der schwer zu vereinenden, erratisch wechselnden Stileindrücke über den Wirkungszenit hinaus.
Auch weniger der endlosen Ambition verpflichteten Kompositionen ergeht es ähnlich. Großartiges Fundament, Sound zum Niederknien, aber zu lang oder mit eklatantem Makel. Ist es in Instant Crush der unwillkommen dominante Vocoderklang, der auch Gaststimme Julien Casablancas erfassen muss und den Synth-Rock des Songs kitschiger als nötig klingen lässt, oder in Fragments Of Time eine höllische Gleichförmigkeit in einem eigentlich smoothen Ganzen, geht wiederum Lose Yourself To Dance als Schwesterkomposition zu Get Lucky wegen der schleppend-wuchtigen Percussion kaum auf. Da türmen sich einfach erstklassige Ansätze und Potenziale auf, die so nie ganz zur Entfaltung kommen.
Umso wichtiger ist es, im Hinterkopf zu behalten, wie gut das Duo und seine illustren Gäste selbst dann noch klingen. Während Get Lucky und Give Life Back To Music unwiderstehlich funkige Lehrstücke in Sachen Disco-Pop darstellen, denen lediglich ihre Hochglanz-Gleichförmigkeit im Weg steht, überzeugt neben Giorgio By Moroder auch Touch trotz veritabler Überlänge. Ein sphärisch-träumerisches Bombaststück zwar, aber nach dem kargen, stimmlich unmenschlichen Intro mit einer großartigen Armada musikalischer Eindrücke. Auf funkige Gitarren und schillernde Synths folgt locker tänzelndes Klavier im Zusammenspiel mit an Earth, Wind & Fire erinnernden Bläsersätzen, abgelöst durch schleppende Melodramatik mitsamt pastoralem Chor und langgezogenen, winselnden Streichern, die in einem zunehmend lauteren Klangteppich aufgehen. Von Audiomitschnitten der Apollo-17-Mission eingeleitet, ist auch das abschließende und das Album krönende Contact nicht minder dramatisch und ambitioniert, beschließt die LP aber untypisch elektronisch in Zusammenarbeit mit DJ Falcon und mit starkem Kontrast zwischen langgezogenen sphärischen Orgel-Synths und einer Mischung aus Drum'n'Bass und schillernden Synths. Dass sich der Track zunehmend in ein dröhnendes Etwas verwandelt, das schon fast die Soundkulisse eines Raketenstarts imitiert, nur um in schrill-kratziger Elektronik langsam zu versiegen, ist ein willkommener und effektiver Kontrast zum übrigen Album und dem vorangegangenen Doin' It Right. Das ist zwar als Kollaboration mit Animal-Collective-Mitglied Panda Bear auch unumwunden elektronisch, dabei aber ungleich relaxter und harmoniesüchtiger und mit unerwartet starkem Zusammenspiel von Panda Bears Gesang und den Vocoderstimmen des Duos.
Um nun auch einmal zum qualitativen Kontrast zu kommen, sei gesagt, dass Daft Punk auch weiterhin einfach nicht dafür gemacht sind, gefühlvolle Balladen zu kreieren, die auch wirklich etwas bewirken. The Game Of Love und insbesondere Within sind frühe, überdeutliche Fehlschläge, die die Vocoderklänge zwar menschlicher denn je klingen lassen, dann aber doch nicht menschlich genug, um die eindrucksarm dahindümpelnden Arrangements mit Emotion zu unterfüttern oder nach etwas anderem als Kitsch klingen zu lassen. In ähnlicher Manier schlägt auch das rein instrumentale Motherboard fehl, das sich zwar keinen Schmalz nachsagen lassen muss, aber so wie auch Beyond eine spannungsarme Lethargie, die dem Gros des Albums zuwiderläuft und weit über die vorherrschende, geschmeidige Machart der starken Minuten hinausgeht. Da lebt einfach nichts, da klingt nichts eindringlich inmitten dieser nun doch wieder mitten in den 80ern verharrenden Synthschwaden, die mal langsamer, mal etwas schneller, mal offensichtlich retrospektiv, mal vermeintlich futuristisch daherkommen.
Diesen spürbaren Makeln zum Trotz ist "Random Access Memories" aber eine bemerkenswerte Leistung. Eine, die viel zu lang ausgebreitet wird und mit deutlich abgespeckter Tracklist ohne den allergeringsten Zweifel besser ausgesehen hätte, die aber nichtsdestoweniger imponiert und die außergewöhnlichen Fähigkeiten der beiden Franzosen illustriert. An die 70er andockend, ist die vierte und offenbar letzte LP des Duos weniger denn je der Elektronik ergeben, stattdessen organischer, entspannter und lockerer. Menschlicher, möchte man fast sagen. Großartige Beiträge von Gitarrist Nile Rodgers helfen da genauso wie der eine oder andere Gesangsbeitrag. Primär ist es jedoch ein Verdienst von Daft Punk selbst, die Songs hier in einem dermaßen dynamischen und doch relaxten, schillernden und doch luftigen Sound erstrahlen zu lassen. "Random Access Memories" klingt einfach erstklassig, selbst wenn es sich stilistisch hier und da vergreift und das mit der Kanalisierung der überquellenden Ambitionen definitiv nicht so ganz hinhaut. Dennoch hat man es ohne Zweifel mit der formvollendetsten LP des Duos und einem würdigen Ende von Daft Punk vor dem offiziellen Ende zu tun.